Filme auf engstem Raum, möglichst an nur einem Schauplatz, anzusiedeln – das reizt Regisseure. Alfred Hitchcock, der „master of suspense“, hat dies perfekt beherrscht: „Das Rettungsboot“ (1944) und „Cocktail für eine Leiche“ (1948). Auch Joel Schumacher, in dessen „Nicht auflegen!“ (2002) sein von Colin Farrell verkörperter Held von einem Scharfschützen in einer Telefonzelle festgehalten wird. Gerne dienen auch Flugzeuge als Ort der Handlung, siehe „Snakes on a Plane“ mit Samuel L. Jackson oder aus jüngerer Vergangenheit Wes Cravens Thriller „Red Eye“ (2024).
„Flight Risk“: 91 Minuten Spannung pur
Nun hat sich Mel „Mad Max“ Gibson, der ein Faible für verstörende, gegen den Strich gebürstete Arbeiten besitzt – so wird in seiner schmerzhaften Kreuzweg-Interpretation „Die Passion Christi“ Lateinisch, Aramäisch und Hebräisch gesprochen, in seinem gewalttätigen Historiendrama „Apocalypto“ ausschließlich Mayathan – an Bord einer Cessna begeben. „Flight Risk“, was sich mit „Flugrisiko“ übersetzen lässt, heißt sein B-Picture, das auf Jared Rosenbergs Debütdrehbuch fußt. 91 Minuten Spannung pur, kurz und knackig, keine Exkurse, keine Längen, keine Zeit zum Durchatmen. Früher waren diese Art Produktionen typische Ware für Videotheken.
In einem entlegenen Kaff in Alaska geht‘s los. Buchhalter Winston (Topher Grace) hat sich in einem Motel versteckt – aus Angst vor seinem Mafia-Boss, dessen Bücher er gefälscht hat. Hier wird er von Air Marshal Madolyn (Michelle Dockery) aufgespürt und verhaftet. Schnellstmöglich soll sie ihn in New York abliefern, wo er vor Gericht als Kronzeuge gegen seinen Chef aussagen soll. Doch Daryl (Mark Wahlberg), Pilot der für die Überführung gecharterten Maschine, ist nicht der, der er vorgibt zu sein. Zunächst jovial und gesprächig, lässt er schnell die Maske fallen. Entpuppt sich als eiskalter, sadistischer Killer, der sich auftragsgemäß seiner menschlichen Fracht entledigen soll …
Die Prämisse ist bekannt. Die Parallelen zu Martin Brests „Midnight Run – Fünf Tage bis Mitternacht“ mit Robert De Niro und Charles Grodin oder zu Clint Eastwoods „Der Mann, der niemals aufgibt“ sind offensichtlich. Es geht stets um einen schwierigen Gefangenentransport. Held oder Heldin sind zielstrebig und maulfaul, die nonstop plappernden Verhafteten schlau und verschlagen, die Schurken eiskalt. In diesem Fall ist das Daryl – und der gegen den Strich besetzte Wahlberg („Ted“) zieht richtig vom Leder.
Mark Wahlberg
Vom Calvin-Klein-Unterwäschemodel und Rapper zur fixen Größe in Hollywood: Mark Wahlberg, vormals „Marky Mark“, avancierte vom Pop-Idol zum Charakterdarsteller .
Der jüngere Bruder von Donnie Wahlberg („Blue Bloods“) wurde 1971 in Boston geboren, brach die Schule ab – 2013 holte er seinen Highschool-Abschluss nach – und verbüßte als 16-Jähriger eine 45-tägige Haftstrafe wegen Körperverletzung.
Mit der HipHop-Truppe „Funky Bunch“ und an der Seite von Reggae-Sänger Prince Ital Joe feierte er als Musiker große Erfolge, auf der Leinwand erregte er 1995 in seinem autobiografisch angehauchten Part in „Jim Carroll – In den Straßen von New York“ an der Seite von Leonardo DiCaprio erstmals Aufmerksamkeit.
Den Durchbruch schaffte Mark Robert Michael Wahlberg als Pornostar Dirk Diggler in P.T. Andersons „Boogie Nights“ (1997), eine Oscar-Nominierung gab es für seinen Cop in Martin Scorseses „Departed – Unter Feinden“, eine weitere für seine Rolle als Produzent von „The Fighter“.
Sehenswerte Auftritte absolvierte der Vater von vier Kindern – er ist seit 2009 mit dem Model Rhea Durham verheiratet –zudem in „The Yards“, „Der Sturm“, „Shooter“, „Uncharted“ und der Real-Life-Doku „Wahlburgers“. geh
Nachdem es Polizistin Madolyn gelungen ist, Daryl zu überwältigen und zu fixieren, übernimmt sie den Steuerknüppel. Muss mithilfe eines Fluglotsen im fernen Anchorage das einmotorige Flugzeug sicher landen. Gleichzeitig versucht sie via Funk – mit schlechter Verbindung – herauszufinden, wer die Mission verraten hat. Auch für Dockery, die tapfer gegen ihr nobles „Downton Abbey“-Image anspielt, ist es ein ungewöhnlicher Part. Geerdet ist sie, kann zuschlagen – und trägt Fliegersonnenbrille, die hier zweckentfremdet zum Einsatz kommt. Derweil gibt Grace als Buchhalter Winston den Clown und sorgt nach schweißtreibenden Momenten mit Wortwitz für Entspannung.
Mark Wahlberg ist dieses Mal ein echter Drecksack
Ein Dreipersonenstück, von Gibson souverän gehandhabt. Erstmals hat er als Filmemacher und bekannter Macho mit einem Faible für masochistische Charaktere eine Frau als Heldin besetzt und publikumswirksame Mainstream-Unterhaltung geliefert. Gradlinig konzentriert er sich auf Action, nutzt dafür die Enge des Cockpits geschickt. Ganz ohne Drastik geht es bei ihm jedoch nicht, etwa in der Szene, in der Daryl sich blutig aus seinen Handschellen befreit. Die Zähne fletschend wie weiland Jack Nicholson. Das Toupet (!) unter der verkehrt herum aufgesetzten Base Cap ist ihm da längst verrutscht. Sonny Boy „Marky Mark“, Traum aller Schwiegermamas, Sohn Gibsons in der Komödie „Daddy‘s Home 2“, ist dieses Mal ein echter Drecksack – und mit Lust, Laune und rollenden Muskeln voll bei der Sache.
Technisch ist das Projekt, unter anderem produziert von Mel Gibsons Firma Icon Productions, sauber umgesetzt. Eine perfekt gehandhabte Genrearbeit, die nicht vorgibt mehr zu sein als sie ist. Popcorn-Entertainment mit namhaften, zugkräftigen Stars. Purer Leinwand-Eskapismus, keinesfalls ernst zu nehmen. Worauf vielleicht die ewig hüftwackelnde Plastik-Hula-Tänzerin verweist, die auf dem Armaturenbrett des Cockpits klebt.
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