Sport und Grundgesetz

Sollte das Staatsziel Sport in die Verfassung?

Um den Sport in Deutschland ist es nicht gut bestellt. Der Staat sollte daher daran erinnert werden, gesunde Lebensbedingungen bereitzustellen. Ein Gastbeitrag des Sportsoziologen und Sportentwicklungsplaners Robin Kähler

Von 
Robin Kähler
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Dass Sport gut für die Gesundheit ist, gilt als unbestritten. Reicht das für die Aufnahme ins Grundgesetz? © Andreas Arnold/dpa

„Der Staat schützt und fördert den Sport.“ Mit diesen oder ähnlichen Worten ist der Sport bereits in 15 der 16 Verfassungen der Bundesländer verankert. Der organisierte Sport und viele Fachexperten fordern nun, den Sport als Staatsziel auch in das Grundgesetz aufzunehmen. Denn die Situation des Sports in den Vereinen, Schulen und Kommunen ist so problematisch, dass man hofft, mit einem Staatsziel Sport mehr Unterstützung zu erhalten. Ist ein solches Staatsziel dafür geeignet?

Zunächst zum Verständnis: Ein Staatsziel ist kein Gesetz, sondern begründet, wie das Bundesverfassungsgericht sagt, eine Pflicht des Staates, sich auf die Verfolgung eines bestimmten Ziels - hier die Förderung des Sports - festzulegen, ohne den Bürgern subjektive Rechte zu gewähren. Es richtet sich an den Staat als Ganzes und dient als Richtlinie, Auslegungs- und Orientierungshilfe für Staatsorgane. Dem Gesetzgeber bleibt ein weiter Gestaltungsspielraum, in welchem Umfang oder welcher Form er diese Aufgabe erfüllen will.

Sport gehört zur Daseinsvorsorge

Im Gegensatz zu den Grundrechten, die dem Einzelnen subjektive, einklagbare Rechte verleihen, sind Staatsziele daher nur Willensbekundungen. Mit Hinweis auf ein Staatsziel Sport kann jedoch Einfluss auf die politische Willensbildung und öffentliche Meinung genommen werden. Ein solches Staatsziel könnte den Bemühungen der Interessenverbände des Sports um mehr Förderung erheblich nützen. Deren Argumente stützen sich auf den besonderen gesellschaftlichen Wert des Sports.

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Karsten Kammholz
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Dem Sporttreiben der Menschen in Vereinen, Bildungseinrichtungen und bei selbst gewählten Anlässen werden viele positive Wirkungen zugeschrieben. Es wirke, so wird argumentiert, integrierend, gesundheitsfördernd, gemeinschaftsbildend, identitätsstiftend, sorge für den Zusammenhalt der Gesellschaft, vermittle Leistungserfahrungen, Werte und Tugenden wie Fairness, Gerechtigkeit, das Einhalten von Regeln, stärke die Demokratie, sei für alle Menschen zugänglich - unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, sozialer Lage, Beeinträchtigung und Glaube - und stelle auch einen großen Wirtschaftsfaktor dar. Der Sport in seinen vielfältigen Erscheinungsformen übernähme damit öffentliche, gemeinwohlorientierte Aufgaben und stelle Leistungen bereit, die für ein menschliches Dasein notwendig sind. Der Sport habe daher in seiner Funktion als Daseinsvorsorge die Qualität eines Grundwertes unserer Verfassung erlangt.

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Obwohl die Gemeinwohlwirkungen des Sporttreibens bisher noch zu wenig untersucht und belegt sind und es auch viele negative Erfahrungen mit dem Sport gibt, scheint es einen gesellschaftlichen Konsens über seinen Wert und den politischen Willen zu geben, diesen staatlich zu fördern. Bund, Länder und Gemeinden investieren daher im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erhebliche Steuermittel in die Bereitstellung von Personal, Sportstätten und Bewegungsräumen im öffentlichen Raum sowie Einrichtungen für den Schul-, Vereins- und den individuellen Sport der Menschen.

Keine Absicht zu erkennen, den Sport ins Grundgesetz zu bringen

Die Förderung des Sports geschieht unabhängig von einem besonderen Staatsziel Sport. Sie lässt sich aber aus den Grundrechten in der Verfassung ableiten. Als Beispiel seien hier die Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Leben (Art. 2), die Gleichberechtigung (Art. 3), Vereinigungsfreiheit (Art. 9), Freizügigkeit (Art. 11), das Sozialstaatsprinzip (Art. 20) und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a) genannt. Sie lassen allen Menschen die Freiheit, Sport zu treiben, Sportvereine zu bilden, und verpflichten die staatlichen Organe zur Bereitstellung geeigneter Rahmenbedingungen.

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Die Sportförderung bedarf also nicht einer besonderen Legitimation und Absicherung durch ein Staatsziel Sport. Es gibt im Grunde keine Regelungslücke in der Verfassung. Die politische Lage lässt derzeit auch nicht erkennen, dass es im Bundestag die Absicht oder gar eine Mehrheit dafür gäbe, das Staatsziel Sport in das Grundgesetz aufzunehmen. Das betonte erst kürzlich die Bundesregierung, als sie den ersten nationalen Entwicklungsplan Sport vorstellte. Eine Empfehlung für ein Staatsziel Sport fand man darin nicht.

Staatliche Sportförderung erreicht Großteil der Bevölkerung nicht

Wie kann aber die Sportförderung zukünftig verstärkt werden? Denn die Probleme des Sports sind gewaltig. Laut KfW besteht beispielsweise in den staatlichen Sportstätten ein Sanierungsstau in Höhe von fast 10 Milliarden Euro. Kinder, Ältere und Menschen, die wenig Geld haben, in beengten räumlichen Verhältnissen leben, gesundheitlich belastet sind, mit Behinderungen leben müssen, keinen geregelten Sportunterricht erleben, aus anderen Kulturen kommen, in verdichteten urbanen Räumen und im ländlichen Raum leben, haben kaum oder keine Chancen zur Teilnahme am Sport.

Die staatliche Sportförderung erreicht einen Großteil der Bevölkerung nicht. Der Staat vernachlässigt damit seine grundgesetzliche Pflicht, allen Menschen gesunde, chancengleiche Lebensbedingungen bereitzustellen. Wenn kein Staatsziel Sport hilft und es keine politischen Mehrheiten für mehr Förderung gibt, dann bleibt nur noch eine Klage vor dem Verfassungsgericht. Sie bezweckt, den Staat an die Erfüllung seiner grundgesetzlichen Aufgaben zu erinnern und zu verpflichten, allen Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, Sport zu treiben.

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