Rückblick

Als der Mannheimer Patriarch Curt Engelhorn Finanzminister Waigel ärgerte

Von 
Walter Serif
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Seit der Übernahme durch Roche ist das frühere Unternehmen Boehringer Mannheim weiter gewachsen. © Roche

Mannheim. Es war ein Paukenschlag, der damals die ganze Kurpfalz erschütterte: Am 26. Mai 1997 verkaufte der schillernde Unternehmenspatriarch Curt Engelhorn sein Lebenswerk: Boehringer Mannheim. Der geschäftsführende Gesellschafter hatte aus dem mittelständischen Pharmaunternehmen in mehr als drei Jahrzehnten einen Konzern von internationalem Rang gemacht. Die Braut schnappte sich der Schweizer Pharmariese Hoffmann-La Roche (heute Roche) und bezahlte für das Unternehmen rund 19 Milliarden Mark, also knapp zehn Milliarden Euro. Es war die bis dahin größte Firmenübernahme in Europa.

Der Urenkel des legendären Friedrich Engelhorn – Gründer des Ludwigshafener Chemiekonzerns BASF – machte selbst reichlich Kohle bei dem Geschäft. Entsprechend seiner Beteiligung kassierte er rund acht Milliarden Mark. Der Clou: Der Deal ging steuerfrei über die Bühne. Normalerweise wäre auf den Erlös – abzüglich der Anschaffungskosten und Freibeträge – eine hohe Einkommensteuer fällig gewesen. Der Spitzensteuersatz lag damals bei 53 Prozent. „Wir haben die Steuerfalle erfolgreich umgangen“, freute sich darob der Multimilliardär in aller Öffentlichkeit und mutmaßte mit Blick auf den damaligen Finanzminister „Herr Waigel wird sich ärgern.“

Engelhorn hatte schon früh Wege gefunden, wie man dem Fiskus ein Schnippchen schlagen konnte

Aber nicht nur Waigel ärgerte sich. Hamburgs damaliger Erster Bürgermeister Henning Voscherau bezeichnete im Bundesrat den steuerfreien Großdeal als „unsittlich“, musste aber später feststellen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen war. „Curt Engelhorn hat sich in dieser Steuerfrage als sehr geschickt erwiesen“, sagt Steuerrechtler Christoph Spengel von der Universität Mannheim rückblickend im Gespräch mit dieser Redaktion.

Roche-Gruppe

  • Die Roche-Gruppe mit Hauptsitz in Basel ist nach Umsatz das größte Pharmaunternehmen der Welt. Roche beschäftigt über 100 000 Mitarbeiter.
  • Die bedeutendste Vergrößerung erfolgte 1997, als Hoffmann-La Roche – so der frühere Firmenname – das Konkurrenzunternehmen Boehringer Mannheim für knapp zehn Milliarden Euro übernahm und in die Gruppe eingliederte.
  • Dessen ehemalige Sparte Diagnostika wurde wesentlicher Bestandteil der Roche Diagnostics GmbH mit einem Standort in Mannheim. Dort arbeiten rund 8400 Beschäftigten. Damit ist Roche nach eigenen Angaben größter Arbeitgeber in Mannheim. was

Engelhorn nannte als Grund für den Verkauf mal die Angst vor den Sowjets, mal den Wunsch, sein Lebenswerk bei einem größeren Unternehmen in sicheren Händen zu wissen. Er hatte aber auch schon früh Wege gesucht und gefunden, wie man dem Fiskus im Fall der Fälle mit der Verlagerung des Wohn- und Firmsitzes ein Schnippchen schlagen konnte. Bei einem Verkauf der GmbH – das wusste der schlaue Engelhorn – würden bei kluger Auswahl des Orts weder in Deutschland noch im Ausland Steuern fällig.

Szenen wie bei „Dallas“

Genau das setzte er denn auch um: Erst suchte Engelhorn Luxemburg und Toronto aus. Dann lockte die Alpenrepublik. „Engelhorn entschied sich für den Schweizer Kanton Zug und hatte dabei auch noch Glück. Denn 1972 wurde das Steuerschlupfloch geschlossen. Der Grund war der Wegzug des ,Kaufhauskönigs’ Helmut Horten, der sich quasi zum Nulltarif in die Schweiz verabschiedet hatte. Der Gesetzgeber wollte diese bis dahin legale Steuerflucht mit der Änderung des Außensteuergesetzes unterbinden“, erklärt Experte Spengel und wundert sich, warum vorher eine Praxis legal war, die dem Sinn und Zweck der Gesetze in jeglicher Hinsicht widersprechen würde. „Es ist ja nicht normal, dass man gar nichts besteuert.“

1985 verlegte Engelhorn seinen Wohnsitz schließlich nach Hamilton auf den Bermudas. Dort gründete der Patriarch eine Holdinggesellschaft, die Corange Ltd, deren CEO er wurde. In diese Holding brachten Engelhorn und die anderen Gesellschafter ihre Boehringer-Anteile ein. Engelhorn lenkte Boehringer fortan von den Bermudas aus. 1990 zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück und leitete den Board of Directors der Corange Ltd, an der er 42 Prozent hielt. Der Name der Gesellschaft ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den französischen Begriffen cor (deutsch: Horn) und ange (Engel).

Curt Engelhorn bei einem Besuch in Mannheim 2016. © Marcus Prosswitz

Himmlisch ging es aber bei den Engelhorns nicht zu. 1994 kam es zum großen Showdown, offensichtlich spielten sich in der realen Welt des Clans Szenen ab, deren Kapriolen der fiktionalen mit Blick auf die Ewings in der US-Serie „Dallas“ in Nichts nachstanden. Engelhorn wurde abgesetzt, Ex-Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl übernahm den Posten – kurz darauf wurde der Geschasste aber wieder Firmenchef. Offensichtlich zermürbte ihn der Dauerkrach mit dem Rest der Familie und dem externen Management. Curt Engelhorn setzte den Verkauf durch. 2016 betrug sein Vermögen gemäß der Forbes-Liste umgerechnet 5,7 Milliarden Euro. Damit belegte er Platz 188 auf der Liste der reichsten Menschen der Welt – und immerhin den 16. Rang unter den reichsten in Deutschland.

Beim Boehringer-Verkauf ging natürlich auch die Stadt Mannheim leer aus. Sie bezifferte die entgangene Steuer auf umgerechnet 25 Millionen Euro. Die Stadt machte aber gute Miene zum bösen Spiel und nahm 2001 eine hohe Geldspende von Engelhorn an. Rund 20 Millionen Euro gab dieser für das Mannheimer Reiß-Museum, zur Belohnung wurde es vom Gemeinderat in Reiss-Engelhorn-Museen umbenannt und die Aufsichtsbehörden genehmigten die Einrichtung der Curt-Engelhorn-Stiftung.

Mein Leben war jenseits von Luxus. Ohne Jachten und all diese Sachen

Engelhorn stockte die Beträge im Laufe der Jahre auf, und reiste bis bis zu seinem Tod 2016 – er wurde 90 Jahre alt – immer wieder aus seiner Schweizer Steuerheimat zu den Sitzungen im Stiftungsrat an oder kam zu Ausstellungseröffnungen. Er förderte auch die Amerikasstudien an der Universität Heidelberg, kein Wunder, seine Mutter stammt aus den USA, er selbst studierte in Texas. Während allerdings die Kommune selber entscheiden kann, was sie mit ihren Steuereinnahmen machen will, sind Spenden oder Stiftungsgelder immer zweckgebunden. Und man kann sie natürlich auch von der Steuer absetzen.

Interessant ist vor diesem Hintergrund, dass Marlene Engelhorn, die Großnichte von Curt, das Treiben des Patriarchen sehr kritisch sieht. Sie lebt in Österreich und will den größten Teil ihres ererbten Vermögens verschenken. In einem Interview mit dieser Redaktion sagte sie im Juli 2021: „Stiftungen kommen für mich nicht infrage. Mit Stiftungen kann man das Vermögen verschleiern und parken und vor der Steuer verstecken. Wer Stiftungen gründet, will in Wahrheit sein Geld nicht teilen.“ Rumms.

Großnichte kritisiert Großonkel

Dem „Manager Magazin“ verriet Engelhorn einmal: „Mein Leben war jenseits von Luxus. Ohne Yachten und all diese Sachen.“ Seine neue wesentlich jüngere Frau Heidemarie („reich war sie zudem auch noch“) sorgte für die Zusammenführung der Familie. Das funktionierte auch mit Geld. „Sie war so klug mit darauf hingewirkt zu haben, dass unsere Kinder schon zu unseren Lebzeiten einen ordentlichen Batzen abkriegen“, sagte Engelhorn im Gespräch mit dem „Manager Magazin“.

Das Problem dabei: Während der steuerfreie Verkauf von Boehringer genauso legal war wie die Gründung von Stiftungen, gilt dies für die Umstände der Schenkungen dagegen nicht. Die zwei Töchter zahlten die Steuer für das enorme Vermögen nicht, das ihnen der Vater über Trusts und Briefkastenfirmen zukommen ließ. 2016 akzeptierten sie Strafbefehle in Höhe von 145 Millionen Euro. Die SPD im bayerischen Landtag wetterte gegen „massiv überlastete Steuerfahnder und Justizorgane“, die gegen „zig gerissene Rechtsanwälte und Steuerberater“ keine Chance hätten, es gebe keine Waffengleichheit „zwischen Superreichen und dem Staat.“

Die „Panama Papers“

Ende 2017 – da ruhte der Patriarch schon unter der Erde – kamen im Zuge der „Panama Papers“ neue Details ans Licht. Im Mittelpunkt dabei die Angel Foundation. Es tauchte dabei die Frage auf, ob das Geld, das zur Unterstützung der Aktivitäten der Reiss-Engelhorn-Museen aus Monte-Carlo in Monaco nach Mannheim floss, auch „sauber“ war.

Die Linke-Bundestagsabgeordnete und frühere Mannheimer Stadträtin Gökay Akbulut sagte damals: „Sie haben das Geld einfach genommen, und es war ihnen letztendlich egal, aus welchen Quellen es stammte. Niemand weiß, ob das Geld auch wirklich sauber war“, kritisierte die Bundestagsabgeordnete und meinte, die Stadt solle darüber nachdenken, ob es für das Image der Museen gut sei, wenn im Titel weiter der Name „Engelhorn“ stehen würde. Diese Meinung vertrete sie noch heute, sagte sie dieser Redaktion. Doch diese Position stößt bis heute auf taube Ohren.

Zu seinem 80. Geburtstag überreichte Engelhorn, Familienmitgliedern, Freunden und Geschäftsleute persönlich seine Biografie „Hefe im Teig“ – die nie veröffentlicht wurde: Der „Spiegel“ zitierte daraus einen Satz, der alles auf einen Punkt bringt: „Möglicherweise ist meine Lebensgeschichte ein Wirtschaftskrimi.“

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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