Als „Frau Welt“ machte sie schon im Mittelalter Aufsehen: verführerische Vorderansicht, abstoßende Rückseite. Aus dieser Dame wurde später „Lady Vanitas“, eine in widersprüchlichen Facetten schillernde Persönlichkeit und allegorische Figur. In Schwetzingen sind ihr die Sängerin Dorothee Mields und das auf alten Instrumenten musizierende Concerto de’ Cavalieri auf den Fersen, zeigen sie gewissermaßen auf dem Weg zu „höherem“ Bewusstsein, „besserer“ Moral: von Eitelkeit und Prahlerei zur Einsicht in die irdische Vergänglichkeit, die in den Schoß des Gottesglaubens führen muss. Die herrliche Musik dazu stammt überwiegend aus dem frühen 18. Jahrhundert und ist italienisch-deutscher Provenienz.
Am Anfang ist die Eitelkeit noch voller Hoffnung, gibt sich sogar angriffslustig: „Eine Heerschar von Vergnügungen“ führt Lady Vanitas, die hier Bellezza (Schönheit) heißt, in Georg Friedrich Händels erstem Oratorium „Il trionfo del tempo e del disinganno“ in die Schlacht.
Aber das muss vergeblich bleiben – das Libretto dieses Werks von 1707 hat ein Kardinal geschrieben. Und das ist in Schwetzingen auch schon in dieser Arie zu erahnen: Sopranistin und Begleitensemble sind noch nicht komplett „zusammen“. Auch wenn das wohl kaum ein interpretatorisches Kalkül darstellt, sondern damit zusammenhängt, dass es noch die Einschwingphase des Konzerts ist.
In den zweiten Teil des Abends führt ein tiefer Cello-Seufzer ein, und auch Dorothee Mields’ agiler, glockenheller und geschmeidiger Sopran tendiert zu fahlen Stimmfarben. Es geht um bittere Erkenntnisse von trügerischem Ruhm und Vergeblichkeit. Die Botschaften sind sich von nun an ziemlich ähnlich. Schmecken musikalisch aber ausgesprochen süß, selbst wenn sie sich in Bach-Kantaten bis zur Todessehnsucht auswachsen: „Ich habe Lust, von dieser Welt zu scheiden.“
Vorher wollen wir indessen noch goutieren, wie sich in der Bach-Arie „Betörte Welt“ die Solovioline mit der Singstimme vermählt – und diese Violine bereits in der Einleitung mit einer Trost spendenden Expressivität aufwartet, die schon fast an das noch weit berühmtere „Erbarme dich“ von Bach gemahnt.
Paolo Perrone heißt der Sologeiger des Ensembles. Neben Todessehnsucht kann er auch eine enorme Daseinsfreude illustrieren: in den zwei Instrumentalwerken, die das Concerto de’ Cavalieri mit nach Schwetzingen gebracht hat. In einem Concerto für zwei Violinen von Vivaldi lässt Perrone, an der zweiten Geige von Antonio De Secondi sekundiert, einen Arpeggio-Regen niedergehen, der den Jagdsaal förmlich flutet. Und selbst ein viel älteres Concerto grosso von Corelli scheint Vivaldi schon vorauszuahnen.
Das klingt also alles hochlebendig und vibriert vor lauter schlankem Brio. Doch es fällt nicht mit der Tür ins Haus: Das italienische Ensemble kultiviert zwar einen äußerst stilkundigen Historismus, tut dies aber ohne Besserwisserei und pädagogische Mission. Der promovierte Philologe, Cembalist und Komponist Marcello de Lisa ist der Kopf des Kollektivs. Er leitet das Ensemble von der Truhenorgel aus – mit der er kaum einmal aktiv ins musikalische Geschehen eingreift.
Aber der Erfolg in Schwetzingen ist groß, als zweite Zugabe gibt es die erste Händel-Arie noch einmal. Diesmal kompakter, mit mehr Drive. Und dem geballten Rückenwind eines gelungenen Konzerts.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/kultur_artikel,-kultur-concerto-de-cavalieri-und-dorothee-mields-in-schwetzingen-_arid,2079512.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html