Mannheim/Heidelberg. Selbst der „Hitlerjunge Salomon“ kommt in den Heidelberger Karlstorbahnhof: Marco Hofschneider, mit ebendieser Rolle in Agnieszka Hollands gleichnamigem Film damals auch international bekannt geworden, hält die Lobrede auf „seine“ Regisseurin. Auf dem Internationalen Filmfestival wurde ihr in diesem Jahr eine „Hommage“ gewidmet, und sie ist dazu selbst erschienen.
Hofschneider, damals noch fast ein Jugendlicher, heute ein eleganter, grau melierter Herr mit Brille, lässt das „größte Abenteuer“ seines Lebens noch einmal Revue passieren: als er 1990 für den „Hitlerjungen“ seine erste große Filmrolle spielte. Diesen „Crashkurs“ werde er natürlich nie vergessen. Doch vor allem rühmt er, wie Agnieszka Holland ihn geführt habe: so schonend und verständnisvoll. Er habe später lernen müssen, dass „nicht alle Regisseurinnen und Regisseure wie Agnieszka Holland“ seien.
Es gibt eben diesen Zauber des ersten Mals. Besonders auf dem Mannheim-Heidelberger Filmfest, wo an diesem Preisverleihungsabend (neudeutsch auch „Award Ceremony“ genannt) die besten Newcomer geehrt werden. Mit ihrem ersten oder zweiten Werk. Vertreten in dem „On the Rise“ genannten internationalen Wettbewerb, in dem es 16 fiktionale Langfilme zu sehen gab – und teilweise noch gibt. Der Hauptpreisträger, ausgezeichnet mit dem „Newcomer Award“ und finanziell belohnt mit 30 000 Euro, ist in diesem Jahrgang „Manas“ aus Brasilien von der Regisseurin Marianna Brennand.
Selbstermächtigungsgeschichte einer missbrauchten Frau
Es ist eine Selbstermächtigungsgeschichte: Eine junge Frau, die sich Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sieht, wehrt sich und bricht aus. Die internationale Jury lobt, dass in diesem Film auch kleine, schlichte Gesten ein erhebliches Gewicht erhielten. Auch die „Junge Jury“ (zwei Studentinnen und ein Student) gibt ihren Preis an „Manas“ – und beweist damit einen guten Riecher. Regisseurin Marianna Brennand kämpft im Karlstorbahnhof mit den Tränen, sagt, sie habe „zeigen wollen, was niemals passieren sollte“. Und ihr Anliegen sei nicht nur künstlerisch, sondern auch humanistisch. Sie hat lange recherchiert, als Filmemacherin ist sie davor primär mit Dokumentationen aufgefallen.
Die Preisträger
- Hauptpreis (30 000 Euro): Marianna Brennand für “Manas”
- Drehbuchpreis (15 000 Euro): Sarah Friedland für „Familiar Touch”
- „Young Actors Award” (10 000 Euro): Laura Weissmahr für ihr Spiel in „Salve Maria”
- „Student Award” (5000 Euro): Marianna Brennand für „Manas“
- Preis der Ökumenischen Jury (2500 Euro): Huo Xin für „Bound in Heaven”
- „FIPRESCI Award”: Christopher Andrews für „Bring Them Down”
- „Audience Award” (5000 Euro): Said Hamich Benlarbi für „Across the Sea”.
Einen zweiten Hauptpreis gibt es für das beste Drehbuch. Er nennt sich nach Rainer Werner Fassbinder – für den das Festival in Mannheim stets das schönste auf der Welt gewesen ist. Und das sagen nicht wir, das sagt in Heidelberg Juliane Lorenz-Wehling, früher enge Fassbinder-Vertraute, heute Leiterin der nach dem Regisseur benannten Stiftung.
Deren Drehbuchpreis geht dieses Jahr an Sarah Friedland für „Familiar Touch“, die sich dem Thema Demenz annimmt und daraus ungewohnte Funken schlägt. Die Jury lobt, dass die gelernte Choreographin aus den USA in ihrem Film das Schweigen in Bewegung bringe und nicht nur behaupte, dass das Leben selbst in Krisen Sinn gewinnen könne, sondern auch beschreibe, wie.
Schauspielpreis für Frauen erstmals vergeben
Zum ersten Mal wird ein Schauspielpreis vergeben. Nicht nur Frauen können ihn erhalten, aber diesmal schon: weil das Programmteam einzig Frauen nominiert hat. Ariella Mastroianni ist darunter, optisch wirkt sie wie die Enkelin des großen „Latin Lovers“ und Fellini-Darstellers, aber sie stammt aus Nordamerika, ist offenkundig nicht mit ihm verwandt. Der Preis geht ohnehin an Laura Weissmahr, die in einem nicht im Hauptprogramm gezeigten Film auftritt: „Salve Maria“ heißt er und zeigt Weissmahr in der Rolle einer jungen Mutter, die mit ihrem neuen Dasein hadert, dabei zwischen Dunkelheit und Wahnsinn oszilliert.
Die Ökumenische und die Fipresci-Jury vom Verband der Filmkritik vergeben gleichfalls ihre Preise, ebenso das Publikum, das sich „Across the Sea“ erwählt, ein Exilantendrama. Doch das Schlusswort der vom Schauspieler und Fernsehentertainer Jochen Schropp sehr munter moderierten Preisverleihung überlassen wir Agnieszka Holland: „Heute sind die Festivals noch wichtiger als früher“, findet sie. Weil ihre Macher nicht für Geld, sondern aus Liebe tätig seien. Und der „Diktatur der Algorithmen“ aus dem Internet etwas entgegensetzten. Vielleicht könne so das Kino überleben. Doch ganz sicher ist auch Holland nicht.
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