Literatur

„Die Assistentin“: Wie gut ist der neue Roman von Caroline Wahl?

Unser Autor hat „Die Assistentin“ von Caroline Wahl, die in Schriesheim bei Heidelberg aufgewachsen ist, gelesen. Das ist sein Fazit.

Von 
Uwe Rauschelbach
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Die Autorin Caroline Wahl steht bei der Weltpremiere von „22 Bahnen“, der Verfilmung ihres ersten Romans, auf dem passenderweise „Blauen Teppich“. © Felix Hörhager/dpa

Mannheim. Nach „22 Bahnen“ und „Windstärke 17“ hätte es weitergehen können mit der Geschichte über zwei Schwestern, die sich von ihrer alkoholkranken Mutter emanzipieren und ihren Weg ins Leben finden müssen. Stattdessen wagt sich Caroline Wahl, die in Schriesheim aufgewachsen ist, mit ihrem neuen Roman „Die Assistentin“ inklusive Verlagswechsel auf absolutes Neuland. Eingefahrene Gleise verlassen, sich nicht auf Erfolge ausruhen: Diese Entscheidung der jungen Autorin verdient Respekt. Dennoch fällt das Ergebnis eher enttäuschend aus.

„Die Assistentin“ spielt in einem Milieu, das Caroline Wahl aus eigener Anschauung kennt: Bevor sie zu einer der erfolgreichsten Autorin im deutschsprachigen Raum wurde, war sie als Assistentin in einem Züricher Verlag beschäftigt. Und mit fortschreitender Lektüre wächst im Leser die Hoffnung, die im Roman geschilderten Verhältnisse, denen sich die junge Assistentin in einem in München verorteten Verlag ausgesetzt sieht, seien wirklich bloße Fiktion.

Denn die Figur des Verlagsleiters, die das Geschehen dominiert, wird mit Eigenschaften ausgestattet, die ihn als zwangsneurotischen Tyrannen charakterisieren. Ein Chef, wie man ihn keinem Mitarbeiter eines Unternehmens – erst recht keinem Literatur produzierenden – wünscht. Einer, der seine Untergebenen zur akribischen Erfüllung seiner unstillbaren Bedürfnisse verpflichtet und dabei persönliche Grenzen überschreitet.

Protagonistin von „Die Assistentin“ Charlotte gerät an die Grenzen der Belastbarkeit

© Rowohlt

Charlotte, die im Roman die Herausforderung annimmt, ihre Position als Assistentin unter diesen schwierigen Verhältnissen zu verteidigen, gerät zusehends an die Grenzen der Belastbarkeit. Erzählt wird ein Burnout-Drama voller Absurditäten und steiler Eskalationsstufen, die man bei der Lektüre trotz der komfortablen Außenperspektive durchaus als Zumutung empfindet.

Eine zarte Liebesgeschichte bahnt sich an, ebenso findet Charlotte Erholung in der Musik. Dennoch steuert der Roman, dessen Kapitel mit den Namen der Jahreszeiten überschrieben sind, unvermeidlich auf winterlich frostige Verhältnisse zu, zumal auch die Eltern Charlottes den wachsenden Problemen ihrer Tochter nur mit stereotypen Ratschlägen begegnen.

Wie in ihren Vorgängerromanen geht es in Caroline Wahls drittem Buch um Prozesse der Selbstfindung unter widrigen Umständen. „Die Assistentin“ ist ebenso die Geschichte einer Emanzipation, wie sie die Töchter der alkoholkranken Mutter in „22 Bahnen“ und „Windstärke 17“ erleiden. Wie Tilda und Ida, so muss auch Charlotte Wege finden, um sich dem manipulierenden Einfluss einer Person zu entziehen, deren übergriffiges Verhalten pathologische Züge trägt und der gerade deswegen nur schwer zu entrinnen ist.

Erst gegen Ende erfährt man, dass auch Charlotte nicht frei ist von seelischen Störungen, die sich schon früh als Depressionen geäußert hätten. Und man fragt sich an dieser späten Stelle des Romans, was das mit dieser jungen Frau zu tun haben muss, deren Belastungssymptome auch ohne Zuschreibung dieser Krankheit nichts weiter als natürliche Reaktionen wären.

Schriftstellerin Caroline Wahl wird auf ein Mal geschwätzig

Der Erfolg der ersten beiden Romane hatte zweifellos mit der knappen, ungekünstelten Sprache und den authentisch wirkenden Dialogen zu tun. Gerade im Verzicht auf Erklärungen und Introspektionen lag der hohe Reiz dieser Erzählform, mit der Caroline Wahl in kurzer Zeit als Autorin mit beachtlichem Einfühlungsvermögen in das ihr fremde Milieu des Alkoholismus reüssieren konnte.

Jetzt, mit „Die Assistentin“, wechselt die Schriftstellerin in ein Sujet, das ihr persönlich vertraut ist – und wird auf einmal geschwätzig. Nicht anders muss man jene permanenten Selbstreflexionen nennen, mit der Wahl nicht nur ihre Hauptprotagonistin, sondern auch ihr Erzählerinnen-Ich ausstattet. So etwas kann man machen (in Vollendung studieren kann man das etwa bei Thomas Mann), doch im Falle der „Assistentin“ blähen solche direkten Anreden an das Lesepublikum diesen Roman eher auf, als ihn mit souveränem Hintersinn oder würzender Ironie zu bereichern.

Auch der starke auktoriale Zugriff auf das Innenleben von Charlotte signalisiert das mangelnde Vertrauen der Autorin, das sie noch mit ihren ersten beiden Romanen in das Einfühlungs- und Vorstellungsvermögen ihrer Leserschaft gesetzt hatte. Permanent wird die junge Verlagsassistentin unter dem grellen Licht ihrer Erfinderin geröntgt und seziert, bis man keine „wirkliche“ Figur mehr vor Augen hat, sondern eben eine erfundene.

Geschichte von Tilda und Ida scheint noch nicht zu Ende erzählt

Dabei gelingen Caroline Wahl durchaus kecke und ins jugendsprachliche kippende Wendungen, die eine literarische Originalität behaupten und von denen man sich wünschte, die Autorin würde ihrer inneren Stimme ebenso konsequent vertrauen wie der Empathie ihrer Leser. Stattdessen wirken die vielen Wiederholungen gerade auch von Nebensächlichkeiten gekünstelt und redundant.

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Die Geschichte von Tilda und Ida scheint mit „Windstärke 17“ noch nicht zu Ende erzählt. Womöglich hat sich Caroline Wahl damit die Tür offenhalten wollen, um an diese überraschenden Früherfolge bei Bedarf noch einmal anknüpfen zu können. Doch darauf sollte man die Autorin auch nach „Die Assistentin“ ebenso wenig verpflichten wie auf eine ungebrochen hohe Erfolgswelle. Selbstfindungsprozesse finden schließlich nicht nur in Romanen statt.

Caroline Wahl: Die Assistentin. Rowohlt Verlag, 368 Seiten, 24 Euro.

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