Mannheimer ZEW

Wirtschaftsweisen-Vorsitzende zu Gast am Mannheimer ZEW

Monika Schnitzer hat bei ihrem Auftritt am Mannheimer ZEW ihre Forderung nach Steuerererhöhungen für die Reichen verteidigt

Von 
Walter Serif
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Monika Schnitzer, die oberste Wirtschaftsweise, bei ihrem Vortrag am Mannheimer ZEW. © Thomas Tröster

Mannheim. Ende 2021 konnte Monika Schnitzer das Gutachten des Sachverständigenrats Corona-bedingt nur digital vorstellen. Ein Jahr später hält sie am Mannheimer ZEW ihren Vortrag in der beliebten Reihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“ live. Und: Sie ist in der Zwischenzeit aufgestiegen. Im Oktober haben die „Fünf Weisen“ Schnitzer zur Vorsitzenden gewählt. Weil sie auch noch auf anderen Hochzeiten tanzt - zum Beispiel als Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums - bezeichnet Gastgeber Achim Wambach die Ökonomin als „das Gesicht der wirtschaftspolitischen Beratung in Deutschland“. Das ist nicht nur nett vom ZEW-Präsidenten gemeint. Es stimmt sogar.

Großer Imageverlust

Wambach freut sich natürlich über das volle Haus, das ihm Schnitzers „Heimspiel“ beschert. „Ich bin hier um die Ecke in der St. Hedwig-Klinik geboren worden“, sagt Schnitzer - und obwohl sie lange nicht mehr in Mannheim lebt, ist es ihr nicht entgangen, dass das Krankenhaus vor zwei Jahren geschlossen wurde.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München hofft natürlich, dass unter ihrer Führung der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage sein in der jüngeren Zeit ramponiertes Image wieder aufpolieren kann. Teilweise war das Gremium - Schnitzer war da noch kein Mitglied - selbst schuld an dieser Entwicklung. Isabel Schnabel, die 2018 das Jahresgutachten am ZEW vorstellte, holzte damals öffentlich gegen ihren Kollegen Achim Truger - der anders als sie noch immer dabei ist - und warf ihm eine zu große Gewerkschaftsnähe und fachliche Inkompetenz vor. Für Ärger von außen sorgte danach, dass der Freiburger Ökonom Lars Feld 2021 nach einem Jahrzehnt gehen musste. Die SPD - die Bundesregierung ernennt die Mitglieder - verhinderte eine weitere Amtszeit. Inzwischen ist Lars Feld der persönliche Berater von FDP-Finanzminister Christian Lindner.

Dass die alte und neue Bundesregierung sich auf keinen Nachfolger einigen konnte, erschwerte die Arbeit der nur noch vier Wirtschaftsweisen. Aber auch diese fügten ihrem Bild in der Öffentlichkeit Schaden zu. Die Mitglieder waren nicht in der Lage, ihren Vorsitzenden zu wählen. Gewollt hätte angeblich nicht nur Schnitzer gerne. Auch dem Frankfurter Volkswirt Volker Wieland wurden Ambitionen nachgesagt. Deshalb musste das Gremium per Losentscheid bestimmen, wer das Jahresgutachten 2021 der damaligen Kanzlerin Angela Merkel überreichen durfte. Schnitzer hatte das Glück auf ihrer Seite.

Richtig chaotisch wurde es, als Wieland im April 2022 seinen Rücktritt erklärte - angeblich wegen Arbeitsüberlastung. Der auf das gesetzlich erlaubte Mindestmaß geschrumpfte Sachverständigenrat musste sich zu dritt an die Arbeit für das Jahresgutachten machen, das im November vorgestellt wurde. Komplett war die Truppe erst wieder im September.

Gutachten enthält Sprengstoff

Vor diesem Hintergrund ist es eine stolze Leistung, dass das Gremium ein vom Umfang und der Essenz her bemerkenswertes Werk verfasst hat. Wambach: „Ich bin ein Freund der langen Gutachten.“ Bemerkenswerter ist, dass der Sachverständigenrat anders als das Sprichwort besagt - fünf Ökonomen, sechs Meinungen - in allen Punkten einig geworden ist. Eine kleine Sensation, denn das Gutachten enthält Sprengstoff. Die Weisen schlagen für begrenzte Zeit einen Energie-Soli beziehungsweise eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor und wollen den Abbau der kalten Progression verschieben.

Alle diese krassen Vorschläge stehen im Widerspruch zu Lindners Mantra: Steuersenkungen braucht das Land. Schnitzer & Co. haben seine Welt also aus den Angeln gehoben. Deshalb war Lindner not amused. „Ich habe seinen Berater Lars Feld kürzlich getroffen. Er hat es zwar nicht direkt ausgesprochen, aber es klang schon an, dass Feld diesen Vorschlägen nicht zugestimmt hätte“, gießt Wambach mit diebischer Freude ein wenig Öl ins Feuer. Und im Publikum witzelt Wolfgang Franz: „Das hätte es unter meiner Führung nicht gegeben!“

Der langjährige ZEW-Chef nervte mit seinen Äußerungen im Sachverständigenrat ständig die Gewerkschaften, die am Anfang seiner Ernennung zugestimmt hatten. 1999 musste er das Gremium verlassen. Dem Arbeitsmarktexperten gelang allerdings 2003 sein Comeback. Diesmal auf Vorschlag der Arbeitgeber. Vier Jahre - bis 2013 - war er sogar der oberste Wirtschaftsweise.

Trotz dieses Happy Ends bleibt es das Dilemma der Wirtschaftsweisen, dass sie zwar per Gesetz jährlich ihr Gutachten erstellen sollen - aber die Politik kann sie jederzeit abwatschen oder ihre Amtszeit einfach auslaufen lassen, wenn ihr die Richtung nicht gefällt. So gesehen ist die Einigkeit, die der Sachverständigenrat jetzt an den Tag legt, auch ein cleverer Schachzug. Die Mitglieder lassen sich nicht auseinanderdividieren. Und was die FDP ärgert, freut wieder die Grünen und die SPD.

„Einfach ein rotes Tuch“

„Für manche sind Steuererhöhungen einfach ein rotes Tuch“, so Schnitzer. Sie sagt, dass die alten Rezepte nicht mehr zur Zeitenwende passen würden: „In Großbritannien meinte Premierministerin Liz Truss, sie käme mit ihrem Programm durch: Steuern senken für die Reichen und Sozialleistungen kürzen. Sie musste aber in Rekordzeit zurücktreten.“ Dazu Achim Wambach: „Truss hätte auf dich hören müssen. Aber in Großbritannien gibt es keinen Sachverständigenrat.“ Dafür aber einige Politiker ohne Sinn und Verstand. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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