Leserbriefe Meinungsfreiheit, ein Opfer des Zeitgeistes?

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Eine emotional aufgeladene gesellschaftliche Stimmung in unserem Land ist unverkennbar, ideologische Gräben tun sich auf und unüberwindbar scheint die Mauer der gegenseitigen Abgrenzung, wo sehr schnell mit Begriffen wie Rassist, Querdenker, Antisemit, Nazi oder Verschwörungstheoretiker agiert wird und somit Feindbilder generiert werden. Es wird zunehmend schwierig mit verbalen Bekundungen, denn überall lauert der Shitstorm, wenn unreflektierte Äußerungen die Runde machen. So stellen sich zwangsläufig die Fragen: Was kann und was darf man in diesen Zeiten überhaupt noch sagen? Was soll und was muss man gerade in diesen Zeiten unbedingt sagen? Wie gefährdet ist die Meinungsfreiheit?

Möglicherweise liegen die Gründe hierfür in der stetig sich verändernden öffentlichen Wahrnehmung, was auch als Zeitgeist definiert werden könnte. Doch was ist der Zeitgeist? Zeitgeist ist wohl das, was in einer bestimmten Zeit kulturell, religiös, politisch oder intellektuell vor sich geht. Der Zeitgeist unserer Ära ist somit geprägt von der Globalisierung der Informationen, zunehmender Konnektivität und einem Wandel der Wirtschaftsstrukturen, wobei die Themen Nachhaltigkeit, Inklusivität und Individualität sowie Cybersicherheit und Datenschutz die vorherrschenden Herausforderungen sind. Jede Nachricht, mit der man sich beschäftigt und auseinandersetzt, verändert ja auch faktisch die Situation, in der man sich befindet, denn Medien beeinflussen unser Denken.

Doch die allgemeine Wahrnehmung im öffentlichen Diskurs zeigt, dass bei verbalen Auseinandersetzungen ein respektvoller Umgang und rationale Argumente oft fehlen, vielmehr greifen ideologisches Denken und sachliche Inkompetenz, wobei Sprache und Symbole extrem polarisieren.

In einem Auszug aus Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es zwar: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“, doch in der Realität hat sich diesbezüglich einiges verschoben. Es herrscht oft die irrige Meinung vor, dass Meinungsfreiheit auch das Recht von Abwesenheit von Kritik bedeutet, doch dem ist nicht so. Auch eine scharfe Kritik an einer Begrenzung der Meinungsfreiheit durch Political Correctness lässt sich festmachen.

Die Grundrechte sind sicherlich eine große, wenn nicht sogar die größte Errungenschaft unserer demokratischen Republik. Sie können mehr, als man denkt – und weniger, als man sich manchmal wünscht. Und beides ist gut so. Dazu gehört aber auch, dass wir anerkennen und ertragen müssen, dass durch die Meinungs- und Redefreiheit auch unwahre Tatsachenbehauptungen geschützt werden, denn Freiheit und freie Meinungsäußerung beinhaltet auch das Recht, anderen auch das zu sagen, was sie nicht hören wollen.

Beobachtet man unter diesem Aspekt die Entwicklung in der politischen und gesellschaftlichen Debatten-Landschaft, so muss man mit Erschrecken feststellen, dass eine Debatten-Kultur zusehends schwindet. Beleidigungen, Verleumdungen und rassistische Parolen scheinen sich inzwischen als „normaler“ Umgangston zu verfestigen, was an die dunkelsten Seiten der deutschen Historie erinnert. Wir erleben eine massive Einschüchterung der freien Meinungsäußerung, wo letztlich die gelebte Demokratie sowie Empathie, Wertschätzung und respektvoller Umgang auf der Strecke bleiben. Eine derartige Entwicklung kann doch nicht die Zukunft rechtsstaatlicher Demokratie sein, denn Demokratie braucht den Meinungsaustausch.

Die Protagonisten dieser Entwicklung sollten sich hinterfragen, ob der derzeitige Weg denn überhaupt zukunftsweisend sein kann. Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Vertrauen, die Grundpfeiler demokratischen Denkens und Handelns, werden derzeit leichtfertig verspielt und die Befindlichkeit der Bürger an der Basis nicht mehr wahrgenommen. Die Wankelmütigkeit der Politikverantwortlichen ist nicht mehr nachvollziehbar, denn es stehen offensichtlich nur noch die Einzelinteressen von Personen und Parteien im Fokus und Inhalte sind nur noch marginal wahrnehmbar. Greifen mittlerweile nur noch egoistische Mechanismen mit dem obersten Ziel: Einfluss und Machterhalt um jeden Preis? Leider scheinen inzwischen Slogans wie „Maga – Make America great again“ in weltweit vielen Staaten, als einziger Maßstab politischen Handelns zu gelten und auch adaptiert zu werden. Nationales Denken bleibt sicherlich wichtig und ist grundsätzlich auch begrüßenswert, aber rein nationalistisches Handeln ist in höchstem Maße verwerflich. Es wäre daher wünschenswert und an der Zeit, dass Zwischenmenschlichkeit und Altruismus im politischen und gesellschaftlichen Miteinander wieder mehr Priorität bekämen, um ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten – weniger ‚ich‘ und viel, viel mehr ‚WIR‘ sollte die Maxime und der Mensch immer im Mittelpunkt sein.

Doch leider erleben wir nur allzu oft, dass von den politisch maßgeblich Verantwortlichen zwar vollmundige Versprechen geäußert und diese auch noch als herausragend und zukunftsweisend gepriesen werden, aber meistens sind die eloquent vorgetragenen Argumente nur substanzlose Absichtserklärungen, wenn in der Konsequenz die praktische Umsetzung nicht erfolgt und der allseits geforderte Aufbruch und eine notwendige Neuorientierung ausbleiben. Wo bleibt visionäres Denken und zeitbezogenes Handeln?

Mein Vorschlag an die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen in unserem Land lautet daher: Werft alte Denkstrukturen über Bord und überwindet das unsägliche, althergebrachte und sture Lobby- und Parteigeschachere um Macht, Einfluss, Geld, Positionen und Pöstchen, denn zeitgemäße und zukunftsorientierte Politik braucht auch zeitgemäßes und weitblickendes Denken, Visionen eben. Es gibt in allen demokratisch gewählten Parteien und Gruppierungen genug fähige und intelligente Köpfe, also Personen mit Visionen und realistischem Weitblick. Bündelt diese intellektuellen Ressourcen interessen- und parteiübergreifend und macht endlich zukunftsgerichtete und humane Politik für alle, unabhängig von Grenzen, Ethnien, Religionen, Parteien und Interessensgruppen jedweder Art – der Mensch und ein allseits menschenwürdiger Umgang muss wieder im Mittelpunkt stehen. Ein einfach ‚Weiter so!‘ wäre fatal. Das politische Handeln muss wieder verständlich, nachvollziehbar und vor allem glaubwürdig werden und an der Basis ankommen, denn nur so kann verspieltes Vertrauen zurückgewonnen werden und echte Demokratie wachsen, denn „Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut.“ (Laotse, chinesischer Philosoph).

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Gerhard Kiermeier,
Ort
Hockenheim
Datum

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