Mannheim. Hinter den Kulissen von Daimler Truck laufen die Vorbereitungen für einen besonderen Tag. Am 22. November feiert der Nutzfahrzeughersteller den Serienstart des eActros 600 im Lkw-Montagewerk Wörth (Pfalz). Der batterie-elektrische Lastwagen soll ohne Zwischenladen 500 Kilometer schaffen, je nach Fahrweise und Strecke auch deutlich mehr. Eine zentrale Komponente kommt aus Mannheim: die sogenannte Frontbox.
Die Frontbox ist ein komplexes Technologiemodul mit mehreren Steuergeräten, Hochvolt-Komponenten sowie elektrischem Luftpresser und sitzt im ehemaligen Bauraum des Verbrennungsmotors. Im Gegensatz zum Diesel-Motor hat die Frontbox keine spezifische Antriebsfunktion, sondern enthält eine Vielzahl von Komponenten, die für den Betrieb des Trucks unerlässlich sind. Insgesamt sind es mehr als 1000 Einzelteile.
Der Standortverantwortliche Andreas Moch ist stolz. „Unser Mercedes-Benz-Werk Mannheim ist das Kompetenzzentrum für Batterietechnologie und Hochvoltsysteme bei Daimler Truck“, erklärt er. „Mit dem Produktionsstart der Frontbox erreichen wir in diesem Jahr bereits den zweiten Meilenstein, nachdem wir im Sommer unser Battery Technology Center in Betrieb genommen haben. Damit sehen wir uns am Standort im Rahmen der Transformation gut aufgestellt und leisten einen wichtigen Beitrag, die emissionsfreie Mobilität der Zukunft zu gestalten.“
Betriebsrat hat klare Vorstellungen für die Zukunft
Daimler Truck will zwischen den Standorten Mannheim, Gaggenau und Kassel einen Produktions- und Technologieverbund für Antriebskomponenten und Batteriesysteme aufbauen. Das bedeutet: Die Standorte sollen sich nicht mehr hauptsächlich auf Verbrennertechnologien konzentrieren. Denn die Branche steckt mitten im Wandel hin zu im Fahrbetrieb CO2-neutralen Lkw. So fokussiert sich Mannheim künftig auf Batterietechnologien und Hochvoltsysteme. Im Sommer wurde das Batterie Technology Center eröffnet - eine Investition von 130 Millionen Euro -, das die Entwicklung mit der Produktion verbinden soll.
Experten bauen hier Wissen rund um Batterien und deren Produktionsprozesse auf. Dazu werden im neuen Center, das zum Richtfest im vergangenen Jahr noch InnoLab Battery hieß, zwei Bereiche geschaffen: der Bereich „Zelle“ und die Pilotlinie für die Batteriepaket-Fertigung.
Die Arbeitnehmervertretung steht hinter dem eingeschlagenen Kurs. Mit der Frontbox sei ein Teil vom Antriebsstrang der alternativen Antriebe in Mannheim verortet, sagt der Betriebsratsvorsitzende Bruno Buschbacher. Der traditionsreiche Motorenstandort stelle sich neu auf. Buschbacher hat klare Vorstellungen, wie die Transformation ablaufen soll: „Die Fertigungstiefe der Zukunft muss es weiterhin ermöglichen, wesentliche Komponenten selbst herzustellen. Blicken wir nach vorn, ist es entscheidend, weiter in die Zukunft der Motorenfertigung und auch in neue Produkte sowie die Qualifizierung der Beschäftigten zu investieren, um diese Transformation erfolgreich zu meistern - und damit auch langfristig sichere und attraktive Arbeitsplätze in Mannheim zu haben.“
Daimler Truck hat sich schon länger auf die Fertigung der Frontbox in Mannheim vorbereitet, renovierte mehr als ein Jahr lang aufwendig ein 100 Jahre altes Gebäude. Dabei wurden auf der rund 5500 Quadratmeter großen Fläche unter anderem Bodenbeschichtung, Hallenbelüftung und -beleuchtung erneuert sowie die Tragstruktur neu aufgebaut. Danach erfolgte die Installation der modernen Fertigungslinie mit Logistikzone. Sie soll eine hohe Flexibilität für unterschiedliche Stückzahlen, Produktvarianten und Folge-Generationen bieten.
Die Frontbox-Montagelinie setzt sich aus vier aufeinanderfolgenden Fertigungsabschnitten zusammen. In jedem dieser Abschnitte sind verschiedene Montagestationen, an denen sich seitlich die entsprechenden Materialzonen und Vormontagen befinden. Hier werden nacheinander die einzelnen Ebenen der Frontbox komplettiert.
Neue Softwarepläne bei Daimler und Volvo
- Daimler Truck und Volvo tragen der zunehmenden Bedeutung von Software Rechnung. Sie haben eine Vereinbarung zur Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens unterzeichnet und wollen künftig eine gemeinsame softwaredefinierte Fahrzeugplattform sowie ein Lkw-Betriebssystem entwickeln.
- Die Plattform soll es Daimler Truck, Volvo und potenziellen Kunden ermöglichen, eigenständige und digitale Fahrzeugfunktionen für ihre Produkte anzubieten. Sitz des neuen Unternehmens ist Göteborg (Schweden).
Derzeit besteht das Produktionsteam aus 25 Beschäftigten, perspektivisch können es bis zu 170 werden. Um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Standort Mannheim vorzubereiten, werden sie seit diesem Monat in einem neuen Hochvolt-Trainings-Center geschult.
Der eActros 600 ist mehr als doppelt so teuer wie ein Diesel
Daimler Truck hat rund 2000 Bestellungen für den neuen Elektro-Lkw, mehr als erwartet. Auch die Absichtserklärungen von Kunden sollen im vierstelligen Bereich liegen. Der eActros 600 kostet bis zu zweieinhalb Mal so viel wie ein Diesel-Modell - das dürften mindestens 250 000 Euro sein. So manche Spediteure dürften bei diesem Preis kräftig schlucken. Daimler-Truck-Vorstandsvorsitzende Karin Rådström verweist darauf, dass E-Lkw dafür energieeffizienter und die Betriebskosten niedriger seien.
Zu Testzwecken war der eActros 600 im Sommer durch Europa getourt - dabei habe sich gezeigt, „dass batterieelektrischer Fernverkehr möglich ist“, so der Projektverantwortliche Christof Weber. Bis 2030 sollen bis zu 60 Prozent der in Europa verkauften neuen Lastwagen lokal emissionsfrei sein - mit Batterie und Wasserstoff. So das Ziel von Daimler Truck.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Mannheimer "Benz" spielt wichtige Rolle in der Transformation