Interview - Die Ökonomin Monika Schnitzer rechnet damit, dass die Inflation im nächsten Jahr wieder sinkt

Inflation - Wirtschaftsweise Schnitzer warnt vor Panikmache

Von 
Walter Serif
Lesedauer: 
Monika Schnitzer geht davon aus, dass die Inflation im nächsten Jahr wieder sinken wird. Die Ökonomin ist Mitglied im Sachverständigenrat. © dpa

Mannheim. Monika Schnitzer ist in Mannheim aufgewachsen. Auch deshalb wäre die Wirtschaftsweise an diesem Donnerstagabend gerne zum Vortrag am Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gekommen. Aber wegen der Pandemie läuft die Veranstaltung nur im Netz.

Frau Schnitzer, Sie stammen aus Mannheim, Volkswirtschaftslehre haben Sie aber in Köln und Bonn studiert. Warum?

Monika Schnitzer: Ich komme aus einer Generation, die zum Studium gerne woanders hingegangen ist.

Vermissen Sie eigentlich Lars Feld?

Schnitzer: Wir hatten immer interessante und konstruktive Diskussionen im Sachverständigenrat. Bedauerlich ist, dass sich die große Koalition nach Felds Ausscheiden auf keinen Nachfolger einigen konnte, so dass wir aktuell nur zu viert sind.

Monika Schnitzer

  • Monika Schnitzer wurde am 9. September 1961 in Mannheim geboren.
  • Schnitzer studierte zwischen 1981 und 1986 Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln, die Promotion erfolgte an der Universität Bonn.
  • Die Ökonomin übernahm 1996 den Lehrstuhl für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Schwerpunkt ihrer Forschung und Lehre liegt im Bereich der Wettbewerbspolitik, der Innovationsökonomik und der multinationalen Unternehmen.
  • Von Januar 2015 bis Dezember 2016 war sie Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik.
  • 2020 wurde Schnitzer gemeinsam mit Veronika Grimm in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berufen.

Das ist doch schlecht, oder?

Schnitzer: Ich hoffe, dass die Ampel das jetzt schnell auf die Reihe kriegt, und wir bald wieder vollzählig sind.

Beim Jahresgutachten konnten sich die vier Weisen in einem Punkt nicht einigen, es gab deshalb zwei Positionen.

Schnitzer: Ja, das war ein Novum. Viele haben es aber geschätzt, dass wir so die unterschiedlichen Argumente transparent gemacht haben.

Sie haben sich im Gutachten überraschend offen für „eine Kreditfinanzierung zukunfts- bezogener öffentlicher Ausgaben“ ausgesprochen - gemeinsam mit dem Gewerkschaftsmann Achim Truger. Die Fachwelt hat sich da ein wenig überrascht gezeigt.

Schnitzer: Mag sein, aber ich bin da undogmatisch. Für die Kreditfinanzierung von Investitionen gibt es gute Gründe, denn sie nutzen ja auch der nächsten Generation. Man hat mich 2020, als ich in den Rat berufen wurde, gefragt, welcher ökonomischen Richtung ich angehöre. Meine Antwort war: keiner. Ich verfolge einen evidenzbasierten Ansatz, das heißt, ich schaue mir an, welche Maßnahmen in der Praxis am besten funktionieren.

Wenn sich also die Erfahrungen in der Praxis ändern, ändern sich auch die Schlüsse, die Sie daraus ziehen?

Schnitzer: Natürlich. Man muss aus den Erfahrungen lernen und auch seine Meinung ändern, wenn sie sich als falsch herausstellt. Ich finde es wichtig, immer genau darzulegen, auf welchen Annahmen und welchen empirischen Erkenntnissen Voraussagen und Einschätzungen beruhen. Die Entscheidung müssen ja ohnehin die Politiker treffen. Der Sachverständigenrat darf per Gesetz gar keine Empfehlungen abgeben, sondern soll die gesamtwirtschaftliche Entwicklung begutachten sowie Prognosen erstellen.

Das heißt, Sie haben auch deshalb Verständnis dafür, dass die Politiker ihre Meinung zur Impfpflicht geändert haben, und sehen darin keinen Wortbruch?

Schnitzer: Natürlich, für mich ist das in der Tat kein Wortbruch. Die Lage hat sich einfach geändert. Und das ist ja genau das Wesen der Wissenschaft: Wir lernen dazu. Wir wussten doch alle am Anfang der Pandemie nicht genau, was auf uns zukommt. Und die Politiker konnten genauso wenig wie wir ahnen, dass die Impfquote gegen Ende 2021 so niedrig sein würde.

Ihr Jahresgutachten ist ja erst vier Wochen alt, aber in diesen turbulenten Zeiten kann das ja fast schon eine kleine Ewigkeit sein.

Schnitzer: Richtig, deshalb zeichnet es sich schon jetzt ab, dass wir unsere Prognosen anpassen müssen. Die Zahl der Neuinfektionen ist seit der Übergabe des Jahresgutachtens am 10. November drastisch gestiegen. Auf unsere Prognose der Wachstumsrate 2021 in Höhe von 2,7 Prozent hat das keine große Auswirkung mehr. Vielleicht geht sie ein, zwei Zehntel runter. Wenn jetzt die Restaurants zumachen müssen oder weniger Kundschaft haben, ist das für die Wirte bitter, aber die Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft sind überschaubar. Solche Einschränkungen werden allerdings den Aufschwung ins nächste Jahr verschieben.

Sie rechnen also für 2022 mit weniger Wachstum als 4,6 Prozent?

Schnitzer: Schon, ich erwarte aber noch immer eine vier vor dem Komma. Das Hauptproblem aktuell sind die Lieferengpässe. Sie können sich allerdings durch die Wucht der vierten Welle verstärken, wenn es zum Beispiel in China wegen der Pandemie wieder zu Fabrik- oder Hafenschließungen kommt. Vor Corona dauerten die Schiffstransporte von China in die USA rund 50 Tage. Mit der Delta-Variante hat sich die Transportdauer von 85 auf 100 Tage erhöht. Und jetzt kommt auch noch Omikron.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr der Inflation ein?

Schnitzer: Aktuell liegt die Inflation höher als die von uns im Gutachten als Jahresdurchschnitt prognostizierten 3,1 Prozent. Wir erwarten aber, dass die Preissteigerung im nächsten Jahr wieder sinken wird, auf 2,6 Prozent, vorausgesetzt, dass es keine Lohn-Preis-Spirale gibt. Die bisherigen Tarifabschlüsse in diesem Jahr waren sehr moderat, nehmen Sie nur den aktuellen Abschluss im öffentlichen Dienst. Es sieht also nicht so aus, als würden die Gewerkschaften übertriebene Abschlüsse anstreben. Wenn das so bleibt, könnte die Inflationsrate Ende 2022 wieder auf zwei Prozent fallen. Ich warne deshalb vor einer falschen Panikmache.

Die Ampel will mehr Fortschritt, aber bei der Rente herrscht eher Stillstand, oder?

Schnitzer: Das sehe ich auch so. Der Bund muss pro Jahr rund 100 Milliarden Euro ins Rentensystem pumpen, das ist ein Viertel des Bundestetats. Dieser Anteil wird in den nächsten 25 Jahren auf die Hälfte des Haushalts steigen. Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, dass die Koalition keine Rentenreform anpacken will.

Das ist doch gaga.

Schnitzer: Das wäre jetzt nicht meine Wortwahl. Klar ist aber: Das Rentensystem wird auf Dauer so nicht finanzierbar sein.

Ich hätte nichts dagegen, bis 70 zu arbeiten, wenn mein Brötchengeber mich so lange behalten würde und ich weiter fit bleibe.

Schnitzer: Ja, eine Flexibilisierung der Altersgrenze wäre ein Weg, den man gehen könnte. Eine generelle Anhebung des Renteneintrittsalters wäre sinnvoll, hätte aber so ihre Tücken.

Warum?

Schnitzer: Es gibt statistisch einen klaren Zusammenhang zwischen der Höhe des Gehalts und der Lebenserwartung. Leute, die mehr verdienen, leben in der Regel auch länger. Die SPD argumentiert deshalb so: Wenn alle länger arbeiten sollen, trifft das am härtesten die, die ohnehin wenig verdienen. Diese Sichtweise ist nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Und?

Schnitzer: In Österreich gehen die Menschen mit einer hohen Rente in Pension, aber dafür steigen die Renten danach nicht mehr so stark. Das entlastet das Rentensystem und trifft die am stärksten, die am längsten leben, also in der Regel auch am meisten verdient haben. Das wäre meiner Meinung nach eine überlegenswerte Variante.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen