Fußball - Karl-Heinz Körbel ist bis heute mit 602 Einsätzen der Rekordspieler in der Fußball-Bundesliga

Rekordspieler „Charly" Körbel aus Dossenheim blickt kritisch auf überhitzte Fußball-Branche

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Michael Novak
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Umringt von seinen Kollegen präsentiert Karl-Heinz „Charly“ Körbel am 21. Mai 1980 nach dem Finalsieg über Borussia Mönchengladbach den Uefa-Pokal. © dpa

Dossenheim. Karl-Heinz Körbel aus Dossenheim ist bis heute mit 602 Einsätzen der Rekordspieler in der Fußball-Bundesliga. Der „Treue Charly“ spielte nur für Eintracht Frankfurt, vor 30 Jahren endete seine Laufbahn. Im Interview blickt der 66-Jährige zurück und äußert sich kritisch zur Entwicklung einer überhitzten Branche.

Herr Körbel, Gerd Müllers „ewiger“ Rekord ist durch Robert Lewandowskis 41 Saisontore Geschichte. Sorgen Sie sich, dass auch Ihre Bestmarke von 602 Bundesliga-Spielen mal fallen könnte?

Karl-Heinz Körbel: Dass 40 Tore geknackt würden, hielt ich für unmöglich. Nichts gegen Lewandowski: Doch lieber hätte ich gesehen, es wäre pari geblieben. Denn mein Bundesliga-Einstieg gegen Gerd Müller als damals weltbesten Torjäger war das Startkapital für meine Karriere. Wenn aber eine Verbesserung gelingt, hat derjenige es verdient. Sollte jemand wie Manuel Neuer (35 Jahre, 438 Bundesliga-Spiele, Anm. der Red.) meine Rekordzahl erreichen, wäre ich erster Gratulant. Für mich kann so viele Spiele nur noch ein Torhüter schaffen. Sicher bin ich, dass niemand mehr auf 602 Bundesliga-Spiele für nur einen Verein kommt wie ich.

Womit wir beim „Treuen Charly“ sind.

Körbel: Treue zählt zu den wesentlichen Werten, die Vereine niemals verkaufen dürfen. Heute bin ich froh, allen Angeboten widerstanden zu haben. Bundesliga-Rekordspieler zu sein, ist meine Marke, die Wertschätzung mit keinem Geld der Welt zu bezahlen: Der hat immer alles gegeben. Anders als bei Profis, die heute das Vereinswappen küssen und morgen weg sind.

Karl-Heinz „Charly“ Körbel

  • Geboren wurde Karl-Heinz Körbel am 1. Dezember 1954 in Dossenheim an der badischen Bergstraße. Hier spielt er für den FC Sportfreunde 1910, absolviert eine Lehre zum Industriekaufmann. 1972 erfolgt sein Wechsel zu Eintracht Frankfurt. Seine Bundesliga-Premiere feierte der Innenverteidiger als 17-Jähriger am 14. Oktober 1972 gegen Bayern München mit Gerd Müller (2:1).
  • Knapp 19 Jahre später bedeutet eine Gelbe Karte von Schiedsrichter Michael Prengel mit anschließender Sperre am 8. Juni 1991 beim FC St. Pauli das Karriereende. Mit 602 Spielen (45 Tore) für Eintracht Frankfurt und ohne Platzverweis, ist „Charly“ Körbel Bundesliga-Rekordmann. Davon bestreitet er 600 Einsätze in der Startformation.
  • Mit der Eintracht verbucht er vier DFB-Pokal-Siege (1974, 1975, 1981, 1988) und 1980 einen UEFA-Cup-Erfolg (heute Europa League). Für Deutschland bestreitet Körbel sechs A-, 10 B-, 5 Amateur- und 30 A-Jugend-Länderspiele. 1974 wird er mit dem DFB-Team Amateur-Europameister.
  • Körbel ist seit 44 Jahren mit Ehefrau Margarethe verheiratet. Sie haben eine erwachsene Tochter.

Vereinswechsel vor Vertragsende sorgen für Kritik.

Körbel: Wenn heute jemand wechseln will, wird er es schaffen. Vertrag ist nicht mehr Vertrag. Über Ausstiegsklauseln muss ein Verein absichern, dass er so wenigstens finanziell profitiert. Adi Hütter und Fredi Bobic haben super Arbeit geleistet. Aber natürlich schadet ein solcher allgemeiner Trend dem Fußball. Fans haben ein gutes Gespür. Deshalb müssen wir aufpassen! Aber schnell weg zur nächsten Station, früher eigentlich undenkbar, wäre mir selbst fast auch einmal passiert.

Wann war Ihr Abschied nahe, bei Angeboten wie von Bayern München und Atlético Madrid?

Körbel: Als Barriere existierte zunächst eine Liste, auf die jeder Verein zwei unverkäufliche Spieler setzen konnte, bei uns Jürgen Grabowski und mich. Vor einem Wechsel stand ich 1983, weil das neue Präsidium sich nicht an das hielt, was das vorherige bei meiner Vertragsverlängerung zugesagt hatte. Bruno Pezzey, ein Weltstar, wurde weggeschickt, Bum-Kun Cha verkauft. Deshalb meine Kündigung über einen Anwalt.

Was hat Sie umgestimmt?

Körbel: Bruno Pezzey machte mich im gemeinsamen Florida-Urlaub verrückt. Ich sollte mit ihm nach Bremen gehen. Klaus Schlappner wollte mich zum Bundesliga-Aufsteiger Waldhof holen. Dann verpflichtete die Eintracht doch Spieler wie Jan Svensson und Jürgen Mohr. Beeindruckt hat mich, dass der neue Trainer Branko Zebec anrief: Du wirst mein Kapitän! So hat es klick gemacht! Die Eintracht war doch meine zweite Familie.

Wie intakt ist Ihre zweite Familie aktuell?

Körbel: Sie hat Chancen genutzt, als Vorreiter beim Thema Digitalisierung. Die neue Geschäftsstelle ist schon Champions League. Ein Verdienst der Vorstände Axel Hellmann und Oliver Frankenbach. Die Eintracht ist gefestigter als andere Traditionsvereine, von denen immer mehr einbrechen.

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Welche Rolle spielt Ihre eigentliche Familie?

Körbel: Wenn ich sehe, welche unglaubliche Stärke meine Mutter mit 86 Jahren heute noch zeigt, weiß ich, wer mir ein Gesamtpaket mitgegeben hat, das mir bis heute zugutekommt. Wir hatten nichts! Mein Vater, der aus dem Sudentenland stammte, ist früh gestorben mit 56 Jahren. Jetzt denke ich: Du wolltest noch so viel mit ihm bereden. Er hat mich überall hingefahren: zu Spielen, Lehrgängen, meinem ersten Bundesliga-Spiel.

Wie war es für Sie als Bundesliga-Neuling?

Körbel: Mein sportlicher Baustein war die Substanz aus Jugend-Länderspielen. Ich spürte keine Angst, vor 50 000 Zuschauern aufzulaufen, weil ich schon vor 80 000 gespielt hatte. So kam auch eine meiner Stärken früh zum Tragen, unter Druck Bestleistungen zu bringen. Schnell habe ich gemerkt, dass mein Körper mein Kapital ist. Bis heute achte ich auf ordentlichen Lebenswandel. Anfangs fühlte ich mich aber wie in der Grundschule Bundesliga.

Weil gestandene Profis ein paar Klassen höher waren?

Körbel: Für damalige Jungsenioren wie Jürgen Grabowski, Bernd Hölzenbein und Bernd Nickel war ich Lehrling, der bereit war zu lernen. Ich habe zwei Jahre Koffer geschleppt, registriert, dass unser einziger Masseur reserviert war für die Älteren, die mich aber unterstützt und Druck von mir genommen haben.

„Niemals gehe ich zu diesem Verein“: Wie kamen Sie trotz dieses Schwurs nach Frankfurt?

Körbel: Mit meinem Vater als Eintracht-Fan war ich 1964 erstmals bei einem Bundesliga-Spiel. 0:7 gegen Karlsruhe, bis heute höchste Bundesliga-Heimniederlage der Eintracht. Meine Aussage stand. Vielleicht haben Blumen, die Geschäftsführer Jürgen Gerhardt meiner Mutter mitbrachte, für die Wende gesorgt. Die hatte es bei einem HSV-Angebot schon gegeben: Von der tollen Gemeinschaft daheim beim FC Dossenheim wurde ich so erdrückt, dass ich meine Zusage zurücknahm. Trotzdem ein cooles Erlebnis: Erster Flug, Probetraining gegen Uwe Seeler.

Mehr als sechs Länderspiele hätten es sein dürfen?

Körbel: Trotzdem habe ich viel gelernt. Mich wie ein Holzfäller neben Franz Beckenbauer gefühlt, der alles spielerisch beherrschte. Nur bei Erich Ribbeck als Trainer der B-Mannschaft ist mir der Kragen geplatzt. Immer wollte ich beim A-Team angreifen, habe aber hintenherum erfahren, dass ich eh keine Chance mehr bekommen würde. Da fühlte ich mich veräppelt: Karriere in der Nationalelf beendet. Die Teilnahme an einer Welt- oder Europameisterschaft hätte ich aber gerne erlebt. Oder Olympische Spiele. Heute weiß ich: Alles gesteuert - von Jesus Christus.

Wie wurde Ihnen das bewusst?

Körbel: Durch mehr Zeit in der Corona-Pandemie und, wie so oft, durch einen Schubser meiner Frau. Ich habe angefangen in der Bibel zu lesen, bin richtig zum Glauben gekommen. Weiß, dass Jesus Christus mir und meiner Familie immer geholfen hat. Anders als früher, als ich vor Spielen gebetet habe, stehe ich öffentlich zu meinem Glauben als neuem Kapitel, das ich aufgeschlagen habe. Die Verbindung zu Jesus Christus ist ein Geschenk. Dort kann ich Fragen abgeben und bekomme Antworten. Mir kann überhaupt nichts passieren. Auch vor dem Tod habe ich keine Angst.

Tiefpunkte haben Sie versöhnlich überwunden: Wie den Bruch mit der zweiten Familie nach Ihrer Entlassung als Trainer.

Körbel: Das dadurch zerrüttete Verhältnis zu Bernd Hölzenbein wurde beim 50. Geburtstag von Uli Hoeneß gekittet. Meine und Bernds Frau haben uns wieder zusammengebracht. In einer Sendung bei Reinhold Beckmann fand die Versöhnung mit Michael Prengel statt, der meine Karriere mit einer Verwarnung beendet hatte. Als die Szene gezeigt wurde, haben sich Franz Beckenbauer und Lothar Matthäus, die auch im Studio waren, einen Spaß gemacht: „Kein Gelb! Das war knallrot!“ Für mich fühlte es sich damals an, als wäre mein Lebenswerk beschädigt.

Dieses Lebenswerk wird durch die Eintracht-Fußballschule und -Traditionsmannschaft abgerundet.

Körbel: Die 20 Jahre alte Fußballschule haben über 50 000 Kinder durchlaufen. Ihnen Werte weiterzugeben, bleibt meine Aufgabe, in Verbindung mit der Traditionsmannschaft aus 50 früheren Spielern, die Eintracht-Geschichte geschrieben haben. Von 298 Begegnungen habe ich 160 bestritten. Vor mir liegen Cezary Tobollik mit 235 Einsätzen, Norbert Nachtweih mit 218, Uwe Müller mit 214 und Slobodan Komljenovic mit 168. Die Vier werden wir demnächst wohl mal vereinsintern sperren. Denn auch hier möchte ich Rekordspieler sein.

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