European Championships

Münchener Begeisterung als neuer Anstoß für deutsches Olympia?

Die erfolgreichen Europameisterschaften verschiedener Sportarten in München bringen deutsche Sportfunktionäre zum Nachdenken. Hat Deutschland nach sieben vergeblichen Anläufen wieder eine Chance auf Olympische Spiele?

Von 
Christian Rotter
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Volles Haus bei den European Championships: Auch bei den Beachvolleyball-Wettkämpfen auf dem Münchner Königsplatz blieb kaum ein Platz frei. © Soeren Stache/dpa

München. Karsten Warholm war einfach nur hin und weg. In der ganzen Euphorie wünschte sich der Olympiasieger und Weltrekordler über die 400 Meter Hürden, der in München seinen kontinentalen Titel verteidigte, „dass alle Leichtathletik-Europameisterschaften in Deutschland ausgetragen würden“. Manche gingen beim Anblick der proppevollen Sportstätten, begeisterten Sportler und überschwappenden Stimmung sogar noch einen Schritt weiter: Die European Championships in München mit gleich neun Titelkämpfen in elf Tagen weckten mancherorts die Lust auf Olympische Spiele in Deutschland. Auf Funktionärsebene aber reicht die Euphorie noch nicht aus, nach zahlreichen gescheiterten Bewerbungen einen erneuten Versuch zu wagen – zumal auch vonseiten der Bundespolitik ein eindeutiges Signal bislang fehlt.

Bei der Bundesregierung gibt es keine konkreten Pläne zu einer Bewerbung. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, man unterstütze die Perspektive einer solchen Bewerbung und sei dazu auch mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) im Austausch. „Aber weder ein Wann noch ein Wo sind da bisher konkret Thema gewesen.“

Ein erster Baustein

Für DOSB-Chef Thomas Weikert sind die Championships ein Baustein für eine neue Bewerbung. „Ich denke, man kann auch Olympische Spiele ausrichten, ohne einen Gigantismus zu haben. Hier ist eine sehr gute Veranstaltung mit neun Sportarten und man sieht, dass man darauf gut aufbauen kann“, sagte der Funktionär der ARD-Sportschau.

Rüdiger Harksen sieht das ähnlich. „Die European Championships haben gezeigt, dass Deutschland ein hervorragendes Gastgeberland ist“, betont der Leistungssportchef der MTG Mannheim. Der 67-Jährige ist ein „Kind der Olympischen Idee“. Er war als Trainer siebenmal bei Olympia dabei und bereitete Leichtathletinnen und Leichtathleten für zehn dieser Karrierehöhepunkte vor. Bis 2032 sind die Olympischen Sommerspiele (2024: Paris, 2028: Los Angeles, 2032: Brisbane) vergeben, Olympia 2036 in Deutschland wäre für Harksen ein „Zeichen an die Welt: 100 Jahre nach den Nazi-Spielen könnte sich Deutschland als das Land präsentieren, das es ist: demokratisch und freiheitsliebend.“

Karla Borger tritt auf die Euphoriebremse. „Ich glaube, wir müssen ein bisschen die Kirche im Dorf lassen. Ich will nicht sagen, dass ich nicht gerne Olympia in Deutschland hätte – das wäre total genial. Aber ich denke, dass erst einmal andere Sachen geklärt werden müssen und einige Zielstellungen vielleicht auch formuliert werden müssen“, sagte die Beachvolleyballerin, die auch Präsidentin des Vereins Athleten Deutschland ist. Man solle den Schwung der European Championships lieber erst einmal mit in die Vereine, in den Nachwuchs nehmen. „Das heißt ja noch nicht, dass dieser Sport jetzt in der Gesellschaft angekommen und akzeptiert ist, weil einmal die Hütte voll ist – das soll nicht despektierlich klingen.“

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Im historischen Olympiapark hatten die Organisatoren zeitweise Mühe, den Publikumsandrang zu regulieren. In der ausverkauften Olympiahalle bejubelten 9000 Menschen die goldenen Übungen von Emma Malewski (Chemnitz) und der Altlußheimerin Elisabeth Seitz. Auf dem Königsplatz beim Klettern feierten 5000 Fans eine Party. Beim Straßenrennen feuerten offiziellen Angaben zufolge 110 000 Menschen die Radfahrer an und am Bahnrad-Oval waren an allen Entscheidungstagen die 1700 Plätze besetzt.

„Das war cool. Es hat richtig Spaß gemacht. Man fährt über die Ziellinie und wenn man gewinnt, freuen sich die Leute. Die stehen da und rufen den Namen, Deutschlandflaggen – ich habe jedes Mal Gänsehaut bekommen“, sagte Bahnrad-Weltmeisterin Emma Hinze (Cottbus), mit gleich drei Titeln einer der deutschen Stars von München. Doch nicht nur deutsche Sportlerinnen und Sportler waren begeistert. „Wahrscheinlich die beste Atmosphäre, in der ich je geklettert bin“, sagte der tschechische Szenestar Adam Ondra, der Bronze im Bouldern und Gold im Lead gewann.

Funktionierendes Konzept

Richard Ringer, zum Auftakt der Leichtathletik-Titelkämpfe Marathon-Sieger, zeigte sich wie andere deutsche Sportler als Fan der European Championships. „Bei den European Games sieht man ja, wie das Konzept funktioniert, wenn du nicht ganz so viele Sportarten aufeinander hast. Das ist ein Riesenevent“, sagte der Rehlinger, gab aber auch zu bedenken: „Olympische Spiele in der heutigen Zeit, das ist schon echt enorm.“ Man müsse überlegen, warum das kaum einer mache.

Sieben gescheiterte Bewerbungen seit den Olympischen Spielen in München vor 50 Jahren haben die deutsche Sportführung zwar nicht mutlos, aber dennoch vorsichtig gemacht. Zuletzt war insbesondere die mangelnde Zustimmung in der Bevölkerung ausschlaggebend dafür, dass eine deutsche Olympia-Kandidatur fehlgeschlagen ist – nicht zuletzt wegen der enormen Kosten, die auf den Steuerzahler zukommen.

Selbst das Multi-EM-Event in München verschlingt rund 100 Millionen Euro, für die ebenfalls zu einem großen Teil die öffentliche Hand aufkommt. Und genau dies ist der Punkt, an dem auch Harksen einhakt: „Die Welt hat gerade andere Probleme. Um in der Bevölkerung Rückendeckung für eine Olympia-Bewerbung zu erhalten, müssen alle kritischen Punkte geprüft werden. Es muss gezeigt werden, dass keine Unsumme investiert werden muss. Ich habe das Gefühl, dass auch das Internationale Olympische Komitee von der Idee abgekommen ist, dass immer schwindelerregendere Summen aufgerufen werden müssen.“

DOSB-Chef Weikert kündigte an, dass der Dachverband sich mit dem Thema Olympia befassen werde. Bei der DOSB-Mitgliederversammlung im Dezember soll ein möglicher Prozess für eine Olympia-Bewerbung präsentiert werden. „Das heißt aber nicht, dass wir uns direkt bewerben“, sagte Weikert. Stattdessen solle transparent und ergebnisoffen diskutiert werden, „ob und unter welchen Voraussetzungen eine erneute Bewerbung Deutschlands überhaupt Sinn macht. Oder eben nicht“, sagte Weikert der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. Der Gigantismus der jüngeren Vergangenheit sei out, Nachhaltigkeit hingegen in. Mittlerweile habe auch der Letzte erkannt, „dass es keine megateuren Prachtbauten braucht, in denen wenige Jahre später Unkraut wuchert“.

Das Bündnis NOlympia sieht trotz der Euphorie in München keine Grundlage für Olympische Spiele in Deutschland. „Die Rahmenbedingungen haben sich seit den letzten Bewerbungen nicht verändert: Das Internationale Olympische Komitee ist immer noch das gleiche, inklusive Knebelverträgen, die die finanziellen Risiken auf die Austragungsorte abwälzen nach dem Motto „Gewinne behalten wir, Verluste tragen die anderen“, sagte NOlympics-Sprecherin Katharina Schulze. Zudem betreibe das IOC eine massive Kommerzialisierung der Spiele. Dagegen stünden die European Championships für ein Konzept, welches auf Gigantomanie verzichte. Die Wettkämpfe fügten sich gut in die Stadt ein, so Schulze. (mit dpa)

Redaktion Koordinator der Sportredaktion

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