50 Jahre Deutsch-Französische Freundschaft - Geschichte vergegenwärtigen heißt auch die Flamme der Erinnerung erhalten / In Saint-Dié treffen sich jährlich ehemalige Zwangsarbeiter und deren Nachfahren Zwangsarbeit zwischen Suppe und Bomben

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Eine Seite aus dem Tagebuch von Zwangsarbeiter Hubert Andersen.

© Archiv Betz

Anlässlich der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der deutsch-französischen Freundschaft zwischen Schwetzingen und Lunéville scheint es auch geboten, an die ganz anders gelagerten Verhältnisse zur Zeit des Zweiten Weltkriegs zu erinnern. Hier wurden in so manchem Betrieb französische Zwangsarbeiter eingesetzt und in verschiedenen Lagern untergebracht. Ebenso in Plankstadt. Und Beziehungen zwischen deutschen Frauen und französischen Kriegsgefangenen wurden als "verbotene Lieben" verfolgt und bestraft (die SZ berichtete).

Vor Kriegsende in Schwetzingen

Einige der 1400 Franzosen, die im November 1944 aus der Vogesenstadt Saint-Dié nach Mannheim zur Zwangsarbeit verschleppt wurden, mussten in Schwetzingen arbeiten. Die Zwangsarbeiter wurden hier in Baracken und umgenutzten Gaststätten untergebracht. Die Erkenntnisse über die französischen Zwangsarbeiter verdanken wir vor allem dem Historiker und Lehrer Dr. Peter Koppenhöfer und seinen Schülern, aus deren Veröffentlichungen wie dem französisch-deutschen Buch "Die Männer von Saint-Dié" (Herbolzheim/Freiburg 2000).

Zudem gab der Vorsitzende der Vereinigung der Verschleppten, der Association des Déportés de Mannheim, Hubert Andersen, 1927 in Saint-Dié geboren, zur Verschleppung zur Zwangsarbeit von Saint-Dié nach Mannheim und in die Region, in Schwetzingen im März 1995 bei einer AFS-Veranstaltung Auskunft. Er lebt heute nicht mehr.

Zuvor bei Lanz in Mannheim eingesetzt und untergebracht im "Lager" Diesterwegschule, zählte er am Schluss noch zu den hierher Verbrachten. Denn im März 1945 wurde eine Gruppe Franzosen mit der Bahn ins Reichsbahn-Ausbesserungswerk gebracht, in dem nun kaum noch gearbeitet wurde. Andersen hatte damals Geschwüre, war krankgeschrieben und viel mit Nahrungszufuhr und der Erhaltung seiner Kleidung befasst. Aufschlussreich in Bezug auf die Bedingungen der Zeit des Kriegsendes sind seine Tagebucheinträge, aus denen die folgenden Auszüge stammen:

Freitag, 16. März: Ich kehre [ins Lager] zurück und erfahre von meinem Abtransport zusammen mit 90 Kollegen um 7 Uhr nach Schwetzingen (60) und 30 weiter nach Graben-Neudorf. ... Wir kommen nach Neckarau, um in den Zug zu steigen, um 9 Uhr Alarm bis 11 Uhr abends ... Dann Abfahrt um 1 Uhr, wir fahren bis halb drei, um 8 km zu machen, nach Schwetzingen.

Samstag, 17. März: Da bleiben wir bis 7 Uhr in einem Luftschutzraum vor dem Bahnhof, dann gehen wir ins Lager - ein altes Gefangenenlager bei der Fabrik für Waggonreparatur. Wir richten uns ein, dann bekommen wir die Brühe und einen Brotlaib. Dann wenig später die Mittagssuppe aus Rüben und Kartoffeln, die aber gut gekocht sind. Dann verbringen wir auf die gleiche Weise den Nachmittag, und am Abend mache ich einen Ausflug nach Plankstadt, wo wir zwei Halbe trinken.

Sonntag, 18. März: Nachdem wir fertig sind, gehen wir zur Neun-Uhr-Messe in Plankstadt. Dann, nach der Suppe gehe ich nach Mannheim - unter großen Schwierigkeiten, um meinen Verwandten Gégène zu besuchen, unter dauernden Alarmen ...

Dienstag, 20. März: Die Tage ähneln sich alle, man wird bombardiert und beschossen, dann vergehen die Tage ohne Arbeit. ...

Nachts im Wald

Über die letzten Tage ergänzte Hubert Andersen aus der Erinnerung: "Als wir da [am 24. März] am Schwetzinger Bahnhof waren, ließ man uns entlang der Straße pilgern mit unserem ganzen Gepäck. Wir hatten einen Elsässer, der so gut deutsch wie französisch sprach, er ließ uns eine kleine Gruppe von vier oder fünf bilden. ... Er sagte, ... wenn die Straßenbahn kommt, werden wir hineinspringen. Das ist uns gelungen... Bei der Ankunft in Heidelberg ist unser Elsässer mit uns auf den Bahnhof, er hat das Gepäck zur Aufbewahrung gegeben... Dann haben wir uns in den Wald geflüchtet, wir sind die ganze Nacht im Wald geblieben, haben da geschlafen. Am anderen Tag, als die ganzen Truppen das Tal hinauf nach Mosbach gezogen sind, sind wir wieder heruntergekommen und haben unser Gepäck abgeholt. Es gab keinen Deutschen mehr, keine Soldaten mehr. Es gab kein Militär mehr, wir sind also nach Schwetzingen zurückgekehrt. Der Elsässer hat den Bürgermeister von Schwetzingen gefunden, der hat uns bei Einheimischen untergebracht... Ich war bei einem Gärtner, ich wüsste nicht mehr zu sagen wer, aber wir waren an ihrem Esstisch gesessen während acht Tagen, bis die Amerikaner gekommen sind. Wir hatten Zimmer... Nach der Befreiung sind wir nach Mannheim gegangen und kamen in die Kasernen von Käfertal, da waren ... alle Nationalitäten. ... Ich bin schon am 13. April nach Saint-Dié zurückgekehrt."

Holzfäller nahe Hockenheim

Weitere Eindrücke lieferte André Dalançon, ein gelernter Konditor: "Als die Deutschen in unser Dorf [bei Moyenmoutier] kamen, um uns mitzunehmen, wollte ich gerade zum Holzmachen weggehen. Sie haben uns mitgenommen, so wie wir gerade angezogen waren." In Schwetzingen musste er bei der Möbelfabrik Lutz Schneider arbeiten, sein Vater bei einem Kohlenhändler, der Bruder in einer anderen Fabrik. Er war als Holzfäller im verschneiten Wald in der Nähe des Hockenheimrings tätig. Aus dem Holz wurden Munitionskisten hergestellt. Die Holzfäller-Gruppe von fünf oder sechs Mann musste täglich zu Fuß dorthin gehen. Ein etwa 40-jähriger Deutscher kommandierte sie, doch habe er sie eher zur Langsamkeit angehalten.

Etwa zehn Franzosen aus den Vogesen wohnten in einem Gebäude auf dem Fabrikgelände, es gab Stockbetten. Morgens aßen sie in der Kantine. Sie bekamen keinen Lohn und gingen abends mit Lebensmittelmarken des Arbeitsamts ins Restaurant "Reichskrone" [Friedrichstraße 2], von den anderen Besuchern separiert. Sie hatten eine "AZ"-Karte (Ausländische Zivilarbeiter). Sonntags war frei. "Am Schluss haben sie uns versammelt, und um acht Uhr morgens sind wir losgegangen nach Neckargemünd."

Unterstützung, Zerstörung, Gefahr

Der Automechaniker Paul Gasser aus Raôn l'Étape, der nach Heidelberg verschleppt worden war, berichtete, dass er nach der Arbeit freudig einen Jagdbomber-Angriff in der Bergheimer Straße beobachtet hatte. Danach begab er sich "nach Schwetzingen ..., wo man mir Tabak versprochen hat. Nach viel Mühe finde ich die Kolonialwarenhandlung Fischer und diese Leute, die vollständig unserer Meinung sind und gegen das Regime protestieren, geben mir fünf Tabakpakete und fünf Päckchen Zigarettenpapier."

Georges Koenig sagte: "Ich habe Saint-Dié brennen sehen, in Schwetzingen, in der Mannheimer Straße [vermutlich Friedrichstraße] im Kino [in der "Wochenschau"]. Ich war in Deutschland im Kino und ich habe meine Heimatstadt brennen gesehen, das ist die Wahrheit."

Mit Koenig und einem anderen einstigen Zwangsarbeiter hier in der Stadt, Maurice Bachoffer (1928-2005), und deren Frauen besichtigten wir vor geraumer Zeit in der Innenstadt ihre einstigen Stätten der Unterbringung, vom "Blauen Loch" bis zu Privatunterkünften in der Dreikönigstraße. Beide wurden wie Vater Bachoffer bei Metzger Mäder aus Mannheim in den zuvor umgebauten und erweiterten Räumlichkeiten der Metzgerei in der Dreikönigstraße (heute "Stadtinformation") eingesetzt. Bachoffer berichtete dabei von einer gefährlichen Situation einige Tage vor der Befreiung. Ein deutscher Motorradfahrer fragte ihn nach der Richtung. Er verstand ihn falsch, meinte, er wolle Fleisch abholen, und wies ihm den Weg zum Chef. Plötzlich kehrte der Mann zurück: "Er zückt den Revolver, setzt ihn mir an die Schläfe, schreit. Ich verstehe nichts. Ein Deutscher, der mich kannte, rennt heran. Dann hat er gefragt, was los war. Er hat es mir übersetzt, der Deutsche sprach sehr gut französisch. Er hat gesagt: Er wirft dir vor, dass du ihn in die Irre geführt hast." "Aber nein!" verteidigte sich Bachoffer. Erst nach einiger Zeit ließ er die Waffe sinken, für den Franzosen äußerst lange Minuten. Wenige Schritte später versagten seine Knie.

Zwangsarbeiter aus Lunéville

Im Rahmen der Nachforschungen zur NS-Zwangsarbeit in Schwetzingen zeigte sich seinerzeit, dass in den Beständen des Stadtarchivs Mannheim über die dort in der Kriegszeit befindlichen ausländischen Arbeiter 65 Namen von Personen zu finden waren, zu denen als Ort Schwetzingen angegeben wurde. Bei 42 davon handelte es sich um Franzosen, fast durchweg der Jahrgänge 1920 bis 1922, die im Rahmen der von den Nazis erlassenen Arbeitsdienstpflicht (Service du travail obligatoire) nach Deutschland gebracht worden waren. Andersen bestätigte dies seinerzeit. Er hatte zudem herausgefunden, dass es sich bei ihnen um Mitarbeiter der SNCF, der französischen Eisenbahngesellschaft, handelte, die aus den Zentren der Meurthe- und Moselregion, Lunéville, heute eine Partnerstadt Schwetzingens, und Nancy kamen.

Jährliches Treffen mit Festessen

Im Mai 2013 trafen sich wie in jedem Jahr Mitglieder der in den 1950er Jahren gegründeten Association des Déportés de Mannheim in Saint-Dié, der Vereinigung der von dort nach Mannheim Deportierten, zu einem Festessen. Ober- und Bürgermeister waren dabei im "Turm der Freiheit" ebenso vertreten wie deutsche Repräsentanten und Ehrengäste wie der Schwetzinger Dr. Peter Koppenhöfer. Es gehe darum, den die Länder verbindenden Geist der Versöhnung zu pflegen, schrieb der "Vogesen Morgen". Tatsächlich sind es mittlerweile viele Kinder der Verschleppten, die, so die Zeitung, die "Flamme der Erinnerung" am Leben erhalten. Darauf hatte im Vorwort des Saint-Dié-Buchs der stellvertretende Bürgermeister und Staatssekretär Christian Pierret hingewiesen: "Diese Flamme brennt in unseren Herzen, im Herzen derer, die gelitten haben und derer, die die Schwere des Opfers ihrer Vorfahren ermessen können."