Odenwald-Tauber. Dr. Pierre Mahlik ist Kinderarzt in Buchen und zudem Facharzt für Allergologie. Martin Englert ist Kinderarzt im MVZ Tauberfranken in Wertheim. Beide haben seit über 20 Jahren mit jungen Menschen zu tun und bestätigen, dass es unter ihren Patienten mehr Allergien als früher gibt.
Dr. Mahlik bedauert, dass manche Eltern allergische Reaktionen bei ihren Kindern immer noch zu sehr auf die leichte Schulter nehmen und plädiert deutlich dafür, aufmerksam zu sein und „Anzeichen von Allergien nicht zu unterschätzen und schon gar nicht zu verschleppen“. Er wirbt für die Prävention und sein Kollege Martin Englert sieht es genauso.
„Auch in der Kinderheilkunde ist eine ausführliche Befragung des Patienten sehr wichtig. Welche Beschwerden gibt es, welche Zusammenhänge sind erkennbar, passiert etwas zu bestimmten Zeiten, wann treten die geröteten Augen oder die Niesattacken auf? Es gilt klare Bezüge herzustellen“, betont Dr. Mahlik und ergänzt: „Das Pferd muss von der richtigen Seite aufgesattelt werden, deshalb frage ich viel nach, um die richtigen Rückschlüsse ziehen zu können.“
Der beste Weg sei immer noch, Allergien zu vermeiden, erklärt Kinderarzt Englert und rät Müttern, unbedingt ihren Nachwuchs zu stillen. Die Beikosteinführung sollte zudem nicht zu spät erfolgen, „denn es gibt gute Studien, die belegen, dass Kinder, die früher die Beikost bekommen, mit ihrem Immunsystem besser aufgestellt sind“. Mit drei bis vier Monaten könne man Hirsebrei zusätzlich zur Muttermilch geben und weit vor dem ersten Geburtstag auch Fisch und Nuss-Mus. Englert wirbt bei Kindern auch für den „gesunden Dreck“. Ein zu hygienisches Aufwachsen sei nicht immer das Beste.
Auch Pierre Mahlik spricht von einem Paradigmenwechsel im Bezug auf die Ernährung der Babys mit Kuhmilch und eben auch Fisch. Er geht zudem auf die ausgedehnte Pollensaison durch zunehmende Wärmeperioden ein, aber auch auf das Problem mit zum Beispiel nach Europa eingeschleppten Pflanzen, die sich aufgrund des Klimawandels hier nun wohl fühlen und Folgen für Allergiker haben: zum Beispiel Ambrosia und der Götterbaum.
„Ambrosia verlängert die Pollensaison, denn bislang konnten Gräser- und Frühblüher-Allergiker zwischen Oktober und Dezember meist durchatmen, doch Ambrosia ist bis in den November hinein aktiv“, so Dr. Mahlik, der auch die Tendenz zu mehr Kreuzreaktionen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten gerade bei Birkenpollen-Allergikern feststellt. Er warnt auch, die Eschenpollen nicht zu unterschätzen und weiß, dass die Heuschnupfen-Symptomatiken insgesamt zunehmen. Er verweist aber ebenso auf gute Behandlungsmöglichkeiten, die es inzwischen gibt. Eltern empfiehlt er, die Kleidung der Kinder nach dem Spielen im Freien nicht auf das Bett zu legen, sondern außerhalb des Schlafraumes zu lagern, stets zu den richtigen Zeiten zu lüften, über Pollenschutzgitter nachzudenken und vor dem Schlafengehen zumindest die Haare der Kinder zu waschen oder eine „Nasendusche“ mit einer milden Kochsalzlösung zum Abspülen der Nasenschleimhäute anzuwenden.
Facharzt Martin Englert berichtet ebenfalls von vielen Patienten im Bereich Pollenallergie – gerade in diesem Jahr. Neue Forschungen würden eine Hyposensibilisierung schon bei Kindern anraten, um größere Probleme im Erwachsenenalter zu vermeiden. Gute Ergebnisse sieht Englert bei der sublingualen Immuntherapie. Der Allergenextrakt wird dabei zu Hause über einen längeren Zeitraum hinweg unter die Zunge des Kindes platziert und nach einer Weile geschluckt. Das Spritzen beim Kinderarzt, wie bislang praktiziert, kann so vermieden werden.
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