Mannheim. Reichlich Zündstoff und einiges an Diskussionsbedarf haben sich an den ersten zehn Spieltagen der Dritten Fußball-Liga angestaut. Eine der besonders intensiv besprochenen Szenen war die Rote Karte gegen Klaus Gjasula beim Spiel des SV Waldhof Mannheim gegen Rot-Weiss Essen. Diese Redaktion hat die Situation zum Anlass genommen, sich mit drei führenden Schiedsrichter-Funktionären auszutauschen. Knut Kircher, Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB Schiri GmbH, Florian Meyer, Sportlicher Leiter der Referees der Dritten Liga, und Marco Fritz, Leiter Evaluation, Beobachtungen und Regelauslegung standen Rede und Antwort.
Die ersten zehn Spieltage sind im Buch. Wie sieht das Schiedsrichterfazit zum Saisonstart aus?
Florian Meyer: In vielen Spielen hatten wir gute bis sehr gute Spielleitungen. Es gab aber auch einige Spielleitungen, mit denen wir nicht zufrieden waren, vorwiegend aufgrund von Einzelfehlern. Dabei ist die Fehleranzahl im Vergleich zur Vorsaison in etwa gleich geblieben. In die Bewertung der Gesamtleistung fließen Kriterien wie Spielmanagement, Spielverständnis, der Umgang mit den Beteiligten und die zahlreichen richtigen Entscheidungen genauso ein. Ein wenig negativ sticht allerdings der achte Spieltag heraus, der lief dann doch etwas unrund. Insgesamt sehen wir die Fortsetzung eines positiven Trends, den wir seit der Rückrunde der vergangenen Saison haben, und der betrifft den mittlerweile guten, respektvollen und verständnisvollen Umgang miteinander.
Sie haben den achten Spieltag angesprochen. Da gab es unter anderem die Szene mit Klaus Gjasula von Rot-Weiss Essen, der für sein Foul an Waldhof-Spieler Kennedy Okpala die Rote Karte sah und sich sehr darüber aufregte – genauso wie sein Trainer Uwe Koschinat. Wie bewerten sie das im Nachhinein?
Marco Fritz: Die Einstufung des Schiedsrichters vor Ort ergab ein „grobes Foulspiel“, was nach den Regeln eine Rote Karte nach sich zieht. Wir sind nach Ansicht des Videomaterials im Nachhinein zur Einschätzung gekommen, dass es sich lediglich um ein rücksichtsloses Foul gehandelt hat und eine Gelbe Karte die korrekte Entscheidung gewesen wäre. Ursächlich für die Schiedsrichterentscheidung vor Ort war die hohe Dynamik der Szene.
Knut Kircher: Dabei muss man bedenken, dass wir die Ansicht der Bilder haben – und der Schiedsrichter vor Ort nicht. Er hat lediglich seine erste Wahrnehmung und nach dieser muss er eine Entscheidung fällen.
Florian Meyer: An dieser Stelle sollte man auch einmal herausstellen, dass das Hauptansinnen des Schiedsrichters der Schutz der Spieler ist. Und an diesem Punkt müssen wir eine Verdopplung der Roten Karten im Vergleich zu demselben Zeitraum der Vorsaison feststellen. Auch die Anzahl der Gelben Karten, die für rücksichtslose Fouls gegeben wurden, hat sich erhöht. Wir sehen daran: In der Dritten Liga haben wir es mit hochintensiven Spielen und vielen komplexen Zweikämpfen zu tun. Das macht es besonders anspruchsvoll.
Auf Trainerseite wird in diesem Zusammenhang gerne von mangelndem Fingerspitzengefühl gesprochen. Sehen Sie diesen Punkt?
Florian Meyer: Wir verfolgen genau, was die Beteiligten rund um das Spiel sagen, wie sie Situationen einschätzen. Hier kommen wir an den Punkt, wo man auch darüber sprechen muss, wo Ursache und Wirkung begründet sind. Die Entscheidung des Schiedsrichters ist eine Reaktion auf die Spielweise – und wenn diese nun einmal zu hart ist und der Schiedsrichter entsprechende Signale sendet, dann ist es Chance und Botschaft, als Spieler etwas an der Spielweise zu ändern.
Also würden Sie sagen, mangelndes Fingerspitzengefühl ist kein Thema bei den Schiedsrichtern in der Dritten Liga?
Florian Meyer: Das kann man nicht pauschalisieren. Es gibt Spiele, die lassen aufgrund ihres Charakters eine großzügige Spielleitung und mehr Ermessensspielräume zu, und andere eben nicht. Wofür ich garantieren kann: Die Schiedsrichter-Coaches analysieren mit den Schiedsrichtern jede Situation, in der Karten gezeigt werden und besprechen, ob sie notwendig und sinnvoll eingesetzt wurden – oder ob auch mal eine Karte verzichtbar gewesen wäre.
Apropos besprechen: Was haben Sie sich denn als Schwerpunkte vor dieser Saison herausgepickt?
Marco Fritz: Das hängt immer von der Analyse der Vorsaison ab. Dieses Mal standen Halten im Strafraum und, passend zu unserem Thema, Rote Karten im Mittelpunkt. Zudem ging es um die Kapitänsregel und das Anlaufen von Schiedsrichtern, um sich zu beschweren. Hierzu gab es auch die Möglichkeit einer Schulung für Club-Verantwortliche, insbesondere Trainer, im Vorlauf des Saisonstarts.
Luc Holtz, Trainer des SV Waldhof, hat gesagt, er habe eine Gelbe Karte bekommen, obwohl er lediglich von seinem Sitzplatz auf der Trainerbank aufgesprungen sei . . .
Marco Fritz: Das kann ich mir nicht vorstellen. Bei so einer Verwarnung geht es immer um die Außenwirkung, also wie er aufspringt und ob er beispielsweise noch abwinkt dabei. Ein Aufspringen rein aus der Emotionalität heraus, dafür sollte es keine Gelbe Karte geben.
Knut Kircher: Ich möchte noch etwas zum Austausch ergänzen. Wir bieten den Trainern aller Drittligisten vor der Saison an, am Trainingslager der Schiedsrichter teilzunehmen und dort genau zu erfahren, wo die Schwerpunkte für die kommende Saison liegen werden. Da geht es nicht darum, etwas dogmatisch zu verkünden, sondern auch offen zu sein für die Sichtweisen der Trainer.
Und da waren alle Trainer dabei?
Knut Kircher: Nein.
Sondern?
Knut Kircher: Fünf.
Fünf von 20 – das ist ja keine besonders gute Quote…
Knut Kircher: Die nächste Gelegenheit gibt es im Winter. Dann können auch weitere Trainer ihre Sichtweisen einbringen.
Wir haben über die hohe Intensität und die vielen daraus entstehenden komplexen Situationen gesprochen. Wäre es nicht besser, auch in der Dritten Liga den Videobeweis einzuführen?
Knut Kircher: Auch wenn es nicht mehr so lange hin ist, haben wir noch nicht Weihnachten und entsprechend keinen Wunschzettel. Wir Schiedsrichter sträuben uns nicht gegen die Einführung. Es ist vielmehr so, dass das am Ende des Tages die Clubvertreter entscheiden, und da geht es natürlich vor allem auch um das Preisschild, das an so einem System hängt.
Wir haben über verschiedene Perspektiven gesprochen, von Spielern, Trainern, Schiedsrichtern. Wie stehen Sie zu Babak Rafati, einem Ex-Kollegen, der nach jedem Spieltag seine ganz eigene Beurteilung einzelner Szenen veröffentlicht?
Knut Kircher: Babak Rafati ist ein ehemaliger internationaler und Bundesliga-Schiedsrichter und wir alle kennen ihn aus seiner aktiven Zeit. Im Fußball-Business ist es so, dass wir eine große Meinungsvielfalt haben, und damit müssen wir leben, ob uns das gefällt oder nicht. Wir fokussieren uns auf die Leistung unserer aktiven Schiedsrichter und darauf, sie möglichst immer besser zu machen.
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