„Es ist das letzte Konzert unserer Tour, deshalb muss ich keine Rücksicht auf meine Stimme nehmen. Also werden wir heute sehr lange spielen. Wenn es euch zu lange dauert, könnt ihr ruhig nach Hause gehen, wir machen trotzdem einfach weiter.“ Dieser Ankündigung lassen Beth Hart und ihre vorzügliche Begleitband eine grandiose, extralange Show im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle folgen. Statt der normalerweise 15 bis 17 Songs werden es an diesem Montagabend 23. Gut 165 Minuten lang lässt sie das Publikum teilhaben an ihrem Gefühlsleben und den wichtigsten Stationen ihres Lebens. Das Konzert ist eine musikalische Biografie, ja fast schon ein musikalischer Seelenstriptease. Das Publikum geht den Weg sichtlich bewegt, gar teilweise emotional ergriffen und letztendlich vom Vortrag begeistert mit. Stehende Ovationen während des gesamten Konzert belegen dies.
Eine Distanz zwischen Künstler und Publikum geht für Beth Hart überhaupt nicht – schließlich gibt sie Intimstes preis, bereitet ihre Seelenlage aus, macht keinen Hehl aus ihrer Drogensucht, die sie fast umgebracht hätte. Um von Anfang an die Atmosphäre eines gemeinsamen freundschaftlichen Treffens zu schaffen, kommt Beth Hart zu Beginn des Konzerts – während ihre Begleitband die Bühne betritt – durch den Besuchereingang, schlendert durch die Besucherreihen, schüttelt unzählige Hände, herzt den einen oder die andere richtiggehend. Ein Star zum Anfassen. Und der Auftakt „Can’t let go“ gibt gleich die Richtung für die erste Stunde vor: Blues angereichert mit ein wenig Rock, Soul und Jazz oder bisweilen auch mal Exotischeres: So wird „Bang Bang Boom Boom“ als Dub-Reggae serviert – und mundet außerordentlich gut.
Natürlich drückt die Stimme von Beth Hart allen Songs ihren Stempel auf. Kein Frage, sie ist einzureihen in die Riege der ganz großen Chanteusen von Janis Joplin bis Tina Turner. In den Alpen sollte man sie zur Zeit besser nicht singen lassen. Die Lawinengefahr wäre angesichts der Urgewalt ihres Organs schlichtweg zu groß.
Aber sie kann nicht nur opulente Stimmakrobatik, auch die leisen Töne beherrscht sie. Schier unbändige Power und zarte Verletzlichkeit geben sich die Klinke in die Hand. Mal röhrt sie, dass man Angst haben muss, die Decke stürzt ein, mal haucht sie die Töne ins Rund – getragen von einem nahezu perfekten Sound und einer seit Jahren auf sie eingespielten Band. Jon Nichols (Gitarre), Tom Lilly (Bass) und Bill Ransom (Drums) sind seit über 20 Jahren an der Seite der 50-Jährigen. Das Zusammenspiel ist großartig. Und das ist gar nicht so leicht. Die Auftritte von Beth Hart sind Unikate. Kein Abend gleicht dem anderen. Die Setlist variiert. Klar, ein paar Songs sind gesetzt, schließlich heißt es auch bei ihr: „Give the people what they want“. Aber es ist genug Raum für spontane Ausflüge.
In Stuttgart zieht sie nach gut einer Stunde den Stöpsel. Der Auftritt wird zur Unplugged-Show, aber dadurch nicht weniger intensiv und elektrisierend. Was Schlagzeuger Bill Ransom an seinem Mini-Drum-Kit an Rhythmen zaubert, ist schlichtweg grandios. Gitarrist Jon Nichols spielt unaufgeregt, aber präzise und gefühlvoll. Bassist Tom Lilly legt ein solides Fundament, egal was gerade angesagt ist. Und er hat stets ein Auge auf Beth Hart, freut sich mit ihr wie ein Schneekönig, wenn sie wieder einmal einen Song ohne Fehl und Tadel vom Stapel gelassen haben. Und das sind viele an diesem Dezemberabend in Stuttgart.
Viele dürften auch durch ihr Led Zeppelin-Cover-Album auf die US-Amerikanerin aufmerksam geworden sein. In Stuttgart packt sie erst in der Zugabe die beiden Glanzstücke „No Quarter/I’m gonna Leave you“ sowie „Whole Lotta Love“ aus. Auch die Wucht des Sounds von Jimmy Page und Co. bekommt das Quartett erstaunlich gut hin. Und Robert Plant hat sie vergessen lassen. Als Sahnehäubchen gibt es als emotionalen Schlusspunkt „I’d Rather Go Blind“ inklusive Unterbrechung, weil Beth Hart die Tränen übermannen. Doch am Ende der Achterbahnfahrt der Gefühle steht sie zufrieden grinsend, ihre Musiker umarmend am Bühnenrand. Chapeau.
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