Konzert

Gentleman im Interview: „Musik war für mich immer Therapie“

Der Reggae-Künstler Gentleman performt bei Jazz & Joy in Worms - mit dem „MM“ hat er vorab darüber gesprochen wie er trotz der Weltlage zuversichtlich bleibt

Von 
Steffen Rüth
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Der Musiker Gentleman (Tilmann Otto) spielt am Samstag bei Jazz & Joy in Worms. © Britta Pedersen/dpa

Er hat den Reggae aus Deutschland Ende der Neunziger mit salonfähig gemacht, feiert seitdem große Erfolge im In- und Ausland und klingt auf seinem neuen, zeitgeistig betitelten, Album „Mad World“ wie frisch geduscht. Der Kölner Tilmann Otto, bekannt als Gentleman, bietet mit seinen neuen Songs der Intoleranz die Stirn und bereitet der guten Laune den Tanzboden. Wir unterhielten uns über Video mit dem 48-jährigen Vater von zwei Kindern, dessen Frau Tamika in seiner Band singt, über die verrückte Welt als solche, die Debatte um kulturelle Aneignung und seinen neuen Zweitwohnsitz. Nach seinem Auftritt am vergangenen Wochenende bei Sound Of The Forest kann man Gentleman am Samstag bei Jazz & Joy in Worms erleben.

Gentleman, der August ist bislang wenig karibisch. Wo würden Sie gern sein, wenn nicht gerade Festivalsaison wäre?

Gentleman: Auf Mallorca. Wir haben ein Häuschen auf der Insel. Ich lebe nach wie vor in Köln, bin aber so oft auf der Insel, wie es geht. Dort finde ich zur Ruhe und kann meine Gedanken ganz wunderbar schweifen lassen. Ich liebe es, einen weiten Blick zu haben. Ich lebe dann gesund, kann besser schlafen, und bin ein bisschen weggekommen von der Lautstärke des Großstadtlebens. Es war immer mein Traum, so einen kleinen Rückzugsort zu haben, der nicht zu weit weg ist. Auch das aktuelle Album haben wir auf Mallorca aufgenommen.

Das Album heißt zwar „Mad World“, die Songs klingen jedoch positiv und der Zukunft zugewandt. War dir wichtig, keine Depri-Musik zu machen?

Gentleman: Ich glaube, das kann ich gar nicht (lacht). Es gab noch nie eine Phase, in der ich meine Lebensfreude verloren hatte. Was es gab, waren Zeiten, in denen ich mehr Fragen als Antworten hatte, aber immer mit der Gewissheit, da wieder rauszukommen. „Mad World“ bezieht sich weniger auf mich selbst, sondern auf das gesellschaftliche Klima. Ich kann nicht glücklich sein, wenn in meinem Umfeld alle kämpfen und leiden.

Gentleman und Jazz & Joy in Worms

  • Gentleman wurde 1974 als Sohn eines Pastors geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Frau Tamika singt in seiner Band.
  • Mit „Journey to Jah“ hatte Gentleman seine erste Gold-Platte und das folgende Album „Confidence“ wurde mit Platin zertifiziert.
  • Am Sonntag, 13. August, spielt Gentleman ab 20 Uhr bei Jazz & Joy auf dem Wormser Marktplatz
  • Am Freitag, 11. August, gibt Sänger Max Giesinger, ab 21 Uhr ein Sonderkonzert auf der Sparkassen-Bühne.
  • Highlight am Samstag, 12. August, ab 22.30 Uhr dürfte der Auftritt der Mannheimer Popakademie-Überfliegerin Alice Merton auf dem Marktplatz werden
  • Die Tageskarten (jeweils ohne Sonderkonzert) für das Festival kosten im Vorverkauf 30 Euro, an der Abendkasse 35 Euro. Die Dreitageskarte gibt es im Vorverkauf für 50 Euro, an der Abendkasse für 60 Euro. Ermäßigungen sind verfügbar. Der allgemeine Vorverkauf endet am Freitag, 11. August, um 12 Uhr.
  • Mehr zum Programm: https://www.jazzandjoy.de ales/mav

Ist die Botschaft Ihrer „Mad World“-Bearbeitung vom Weltgeschehen beeinflusst worden?

Gentleman: Wenn die Situation eine andere gewesen wäre, dann wäre es glaube ich trotzdem zu dem Song gekommen. Aber klar, „Mad World“ passt in die Zeit, auch in den Zeitgeist. Um uns herum brodelt es weltweit extremst und in einer Dynamik, die neu für uns ist. Und trotzdem bin ich überzeugt, dass in jeder Krise eine Chance steckt, auch in dieser. Ich glaube daran, dass es eine Kraft gibt, die alles zusammenhält. Und es stimmt mich zuversichtlich, dass wir immer noch lachen können und immer noch Musik machen. Ich bin mir sicher, dass es schon irgendwie weitergehen wird.

„Wir müssen nur den Kopf oben halten und weitermachen“ singst du in „Things Will Be Greater“.

Gentleman: Natürlich, sonst können wir einpacken. Früher habe ich immer an diesen „One Love“-Gedanken geglaubt, also daran, dass wir alle irgendwann aufmachen und in Frieden und Harmonie leben. Diese Überzeugung habe ich heute nicht mehr. Ich fürchte, die Ignoranz der Menschen ist zu groß, als dass wir „One Love“ hinbekommen. Aber ich bin immer noch von dieser Balance überzeugt, dass alles im Einklang ist und das Helle nicht ohne das Dunkle existieren kann.

Steht nicht gerade der Reggae seit jeher für das „One Love“-Mantra?

Gentleman: Ich würde das nicht auf ein Genre reduzieren. Meine zentrale Liebe ist der Reggae, ich liebe aber auch Musik generell. Kunst und Kultur ganz grundsätzlich haben einfach diese Kraft, bestimmte Momente ertragbarer und das Leben insgesamt süßer zu machen. Musikhören war für mich, schon als Kind, auch immer Therapie. Wenn es eine universelle Sprache gibt, dann ist das die Musik.

Auch Sie werden von heftigen Debatten rund um das Thema der kulturellen Aneignung gestreift. Nicht alle finden es super, wenn ein weißer Pastorensohn aus Köln die Musik der Jamaikaner kapert und mehr Geld damit verdient als sie selbst. Wie finden Sie die Diskussion?

Gentleman: Die Debatte hat ihren Sinn, und ich finde gut, dass es sie gibt. Nur finde ich die Art und Weise, wie wir miteinander diskutieren, oft sehr hysterisch. Wir sollten es auf die Reihe kriegen, andere Meinungen zu respektieren und trotzdem gelassen zu bleiben. Dieses totale Entweder-oder-Denken finde ich falsch.

Wie könnte die Diskussion sinnvoller geführt werden?

Gentleman: Mit weniger Aufregung. Es ist produktiv, wenn wir voneinander lernen, einander zuhören und Muster aufbrechen, die nicht mehr in die Zeit passen. Wenn uns unsere Debatten aber bloß beschneiden, wir uns nichts mehr trauen und supervorsichtig werden, dann ist der Sache nicht gedient. Als weiße Westeuropäerinnen und -europäer sind wir zum großen Teil einfach rassistisch sozialisiert. Ich muss mir doch nur mal alte Kinderbücher angucken, aus denen mir meine Mutter früher vorgelesen hat, die sind wirklich derbe. Als Menschen, die nie unterdrückt wurden und keine schlechten Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht haben, sollten wir sensibel sein. Ich finde es gut, wenn ein paar Bücher umgeschrieben und ein paar Denkmäler umgeworfen werden. Nur darf uns die Debatte nicht einengen und am Austausch hindern.

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Sind Sie froh, dass es solche Auseinandersetzungen in den Neunzigern noch nicht gab?

Gentleman: Ich weiß nicht, ob ich bei dem heutigen Zeitgeist anfangen würde, Reggae zu machen und auf Patois zu singen. Einfach, weil ich nicht mehr so unbefangen sein könnte wie ich es mit 18 war. Ich hatte damals einfach diese Leidenschaft für die Musik entwickelt und wollte wissen, wo sie herkommt. Ich bin schon in sehr jungem Alter nach Jamaika geflogen und habe immer mit jamaikanischen Künstlerinnen und Künstlern zusammen Musik gemacht, Shows gespielt und Geld verdient. Ich habe eine tiefe Verbindung zum Ursprung dieser Musik -und deshalb fühle ich mich in diesem Punkt einfach nicht angreifbar.

Hat in Jamaika mal jemand gesagt, Sie als Deutscher sollten nicht deren Lieder singen?

Gentleman: Nein, diese Vorwürfe habe ich dort nie wahrgenommen. Aus Jamaika kam und kommt bis heute eher Liebe und Respekt.

Freier Autor

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