Gelungene Premiere

SWR-Festpiele in Schwetzingen: Musiksternstunden per pedales

Das Ensemble „Les Forces Majeures“ aus Paris bittet 150 SWR-Festspiele-Besucher auf Konzertreise - und ist dabei mit Fahrrädern unterwegs.

Von 
Stefan Kern
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Ungewöhnlicher Spielort, ungewöhnliches Publikum: Vor Ponys spielen die Pariser Musiker sonst eher selten, die Reithalle auf der Kollerinsel erweist sich als akustisch durchaus geeignet für die Musik von Joseph Haydn, die hier erklingt. © Cheesy

Schwetzingen.. Es ist ein Skandal. Musik gibt es wahrscheinlich, seit es Menschen gibt. Das Fahrrad wurde im Jahr 1817 vom badischen Forstbeamten Karl Drais erfunden und sogar hier mittels einer Fahrt zwischen Mannheim und Schwetzingen der Welt vorgestellt. Bis jemand die beiden Dinge aber zusammengedacht hat, vergingen 207 Jahre. Und das waren für nicht wenige der Besucher dieses besonderen SWR-Festspiele-Konzerts per pedales 207 verlorene Jahre.

Das Urteil deckte von „grandios“ über „einfach wunderschön“ bis „absolut aufsehenerregend“ so ziemlich die komplette Liste der Superlative ab. Unter dem Namen „Accordez vos vélos“ veranstaltete das von Raphaël Merlin gegründete Ensemble „Les Forces Majeures“ aus Paris ein Ereignis über drei Stationen, das die Sinne weit über das Gehör berührte. Und das schien die sicher 150 Konzertbesucher auf dem Fahrrad glücklich zu machen.

Premiere

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Überall nur freudestrahlendes Lächeln. Klaus Kaufhold, extra aus Weinheim angeradelt, zeigte sich gegenüber der Schwetzinger Zeitung dankbar, das erlebt haben zu dürfen. Und für Helene Franke aus Ludwigshafen untermauert „diese musikalische Sternstunde“ den eh schon in den Sternen befindlichen kulturellen Status der kurfürstlichen Residenz.

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Die Idee zu solch einem Konzert mit Fahrrad hatte Merlin irgendwann 2018. Auf einer Musikreise durch die USA kamen bei ihm Gedanken zum Klimaeffekt des Kulturbetriebes auf. Vor dem Hintergrund der vielen Reisen ganzer Orchester, sagt Merlin, sei klar, „dass er erheblich ist“. Am Anfang war es aber mehr Witz als Ernst, das Orchester und Zuhörer gemeinsam mit dem Fahrrad auf Tour zu schicken. Doch der Witz wurde ernst genommen und am 28. Juli 2018 fand das erste Konzert mit Orchester und Zuhörer auf dem Fahrrad in Frankreich statt.

Erste Station der Konzertreise per Fahrrad: Raphael Merlin (3. v. l.) dirigiert sein Orchester „Les Forces Majeures“ im Schlossgarten auf der Blumenwiese. Auf den Shirts tragen die Musiker die Aufforderung: „Accordez vos vélos“ (Stimmen Sie Ihre Fahrräder). © Andreas Gieser @cheesy.photo

Veränderungsdruck erhöhen

Natürlich ändere das den CO2-Fußabdruck des Kulturbetriebes nicht wirklich. Aber, so Merlin, damit werde das Problem etwas mehr ins Bewusstsein gehievt. „Und mit dem Bewusstsein nimmt der Veränderungsdruck zu.“ Passend haben die Organisatoren der SWR-Festspiele auch noch zwei kleine Umweltvorträge in die Tour eingebaut.

Gut gelaunt zum nächsten Spielort: Auf dem Weg zur Kollerfähre befinden sich hier nicht etwa Vatertagsausflügler, sondern Konzertbesucher in Erwartung von Haydn. © Andreas Gieser @cheesy.photo

Kurz erläuterten Klaus Triebskorn und Gernot de Mür einige Umweltaspekte rund um den Rhein, die Kollerinsel und die Nutzung der Schwetzinger Wiesen über die Jahrhunderte hinweg. So ziemlich alles, was hier zu sehen sei, sei menschengemacht, inklusive Flussverlauf. Nicht umsonst spricht man von Kulturlandschaft. Nun schwebte das Thema, so wichtig es ist, nicht dauernd über den Köpfen der Menschen. Diesen Platz nahm das 17-köpfige Ensemble mit seiner wunderbaren Musik ein. Nachdem sich das Orchester und die Zuhörer auf dem Schlossplatz zusammenfanden, ging es, begleitet von Mitgliedern des ADFC, zum Zähringer Tor und der sogenannten Blumenwiese hinter dem südlichen Zirkel. Nachdem die Musiker ihre Räder von Nextbike zur Seite gestellt hatten, begann auch gleich das Stimmen der Instrumente.

Und hier draußen, unter dem weiß-blauen Himmel, mit der grünen Kulisse und dem Schloss im Hintergrund, geriet schon das zum Ereignis. Gespielt wurde dann Josef Strauß und Maurice Ravel. Letzterer ein Komponist, der für große Orchester steht. Es war denn auch etwas Arbeit, ein normalerweise mehr als 40-stimmiges Werk auf 17 Instrumente runter zu brechen. Aber es gelang und es war großartig. Auch Oberbürgermeister Dr. René Pöltl und die Schlossherrin Sandra Moritz zeigten sich begeistert. „Schlicht grandios“, urteilten die beiden übereinstimmend.

Erstaunliche Akustik in Reithalle

Anschließend fuhr der Tross zur Kollerfähre, um über den Rhein auf die Kollerinsel zu gelangen – bei diesen Wetterbedingungen eine Traumtour. Hier angekommen, versammelten sich Musiker und Gäste in der Reithalle der Familie Erny. Eine eher ungewohnte Konzertkulisse, aber die Wahl erwies sich als Glücksfall. Die Akustik in dem hohen Bau war fantastisch. Auf die Ohren gab es Joseph Haydn und wieder war der Jubel am Ende groß. „Das hier“, sagte Michael Senn, „ist groß und schreit geradezu nach Wiederholung“.

Großer Andrang im Garten der Villa Meixner in Brühl: Die Radtourteilnehmer genießen die dritte Station der musikalischen Fahrradtour bei bestem Wetter. © Andreas Gieser @cheesy.photo

Vogelgezwitscher als Begleitung

Die letzte Station vor dem abendlichen Konzert von „Les Forces Majeures“ im Mozartsaal des Schwetzinger Schlosses war der Garten der Villa Meixner. Und es überrascht jetzt nicht wirklich: Auch hier geht der Auftritt ohne Einschränkung wieder als kleine musikalische Sternstunde durch. Egal, was die Musiker aus Frankreich anfassten – Claude Debussy, Felix Mendelssohn Bartholdy oder die Kompositionen der US-Amerikanerin Amy Beach – es geriet zu Gold.

Die Konzerte in der Natur, begleitet von Vogelgezwitscher, die kurzen Strecken, die per Fahrrad bewältigt wurden, und das gemeinsame Erleben, es war eine Melange, die Wirkung zeigte. Kultur und Natur scheinen sehr sichere Werkzeuge auf dem Weg zu einigen sehr glücklichen Momenten zu sein.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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