Antisemitismus-Vorwürfe

Anklage gegen Xavier Naidoo: Was dem Sänger vorgeworfen wird

Dem Sänger droht ein Verfahren am Landgericht wegen Volksverhetzung und Beleidigung eines Mitarbeiters der Amadeu Antonio Stiftung. Xavier Naidoos Anwälte bestreiten die Vorwürfe

Von 
Jörg-Peter Klotz
Lesedauer: 
Xavier Naidoo könnte ein Prozess am Landgericht Mannheim bevorstehen. © picture alliance/dpa/Alexandra Wey

Mannheim. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen einen „52-jährigen Musiker aus Mannheim“ erhoben – offensichtlich handelt es sich um Popsänger Xavier Naidoo.  Der Vorwurf laut einer Pressemitteilung vom Donnerstag: Volksverhetzung   und Beleidigung. „Ihm wird zur Last gelegt, im März 2021 über einen Telegram-Kanal den Holocaust leugnende und antisemitische Inhalte durch Verlinkung eines Videos sowie durch eine mit einem Text versehene Bilddatei veröffentlicht zu haben. Bereits im Juli 2023 wurde gegen ihn wegen Volksverhetzung in vier Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, ebenfalls Anklage zum Landgericht Mannheim erhoben“, heißt es in der Mitteilung konkret. „Es gilt die Unschuldsvermutung. Die Vorwürfe werden bestritten“ – damit endet die Pressemitteilung. 

"Es gibt keinen ausreichenden Tatverdacht für eine Hauptverhandlung"

Naidoos Mannheimer Rechtsanwälte Edgar Gärtner und Jana Eisenbeiß reagierten am Donnerstag auf eine Anfrage dieser Redaktion an das Management des Sängers: "Bei dem Musiker handelt es sich um unseren Mandanten Herrn Xavier Naidoo. Die von der Staatsanwaltschaft behaupteten Vorwürfe der Volksverhetzung und Holocaustleugnung sind falsch und werden ausdrücklich bestritten." Gegen die Vorwürfe gebe es nicht nur beachtliche rechtliche Einwendungen, sondern es gibt vor allem ganz erhebliche Einwendungen in tatsächlicher Hinsicht. "Diese belegen die Unschuld unseres Mandanten", betonen die Rechtsvertreter. "Im jetzigen Zwischenverfahren werden wir gegenüber dem zuständigen Landgericht diese rechtlichen und tatsächlichen Einwendungen deutlich machen. Wir sind davon überzeugt, dass das Landgericht Mannheim beide Anklagen nicht zulassen, sondern die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen wird." Es gebe keinen ausreichenden Tatverdacht für eine Hauptverhandlung. "In dem von der Staatsanwaltschaft benannten älteren Verfahren hat das Landgericht deshalb auch nach mehr als zehn Monaten die Anklage bislang nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, bitten wir um Verständnis, dass wir keine weitergehenden Erklärungen abgeben können. Als Verteidiger des Herrn Naidoo möchten wir aber unser Erstaunen und unser Unverständnis über das Verhalten der Staatsanwaltschaft Mannheim zum Ausdruck bringen, insbesondere über die einseitigen Ermittlungen und Bewertungen in der Anklageschrift", heißt es in der Erklärung des Anwalts-Duos.

Vorwürfe beziehen sich auf Telegram-Beiträge aus den Jahren 2020 und 2021

In dieser Anklage wird dem Naidoo zur Last gelegt, im Zeitraum Anfang Dezember 2020 bis Ende April 2021 ebenfalls über einen Telegram-Kanal antisemitische und den Holocaust leugnende Inhalte in Form von Texten, einer eigenen Audiobotschaft sowie durch Verlinkung einer fremden Audiobotschaft und eines Videos veröffentlicht zu haben. Zudem soll er eine Person, die der Amadeu Antonio Stiftung zugehörig war, beleidigt und in diesem Zusammenhang Texte mit antisemitischem Inhalt veröffentlicht haben, heißt es von Seiten der Staatsanwaltschaft.

Reaktion auf Ukraine-Krieg

„Von Verschwörungserzählungen geblendet“: Warum Naidoo sich jetzt in einem Video entschuldigt

Veröffentlicht
Von
Jörg-Peter Klotz
Mehr erfahren

Die aufwendigen und umfangreichen Ermittlungen seien von der Kriminalinspektion 6 der Kriminalpolizeidirektion Heidelberg und der Staatsanwaltschaft Mannheim geführt worden. Den Ermittlungen lagen diverse Strafanzeigen, unter anderem der geschädigten Person, zugrunde. „Aufgrund der besonderen Bedeutung der Sache wurden beide Anklagen zur Großen Strafkammer des Landgerichts Mannheim erhoben“, erläutert Pressestaatsanwältin Valerie Schweppe. Auf Anfrage dieser Redaktion erklärt sie: „Das Gericht entscheidet, ob ein Hauptverfahren eröffnet wird. Wann das geschieht, ist offen.“ Dass der Name eines Beschuldigten nicht genannt werde, sei üblich, betont die Staatsanwältin, auch bei leicht über Google identifizierbaren Prominenten.

Kommentar Xavier Naidoos Kehrtwende sendet ein wertvolles Signal in die Gesellschaft

Veröffentlicht
Kommentar von
Jörg-Peter Klotz
Mehr erfahren

Hinsichtlich der bereits im Juli 2023 erhobenen Anklage sei bisher noch nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden worden. Mit der neuen Anklage wurde eine Verbindung mit dem bereits anhängigen Verfahren beantragt.

"Herr Naidoo lehnt jegliches antisemitisches, rassistisches oder fremdenfeindliches Gedankengut ab"

Naidoos Rechtsanwälte äußerten sich überzeugt, dass das Landgericht Mannheim beide Anklagen nicht zulassen werde. Sie betonten in Ihrer Mitteilung: "Herr Naidoo lehnt jegliches antisemitisches, rassistisches oder fremdenfeindliches Gedankengut ab. Er distanziert sich von jeder Art von Diskriminierung. Dies hat er auch mehrfach öffentlich getan. "Zu dieser Haltung und zu diesen Werten stehe er nach wie vor. "Wir möchten nachdrücklich auf die verfassungsrechtlich verbürgte Unschuldsvermutung unseres Mandanten Herrn Xavier Naidoo sowie die Pflicht zur Einhaltung der Grundsätze der Verdachtsberichterstattung hinweisen", formulierten die Anwälte.

Schwierige Ermittlungen, Urheberschaft von Telegram-Beiträgen oft unklar

Dass die Mühlen der Justiz in diesem Fall so langsam mahlen, ist nachvollziehbar. Auf dem Naidoo zugeschriebenen Telegram-Kanal sollen nach Informationen dieser Redaktion auch Administratoren in seinem Namen Beiträge verfasst haben. Die Urheberschaft von Beiträgen ist schwer zu klären, was die Dauer der Ermittlungen erklärt. Online-Extremismusforscher Forscher Josef Holnburger sieht es als hochproblematisch an, dass Naidoo mit einer damals sechsstelligen Gefolgschaft das antisemitische Pamphlet „Protokolle der Weisen von Zion“ geteilt habe.

Hintergrund zum 50. Geburtstag

Xavier Naidoo wird 50 - in Mannheim ist kaum jemandem nach Feiern zumute

Veröffentlicht
Von
Jörg-Peter Klotz
Mehr erfahren
Umstrittener Popsänger

Xavier Naidoo kehrt auf die Bühne zurück - bei Oliver Pocher

Veröffentlicht
Von
Jörg-Peter Klotz
Mehr erfahren

2021 soll sich Xavier Naidoo aus seiner Telegram-Gruppe zurückgezogen haben

Der Experte beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), der in sozialen Netzwerken die Verbreitung von Verschwörungserzählungen analysiert, hatte 2021 aber auch beobachtet, dass der Mannheimer sich von dem Telegram-Kanal zurückgezogen habe. Danach wurde er umbenannt und verlor viele Gefolgsleute.

Erst das Bundesverfassungsgericht stellte 2021 klar, dass man Naidoo als Antisemit bezeichnen darf

Naidoo hatte sich juristisch zweimal erfolgreich gegen Antisemitismusvorwürfe der 1998 in Heidelberg gegründeten Amadeu Antonio Stiftung gewehrt: Vor dem Landgericht Mannheim am 19. August 2015 und im Juli 2018 in Regensburg, was das Oberlandesgericht Nürnberg im Oktober 2019 bestätigte. Die Stiftung ging aber bis zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Das stellte nun im November 2021 klar, dass man Naidoo einen Antisemiten nennen dürfe. Die Meinungsfreiheit wurde höher gewichtet als die Prangerwirkung der Aussage. Zur Begründung hieß es in Karlsruhe unter anderem: Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gebe, müsse eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindere.

Prozess am Landgericht wäre eine Chance, vor allem für Xavier Naidoo

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.

Im April 2022 hat sich Naidoo nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine überraschend mit einem Online-Video von seinen verschwörungstheoretischen Äußerungen distanziert und um Entschuldigung gebeten. Gab damals an, sich jahrelang in Verschwörungserzählungen verrannt zu haben. "Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue", sagte der aus Mannheim stammende Musiker. Zuvor war er lange Zeit aufgefallen mit Aussagen, die ihm Antisemitismus- und Rassismus-Vorwürfe einbrachten, er trat mit sogenannten Reichsbürgern auf, verbreitete Theorien der QAnon-Bewegung und polarisierte mit Äußerungen zur Corona-Pandemie. Seitdem hat er sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen (bis auf einen kurzen Gastauftritt in der Zugabe einer Live-Show des Komikers Oliver Pocher im April 2024 in Saarbrücken). Naidoos Entschuldigung wurde vielfach als unzureichend und zu unkonkret kritisiert. Auch dem auf Radikalisierung in sozialen Netzwerken spezialisierten Politologen   Holnburger reicht Naidoos Statement nicht: „Es braucht mehr als ein vages Distanzieren von unbenannten Gruppen und Sichtweisen“, sagte er dem „Mannheimer Morgen“ 2022. Von daher könnte auch ein sehr spät folgender Prozess am Mannheimer Landgericht etwas Gutes haben: Naidoo müsste vor einer breiten Öffentlichkeit endlich richtig reinen Tisch machen. Darin liegt eine Chance, vor allem für ihn selbst. (mit dpa)

Ressortleitung Stv. Kulturchef

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke