Mannheim. Er gilt als das Original unter den Bundesliga-Trainern: Peter Neururer hat in über drei Jahrzehnten unzählige Vereine in der ersten und zweiten Liga betreut und ist bekannt für klare Worte, markige Sprüche – und seinen ganz eigenen Blick auf das Geschäft. Im Interview spricht der 70-Jährige über die sinkende Halbwertszeit von Trainern, die Veränderungen im Fußball und verrät, warum er für einen Trainer mit Ausstiegsklausel nur eine Antwort hätte.
Herr Neururer, lassen Sie uns über Trainer reden. In der Bundesliga waren nach drei Spieltagen zwei Übungsleiter ihren Job los, in der zweiten Liga mussten auch schon zwei Trainer gehen. Warum ist die Halbwertszeit in diesem Beruf so gering geworden?
Peter Neururer: Das liegt in erster Linie an der Schwäche der jeweiligen sportlichen Führung. Offenbar haben sich diese Personen im Vorfeld nicht die richtigen Gedanken gemacht über denjenigen, den man verpflichtet hat. Dann werden Zielsetzungen nicht mehr vom Trainer ausgegeben, sondern von Sportdirektoren, Kaderplanern oder Präsidenten. Aber das eigentlich größte Problem ist, dass Trainer eigentlich keine Trainer mehr sind.
Wie meinen Sie das?
Neururer: Die sind Übungsleiter, die die Mannschaft aufstellen. Ein Trainer zu sein, bedeutet für mich, auch in der Verantwortung zu sein, den Kader zusammenzustellen. Ich war immer maßgeblich an der Verpflichtung jedes Spielers und auch an der Zielsetzung beteiligt. Heute verpflichtet ein Sportdirektor, Manager oder was auch immer die Mannschaft. Ob da jetzt immer viel Fachkompetenz dabei ist, sei mal dahingestellt. Und dann wird dieser Kader dem Trainer übergeben. Der soll seine Spielidee umsetzen – aber ist auch als Erster weg, wenn es nicht läuft. Ich hatte in meinen 30 Jahren als Trainer nur einmal einen Spieler bekommen, den ich nicht wollte.
Welcher Spieler war das denn?
Neururer: Goran Vucevic beim 1. FC Köln, das war in der Saison 1997/98. Das war ein Mittelfeldspieler, der vom FC Barcelona kam. Unser damaliger Manager Carl-Heinz Rühl wollte den unbedingt haben. Ich nicht. Letztlich hat Rühl sich kraft seines Amtes durchgesetzt. Die Konsequenz war, dass Köln erstmals aus der Bundesliga abgestiegen ist. Den Abstieg hab‘ ich glücklicherweise nicht mehr mitgemacht, weil ich vorher schon beurlaubt wurde.
Allerdings werden ja auch für Trainer mittlerweile Ablösesummen gezahlt, etwa für Fabian Hürzeler, der als St. Paulis Aufstiegs-trainer nach England wechselte. Haben auch die Trainer nicht ihren Anteil an der Entwicklung, dass ihnen weniger Zeit zugestanden wird?
Neururer: Natürlich spielt das auch eine Rolle. Ich kann es nicht verstehen, wenn ein Trainer im Gespräch mit einem Sportdirektor um eine Ausstiegsklausel bittet. Wenn ein Trainer das bei mir machen würde, und ich wäre Sportdirektor, würde ich sagen: ‚Da vorne ist die Ausstiegsklausel, sie nennt sich Tür. Auf Wiedersehen.‘ Wie soll ich denn als Trainer, der sich eine Ablösesumme festschreiben lässt, meinem Spieler erklären, dass er in diesem Verein Leistung bringen und zu seinem Vertrag stehen soll? Da werde ich doch selbst unglaubwürdig. Und da habe ich bei einigen Kollegen auch keinerlei Verständnis.
In Augsburg wurde es nach vier Niederlagen in Folge auch unruhig um Sandro Wagner. Sie haben ihn beim MSV Duisburg trainiert. Wie verfolgen Sie seine Karriere?
Neururer: Intensiv. Er ist ja, wie Sie sagen, ein ehemaliger Spieler von mir. Und er war damals schon ein extrovertierter Typ. Das finden manche gut, andere nicht. Natürlich ist es gewöhnungsbedürftig, wenn er nach dem Spiel gegen die Bayern sagt, dass der FC Augsburg in allen Bereichen gleich gut aufgestellt ist. Da wollte er seinen Verein auf ein gewisses Level heben, hat das aber in dem Moment intellektuell nicht so gut verkauft. Klar kommen seine Aussagen für manche, die ihn nicht kennen, arrogant rüber. Klar hat er eine große Klappe. Aber wir sollten doch auch mal froh sein, dass einer Klartext spricht. Ich glaube auf alle Fälle, dass er eine gute Karriere hinlegen kann.
Über Neururer
Peter Neururer kommt als Trainer von unter anderem Köln, Bochum und Hannover auf über 600 Spiele im Profifußball. Sein größter Erfolg war der Einzug in den UEFA-Pokal 2004 mit dem VfL Bochum. Der 70-Jährige arbeitet als TV-Experte und Trainer.
Viel Aufsehen gab es um Wagners Bla-Bla-Geste nach dem Sieg gegen Wolfsburg. Wie sehen Sie diese Szene?
Neururer: Wer ihn neutral beobachtet, fragt sich natürlich, was das soll. Wer ihn subjektiv beobachtet, kann ihn dann in die Pfanne hauen. Er hat es eben in diesem Moment so empfunden. Klar generiert das wieder Aufmerksamkeit.
Eben daran entzündet sich auch die Kritik an ihm. Statt über den Sieg des FCA reden nun viele wieder über Wagner.
Neururer: Ja, stimmt schon. Aber ich habe meine ganze Karriere über nie Spitzenteams trainiert, sondern meistens nur solche, die entweder nicht absteigen oder wieder aufsteigen sollten. Und ich hatte immer ein wahnsinnig großes Maul. Ein Großteil der Menschen hat gesagt: So bist du eben, das ist authentisch. Andere haben gehofft, dass ich mal wieder ein Spiel verliere. Letztlich lag der Druck immer bei mir. Das ist bei Sandro ähnlich und auch ein Vorteil für die Spieler.
Gegenüber dem „Spiegel“ sagte Wagner auf die Frage, was er sich von seinen Ex-Trainern abgeschaut hat: „Peter Neururer in Duisburg hat das Spiel mit den Medien beherrscht wie kein Zweiter.“ Wie viel Neururer steckt in Wagner?
Neururer: Generell freut es mich, wenn Sandro bei mir etwas mitnehmen konnte. Ich hoffe, er hat auch aus den Dingen was gelernt, die ich schlecht gemacht habe (lacht). Aber Sandro soll seinen eigenen Weg gehen und authentisch bleiben, das ist das Wichtigste.
Droht in der Bundesliga Langeweile? Die Bayern sind ja anscheinend nicht zu stoppen.
Neururer: Die Bayern sind in der Bundesliga nicht zu schlagen. Natürlich gibt es den Faktor Verletzungspech. Aber der spielt eher für die Bayern – denn mit Musiala und Davies kommen ja sogar noch zwei Weltklassespieler hinzu, sobald die wieder fit sind. Aber die Bewertung der Saison findet bei Ihnen ohnehin in einem anderen Wettbewerb statt. Es ist eine gute Saison, wenn sie in der Champions League mindestens das Halbfinale erreichen.
Eine Liga weiter unten macht es der FC Schalke nicht schlecht. Dort sind sie immer noch Vereinsmitglied. Was ist da drin in dieser Saison?
Neururer: Seitdem Clemens Tönnies nicht mehr da ist, hat dieser Verein einen im deutschen Fußball beispiellosen Niedergang erlebt. Im Augenblick bringt die Mannschaft ihre Qualität auf den Platz. Das reicht möglicherweise, um oben mitzuspielen. Aber den Aufstieg als Ziel auszugeben, wäre eine Katastrophe. Denn wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, droht wieder alles zusammenzubrechen. Sollte es wirklich klappen mit der Bundesliga-Rückkehr, wäre das auch eine Gefahr für die Mannschaft. Um in der ersten Liga mitspielen zu können, braucht sie mindestens zehn neue Spieler. Generell hoffe ich, dass die gute Linie, die der neue Sportvorstand Frank Baumann hereingebracht wird, fortgeführt wird. Denn alle anderen, die das Chaos angerichtet haben, sind ja noch da.
Was ist der Stand der Dinge in ihrer Trainerkarriere?
Neururer: Ich bin gerade auf dem Weg zum Training. Für meinen Hauptsponsor trainiere ich eine Amateurmannschaft. Dazu betreue ich weiterhin die Mannschaft der vertragslosen Spieler, die über die Gewerkschaft VDV organisiert ist. Ziel ist es, vertragslose Spieler wieder zu einem Verein zu vermitteln, die Erfolgsquote liegt bei 80 Prozent. Aber ich habe im Profibereich keine Ambitionen mehr, selbst als Trainer zu arbeiten – aus den eingangs erwähnten Gründen. Bei einer Stelle als Sportdirektor sähe das anders aus, aber dafür müsste es auch ein vernünftiges Angebot sein.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/sport_artikel,-sport-peter-neururer-im-interview-ich-hatte-immer-ein-wahnsinnig-grosses-maul-_arid,2333966.html