Jahresrückblick

SAP 2024: Jahr der Cloud, Jahr der Wechsel

Was ein Jahr für den Walldorfer Softwarekonzern SAP! Ärger vor dem Arbeitsgericht, spektakuläre Personalwechsel, Rekorde an der Börse … von allem ist etwas dabei gewesen. Ein Rückblick

Von 
Alexander Jungert
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Christian Klein, Vorstandschef des Softwarekonzerns SAP. © dpa Uwe Anspach

9. Januar

Walldorf. Neues Jahr, neue Personalie: SAP schafft ein zusätzliches Vorstandsressort, um Kunden auf dem Weg in die Cloud zu begleiten. Spitzenmanager Thomas Saueressig, verantwortlich für die Produktentwicklung, soll das Ressort „Customer Services & Delivery“ ab 1. April leiten. Nachfolger im Vorstand für die Produktentwicklung wird Muhammad Alam, langjähriger Microsoft-Manager.

11. Januar

Vor dem Mannheimer Arbeitsgericht entbrennt ein Streit zwischen SAP und Vorruheständlern. Im Kern geht es um die Frage: Haben Vorruheständler bei SAP Anspruch auf die gleichen Gehaltserhöhungen und Prämien wie Beschäftigte, die noch arbeiten? Rund 30 Zahlungsklagen liegen vor – verteilt auf verschiedene Kammern. Vom „Masseverfahren SAP“ ist die Rede. Sitzungssaal 4 platzt zum Auftakt aus allen Nähten, einige der Anwesenden müssen sogar stehen.

24. Januar

Paukenschlag bei der Jahrespressekonferenz in Walldorf. Durch einen großangelegten Umbau will der Softwarekonzern seine Geschäfte mit Künstlicher Intelligenz (KI) anschieben. 8000 Stellen weltweit sind davon betroffen. Sie sollen möglichst über interne Freiwilligenprogramme und Umschulungen abgebaut werden. Hierzulande, so sickert später durch, stehen 2600 Stellen infrage. Solche Entscheidungen seien nie einfach, sagt Konzernchef Christian Klein. Aber man behalte „die Zukunft von SAP und künftiges Wachstum im Fokus“. Aufgrund von Investitionen in Wachstumsbereiche rechnet SAP damit, dass am Ende des Jahres die Zahl der Mitarbeitenden etwa dem bestehenden Niveau entspricht, also um die 107 600. Klein und Finanzchef Dominik Asam legen auf der Jahrespressekonferenz gute Zahlen für 2023 vor. Für das laufende Jahr versprechen die beiden mehr Tempo bei Cloudumsatz und Ergebnis. Der Aktienkurs macht einen kräftigen Satz nach oben.

Christian Klein (l), Vorstandschef des Softwarekonzerns SAP, und Dominik Asam, Finanzvorstand des Softwarekonzerns SAP, sitzen in der Konzernzentrale während der Bilanzpressekonferenz auf der Bühne. © dpa Uwe Anspach

2. Februar

Unter SAP-Beschäftigten wächst der Unmut darüber, dass sie künftig wieder öfter ins Büro kommen sollen. In Walldorf kursiert ein Protestschreiben aus den Reihen des Europäischen Betriebsrats, das mehrere tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschrieben haben. In teils drastischen Worten heißt es darin: „SAP, wie wir es kannten, ist vorbei.“ Konzernchef Christian Klein will nicht nachgeben. Es sei „für die Kultur bei SAP sehr wichtig, dass wir uns von Zeit zu Zeit als Team persönlich treffen und Dinge besprechen – und nicht mit 20 Kollegen im Videocall sitzen und keiner so recht weiß, wann er oder sie zu Wort kommt“. Mit den Sozialpartnern verhandelt das Unternehmen eine neue Betriebsvereinbarung.

11. Februar

Wenn SAP an einem Sonntagabend eine Nachricht verschickt, kann der Inhalt nur spektakulär sein. Und so ist es. Kurz vor der Hauptversammlung im Mai – und kurz vor dem Abschied von SAP-Urgestein Hasso Plattner als Aufsichtsratsvorsitzender – wird bekannt: Der designierte Nachfolger Plattners, Punit Renjen, geht, bevor er überhaupt den Thron besteigt. Erstaunlich, zumal Renjen zuvor von vielen Seiten über den grünen Klee gelobt worden ist. Doch wie hinter vorgehaltener Hand zu hören ist, soll sich Renjen schon als einfaches Aufsichtsratsmitglied zu oft ins operative Geschäft eingemischt haben. Das hat wohl einigen Mächtigen in Walldorf nicht gefallen. Schnell stellt man sich die Frage, inwieweit sich ein Hasso Plattner immer daran gehalten hat, eher zu kontrollieren anstatt sich in das operative Geschäft einzumischen. Wie auch immer: Plattner, mehr als 20 Jahre Aufsichtsratsvorsitzender, wollte seine Nachfolge gut vorbereitet wissen. Das geht gründlich schief. Aktionärsvertreter und Investoren drängen auf mehr Stabilität in der Konzernführung. Der Finne Pekka Ala-Pietilä soll den Aufsichtsrat zumindest für die nächsten zwei Jahre leiten.

Punit Renjen, designiertes Aufsichtsratsmitglied, steht bei der Hauptversammlung des Softwarekonzerns SAP auf der Bühne. © dpa Uwe Anspach

15. Februar

Mehrere Beschäftigte von SAP im Vorruhestand scheitern mit ihrer Zahlungsklage vor dem Mannheimer Arbeitsgericht. Es bestehe weder Anspruch auf eine Gehaltserhöhung noch auf eine Inflationsausgleichsprämie, erklärt Richter Ralf Büschler, der der achten Kammer vorsitzt. Konkret geht es um 16 Verfahren. Ende Februar weist das Arbeitsgericht noch weitere Klagen ab.

18. März

Die Belegschaft hat zwei neue Mitglieder direkt in den Aufsichtsrat gewählt: Eberhard Schick, Betriebsratsvorsitzender der SAP SE, sowie Nina Strassner, Personalerin und Arbeitsrechtlerin. Mitte Mai zur Hauptversammlung werden die beiden neuen Mitglieder in das Gremium einziehen.

22. März

Der Streit zwischen SAP und Vorruheständlern geht in die nächste Instanz, also vor das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Ein Sprecher der Behörde bestätigt, dass mittlerweile die ersten Berufungen eingegangen sind. Vorruheständler, die mit ihrer Zahlungsklage vor dem Mannheimer Arbeitsgericht gescheitert sind, wollen also weiterkämpfen.

3. April

Kurz vor der Hauptversammlung ist eine wichtige Personalie geklärt: Jürgen Müller soll bis 2027 Technologie-Chef bleiben. Dass es rund um Müller am 3. September zu einer folgenschweren Entwicklung kommen wird, ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

9. April

Die jüngsten Aufsichtsratswahlen bei SAP sind ein Fall für das Arbeitsgericht in Mannheim. Dort sind zwei Anträge eingegangen, mit denen die Abstimmung angefochten wird (Az.: 8 BV 7/24 und 8 BV 8/24). In den Anträgen werden Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das Wahlverfahren behauptet.

6. Mai

Der Aufsichtsrat verlängert den Vertrag von SAP-Chef Christian Klein bis 2028.

15. Mai

Hasso Plattner verabschiedet sich auf der Hauptversammlung in der Mannheimer SAP Arena als Aufsichtsratsvorsitzender. Auf eine große Rede verzichtet er. „Wir haben gemeinsam viel erreicht und die SAP zu dem gemacht, was sie heute ist: das wertvollste Unternehmen Deutschlands und ein Konzern von Weltrang. Das erfüllt mich mit großem Stolz“, sagt Plattner lediglich.

Hasso Plattner (M), bisheriger Aufsichtsratsvorsitzender des Softwarekonzerns SAP, Christian Klein (l), Vorstandssprecher von SAP, und Pekka Ala-Pietilä, designierter Aufsichtsratsvorsitzender von SAP, stehen bei der Hauptversammlung auf der Bühne hinter einem Logo des Softwarekonzerns. © dpa Uwe Anspach

16. Mai

Natürlich wird Hasso Plattners Abschied noch offiziell zelebriert – mit einer Gala. Etwa 3000 Menschen sind in der SAP Arena, hauptsächlich Beschäftigte des Softwarekonzerns. Unter den Ehrengästen weilen zahlreiche Weggefährten. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist da. Moderator der Feier: TV-Star Günther Jauch, der ebenso wie Plattner in Potsdam lebt. Die weltbekannte Künstlerin Anastacia singt „You’ll Never Be Alone“, begleitet vom SAP Sinfonieorchester.

23. Mai

Wie erwartet bringt ein erster Gütetermin um die Anfechtung der Aufsichtsratswahl am Arbeitsgericht keine Einigung. Im Herbst sollen die beiden Anträge bei Kammerterminen verhandelt werden.

31. Mai

Beschäftige von SAP müssen künftig mindestens an drei Tagen die Woche ins Büro kommen. So die neue Vorgabe des Unternehmens. Brisant: Es gibt nach wie vor keine Einigung mit den Betriebsräten über eine neue Vereinbarung zum mobilen Arbeiten. Die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten. Der Betriebsrat der SAP SE will mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die neue Regelung vorgehen. Schauplatz ist, man ahnt es, das Arbeitsgericht Mannheim.

3. Juni

Bei fast jeder Gelegenheit hebt der SAP-Vorstandsvorsitzende Christian Klein hervor, dass Künstliche Intelligenz in der Strategie eine zentrale Rolle spielt. Tatsächlich arbeitet SAP schon mit großen Spielern wie Microsoft und Google zusammen, aber auch mit Start-ups wie Aleph Alpha aus Heidelberg. Kunden von SAP sollen künftig zudem Künstliche Intelligenz von Amazon nutzen können.

24. Juni

Nach und nach sickert durch, dass das Vorruhestands- und Freiwilligenprogramm stärker nachgefragt wird als erwartet. Weltweit ist nun von 9000 bis 10 000 wegfallenden Stellen die Rede. Auch viele jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen SAP den Rücken kehren.

15. Juli

Mehr Leistung, mehr Selbstkritik, mehr Präsenz im Büro: Vorstandsvorsitzender Christian Klein verteidigt abermals den Kulturwandel. „Wenn alle sich gegenseitig auf die Schulter klopfen, bringt das niemanden weiter“, erklärt Klein in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Für Aufregung sorgt ein neues System, um Mitarbeiter eingehender zu bewerten.

24. Juli

Nur noch etwas mehr als jeder zweite Beschäftigte vertraut dem Vorstand von SAP (56 Prozent) – ein sattes Minus von zwölf Prozentpunkten gegenüber 2023. Darüber berichtet die „WirtschaftsWoche“ und bezieht sich auf die jüngste Mitarbeiterbefragung des Konzerns. Zwei weitere zentrale Ergebnisse sind demnach: Nur noch 70 Prozent würden SAP als „großartigen Arbeitsplatz“ empfehlen, ein Rückgang von zehn Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Auch das Vertrauen in die Umsetzung der Strategie ist leicht gesunken – um drei Prozentpunkte auf 69 Prozent.

Der Bulle aus der Bronzeplastik «Bulle und Bär» steht vor dem Gebäude der Frankfurter Wertpapierbörse. © dpa Frank Rumpenhorst

30. Juli

SAP gibt bekannt, dass Marketing-Chefin Julia White und Vertriebschef Scott Russell das Unternehmen vorzeitig verlassen werden. Während für Russell eine Nachfolge geplant ist, soll Whites Ressort aufgelöst und ihre Aufgaben sollen nach und nach auf bestehende Vorstandsbereiche verteilt werden. Das Spitzenmanagement von SAP besteht künftig also nur noch aus sieben statt acht Mitgliedern.

1. September

Cawa Younosi, ehemaliger Personalchef von SAP Deutschland und Linkedin-Star, hat einen neuen Job: Er startet als Geschäftsführer von Charta der Vielfalt. Der Berliner Verein setzt sich für Vielfalt und Chancengleichheit in der Arbeitswelt ein.

3. September

Wer dachte, mit SAP schon alles erlebt zu haben, wird eines Besseren belehrt: Technologie-Chef Jürgen Müller tritt nach „unangemessenem Verhalten“ auf einer Firmenveranstaltung zurück. „Ich bedauere, dass ich unüberlegt gehandelt habe und entschuldige mich aufrichtig bei allen involvierten Personen“, erklärt Müller in einer ungewöhnlich offenen Pressemitteilung. Was ist passiert? Von einer Konzernsprecherin heißt es auf Anfrage: kein Kommentar. Dass etwas Heftiges vorgefallen sein muss, steht außer Frage. Schließlich sieht sich Müller gezwungen, in aller Öffentlichkeit eine Entschuldigung abzugeben – und das gleich bei mehreren Personen. Klar ist: Mit Müllers Leistung im operativen Geschäft hat der Abschied nichts zu tun. Der 42-Jährige wurde und wird wegen seiner Expertise geschätzt. Klar ist aber auch: SAP verliert innerhalb eines Monats drei Vorstandsmitglieder.

13. September

Der Aktienkurs von SAP springt über die Marke von 200 Euro. Die Börse verliert sich offensichtlich gerne in KI-Fantasien und künftigem Wachstum in der Cloud.

17. September

Nun ist raus: Mitte Januar 2025 werden vor dem Landesarbeitsgericht in Mannheim die ersten Berufungen im Streit zwischen SAP und Vorruheständlern verhandelt.

7. Oktober

Der juristische Streit um die jüngste Aufsichtsratswahl bei SAP zieht sich in die Länge. Das Mannheimer Arbeitsgericht hebt einen lange geplanten Termin auf. Der neue Termin ist erst im nächsten Jahr – und zwar am 16. Januar.

1. November

Daniel Müller, neuer Personalchef von SAP Deutschland, tritt sein Amt an. Der ehemalige Siemens-Manager folgt auf den populären Cawa Younosi. Ob Müller ähnliche Akzente setzen kann? Eines ist schon klar: So eifrig in den sozialen Medien wie Younosi ist Müller nicht.

8. November

Aktionärinnen und Aktionäre müssen bei der nächsten Hauptversammlung zuhause bleiben: SAP entscheidet sich, die Veranstaltung im Mai 2025 virtuell auszurichten und nicht in der SAP Arena.

16. Dezember

Vorstandsvorsitzender Christian Klein verabschiedet in der zentralen Kantine in Walldorf feierlich 3479 Beschäftigte. Sie verlassen SAP in der laufenden Restrukturierung mit einer Abfindung – 686 im Rahmen eines Freiwilligen- und 2793 mit einem Vorruhestandsprogramm. „Ihr habt die SAP zu dem gemacht, was das Unternehmen heute auszeichnet. Das gilt es heute zu würdigen“, erklärt Klein. Tatsächlich gehen also weit mehr als die ursprünglich avisierten 2600 Personen freiwillig. Liegt es an der steigenden Unzufriedenheit (siehe 24. Juli)? Zur Wahrheit gehört auch: Die „Next Level Transformation“ hinterlässt Spuren. Die verbliebenen Beschäftigten fürchten eine Verdichtung der Arbeit, da das Management offensichtlich viele abgebaute Stellen außerhalb Deutschlands nachbesetzen will.

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30. Dezember

SAP ist unangefochten Deutschlands wertvollstes Unternehmen an der Börse. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 294 Milliarden Euro ist das Softwareunternehmen nahezu doppelt so viel wert wie die drei Autoriesen BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen zusammen. Der Aktienkurs liegt bei rund 236 Euro, Anfang des Jahres waren es noch weniger als 140 Euro. An der Börse scheint sich der lange Atem von Christian Klein auszuzahlen, den er beim Umbau von SAP in Richtung Cloud bewiesen hat.

Redaktion berichtet aus der regionalen Wirtschaft

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