Luxemburg/Hamburg. Die RTL-Mediengruppe übernimmt die deutschen Magazingeschäfte und -marken des Hamburger Zeitschriftenverlags Gruner + Jahr. Der Abschluss des Deals in Höhe von 230 Millionen Euro ist für den 1. Januar 2022 vorgesehen, wie die RTL Group am Freitag in Luxemburg mitteilte. Die Übernahme des Kerngeschäfts von Gruner + Jahr vereinbarten die RTL-Gruppe und der Konzern Bertelsmann, zu dem der Verlag gehört.
Gruner + Jahr ist ein 100-prozentiges Tochterunternehmen des Bertelsmann-Konzerns. Zu dem Verlag zählen Titel wie „Stern“, „Geo“, „Brigitte“, „Essen & Trinken“, „Schöner Wohnen“ und „Gala“. Es gehören auch jüngere Marken wie „Chefkoch“ dazu. 2020 lag der Umsatz des Hamburger Zeitschriftenverlags bei rund 1,14 Milliarden Euro.
Crossmedialer „Champion“ als Ziel
Bertelsmann- und RTL-Chef Thomas Rabe sprach von einer Zusammenführung von RTL Deutschland und Gruner + Jahr, man wolle einen crossmedialen „Champion“ schaffen. Dafür soll eine Organisation geschaffen werden, Details sollen in den kommenden Monaten festgelegt werden. Zusammengerechnet wären beide Einheiten 2020 auf einen Umsatz von 2,63 Milliarden Euro gekommen. Rabe betonte, dass es sich bei der Zusammenführung nicht um ein Kosten-, sondern ein Wachstumsprogramm handele.
Prägendes Zeitschriftenhaus
- Gruner + Jahr prägt als eines der größten und bekanntesten Zeitschriftenhäuser in Deutschland seit Jahrzehnten die Mediengeschichte des Landes. Bekannte Marken sind zum Beispiel „Stern“, „Geo“, „Capital“, „Gala“, „Schöner Wohnen“, „Essen & Trinken“.
- Die Zeitschriftenverleger John Jahr, Gerd Bucerius und der Drucker Richard Gruner gründen 1965 in Hamburg das Druck- und Verlagshaus.
- Gruner + Jahr steigt 1971 beim Spiegel-Verlag mit einem fast 25-prozentigen Anteil ein. Bei Gruner + Jahr selbst beteiligt sich Reinhard Mohn (Bertelsmann) 1969 mit einem Anteil von 25 Prozent. 2014 wird Gruner + Jahr ein 100-prozentiges Tochterunternehmen von Bertelsmann.
- Der „Stern“ macht mit großen Geschichten immer wieder auf sich aufmerksam. Dazu gehören zum Beispiel die Berichte über die Drogenszene in Berlin rund um Christiane F. in den 1970ern. Ein Skandal in den 1980ern waren Berichte zu den Hitler-Tagebüchern – die gefälscht waren, wie sich zu spät herausstellte.
„Es entsteht ein journalistisches Powerhouse mit der Inhalte-Kompetenz von mehr als 1500 Journalistinnen und Journalisten“, sagte Rabe. Durch die Zusammenführung könnten beide Seiten ihr Potenzial besser ausschöpfen. In crossmedialen Redaktionen sollen zum Beispiel exklusive Inhalte wie Dokumentationen entstehen. Das Ziel ist, größere Recherchen über mehrere Mediengattungen auszuspielen. Es wird voraussichtlich übergreifende Ressorts geben, die Identität der einzelnen Marken soll erhalten bleiben. Jährlich könnten perspektivisch Synergien von rund 100 Millionen Euro erzielt werden, die mehrheitlich umsatz-, also wachstumsgetrieben sind. Über die künftige Führungsstruktur der Organisation wurde noch nichts bekannt.
RTL übernimmt allerdings nicht alle Geschäfte des Hamburger Verlags. So bleiben bei Bertelsmann etwa die 25-Prozent-Beteiligung an der Spiegel-Gruppe und die Beteiligung an der DDV Mediengruppe, zu der die „Sächsische Zeitung“ gehört.
Rabe zufolge bleibt Hamburg Sitz von Gruner + Jahr. Es werde künftig eine Gruner + Jahr Deutschland GmbH geben, auf die die Kern-Publishing-Geschäfte des Verlags übertragen werden. Rund 1700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in Hamburg und den übrigen aktuellen Standorten sitzen, darunter 800 Journalisten. Große Umzugsaktionen seien nicht geplant.
In den vergangenen Jahren zog sich das Verlagshaus Gruner + Jahr aus ausländischen Märkten zurück, etwa aus den Niederlanden, Spanien und Österreich. Man wollte sich verstärkt auf den heimischen Markt konzentrieren. Vor einiger Zeit wurde bekannt, dass sich der Verlag auch von seiner französischen Magazinsparte mit dem Tochterunternehmen Prisma Media, das als führender Publikumszeitschriftenverlag in Frankreich gilt, trennt.
An der börsennotierten RTL Group, die in mehreren Ländern tätig ist, hält Bertelsmann die Mehrheit. Die Sendergruppe steuert im Bertelsmann-Konzernportfolio den vergleichsweise größten Umsatzanteil bei. Die RTL Group geht davon aus, dass der eigene Umsatz im Jahr 2021 bei 6,5 Milliarden Euro liegen werde.
Austausch von Inhalten
Im Februar war bekanntgeworden, dass die Mediengruppe RTL Deutschland und der Hamburger Zeitschriftenverlag eine stärkere Zusammenarbeit ausloten. Es sollten verschiedene Optionen geprüft werden. Das Ziel war neben einer engeren Kooperation auf verschiedenen Feldern auch die Entwicklung einer gemeinsamen Wachstumsstrategie.
Bertelsmann setzt schon seit längerem auf die inhaltliche Verzahnung von Unternehmensbereichen. Im Medienbereich ist das deutlich zu sehen: Zeitschriftenmarken, TV und der Audiobereich tauschen Inhalte aus und gehen für Projekte Kooperationen ein. So entstehen zum Beispiel gemeinsame Dokus oder Podcasts.
Dahinter steht auch die Strategie „Champions“ – also Größe in einem Marktumfeld. Bertelsmann-Chef Rabe betonte in den vergangenen Monaten immer wieder, dass er nationale „Champions“ in europäischen Märkten schaffen wolle, um so auch internationalen Streamingkonkurrenten wie Netflix und Amazon regional etwas entgegensetzen zu können.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-rtl-macht-in-zeitschriften-_arid,1833673.html
Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Kompetenz statt Krawall: Magazin-Verkauf an den Sender RTL