Interview

Rafik Schami: „Jesus hat, wie ich, ein sehr gutes Gedächtnis“

Im Interview spricht der deutsch-syrische Schriftsteller Rafik Schami über seine im "MM" erschienene neue Weihnachtsgeschichte und was ihn bewegte, Jesus noch mal auf die Welt kommen zu lassen

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Der in der Pfalz lebende Schriftsteller Rafik Schami. © Uwe Anspach/dpa

Mannheim. Rafik Schami hat es wieder getan. Er hat erneut eine Weihnachtsgeschichte für den "Mannheimer Morgen" geschrieben. Der Schriftsteller, dessen Roman „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“ zuletzt auf den Bestsellerlisten stand, erzählt darin von einer zweiten Geburt Jesu Christi.

Was es damit auf sich hat und was den in der Pfalz lebenden Autor sonst noch bewegt, erzählt er im Gespräch.

Herr Schami, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Jesus noch einmal, und zwar heute, auf die Welt kommen zu lassen?

Rafik Schami: Weil die Lage auf der Welt immer hoffnungsloser wird und Jesus, auch für Ungläubige, Hoffnung brachte. Sein einmaliger Satz: „Liebet eure Feinde“ hat mich animiert.

Es scheint aber auch mehr als 2000 Jahre nach Christi Geburt eine Utopie zu sein, dass Feinde sich lieben … Sie können dennoch hoffen?

Schami: Ich werde nicht das Ende der Geschichte verraten. Auch Jesus war in jeder Hinsicht ein Mensch. Aber ich gebe die Hoffnung nie auf. Ich geriet in große Krisen, und nur die Hoffnung blieb mir als Kraftquelle. Sie half mir, wieder aufzustehen.

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Die Weihnachtsgeschichte von Rafik Schami: Die zweite Geburt Christi

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Rafik Schami
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Was ist Ihr Vorbild für sich liebende Feinde?

Schami: Wer hat vor 100 Jahren gedacht, dass Deutschland und Frankreich Freunde werden? Aber nicht nur in der Dimension von Völkern und Staaten, sondern zwei Menschen gelten für mich als Vorbilder dieser großen Seelen, die statt Hass Versöhnung suchen: der Israeli Rami Elhanan und der Palästinenser Bassam Aramin, deren Töchter durch einen Hamas-Selbstmörder bzw. Schüsse eines israelischen Soldaten getötet wurden. Sie gründeten die Organisation „The Parents Circle“. Heute sind 600 Menschen Mitglieder in dieser mutigen Organisation zur Versöhnung.

Und die Krisen, was waren das für große Krisen, von denen Sie sprechen?

Schami: Eine Ausweisung aus dem Land 1985 wegen eines Fehlers im Pass, den ich nicht verschuldet habe. Eine schwere private Krise verbunden mit einem finanziellen Sturz, da meine ersten Bücher kaum verkauft wurden.

Rafik Schami

  • Der Autor: Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren und lebt seit 1971 in Deutschland, heute in der Pfalz. Er arbeitete anfangs in Fabriken, Kaufhäusern, Restaurants und auf Baustellen. 1979 promovierte er in Heidelberg (Chemie). Seit 2002 ist er Mitglied der Bayerischen Akademie der schönen Künste. Sein Werk wurde in 33 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet, etwa dem Hermann-Hesse-Preis, Nelly-Sachs-Preis, Preis „Gegen Vergessen - Für Demokratie“, Gustav-Heinemann-Friedenspreis und der Carl-Zuckmayer-Medaille.
  • Die Werke: Es gibt rund 70 Werke von Schami, zuletzt sind beispielsweise erschienen: „Mein Sternzeichen ist der Regenbogen. Erzählungen“ (2021), „Die geheime Mission des Kardinals“ (2019), „Flucht aus Syrien - neue Heimat Deutschland?“ (2018) „Sophia oder Der Anfang aller Geschichten“ (2015) oder „Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte“ (2011).
  • Der Nahostkonflikt: Schami hat sich als einst aus Syrien Geflüchteter immer auch intensiv mit Nahost beschäftigt. 2007 veröffentlichte er bereits das Buch „Mit fremden Augen: 11. September, Palästinakonflikt und die arabische Welt - ein Tagebuch“. 2021 erschien das Essay „Gegen die Gleichgültigkeit“, mit dem er aufzeigt, dass nicht Hass das Schlimmste ist, was man einem Menschen antun kann, sondern Gleichgültigkeit.
  • Schamis aktueller Roman: „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“. Hanser Verlag. 480 Seiten, 26 Euro

Und was hat Ihnen da die ganze Hoffnung gegeben, all das zu überstehen?

Schami: Ich las jahrzehntelang Biografien von Menschen aus Politik, Wissenschaft, Literatur, Kunst, Philosophie und so weiter. Ich habe dadurch gelernt, dass die Hoffnungslosigkeit direkt in den Abgrund führt. Auf der anderen Seite erfuhr ich in der Praxis, wie das Recherchieren ähnlich wie Hoffnung hilft, auch eine große Krise als vorübergehend zu betrachten.

Das klingt so einfach. War es das?

Schami: Ich bin in jedem Interview auf kurze Antworten angewiesen, und das lässt den Weg bis zur Überwindung der Krise in der Tat einfach erscheinen, aber es war gar nicht einfach. Nächtelang konnte ich kaum schlafen. Tagelang war ich wie verloren. Ich konnte keinen Satz schreiben. Ich lebte damals arm in einer kleinen Dachwohnung in Mannheim-Feudenheim. Meine intensive Beschäftigung mit dem Leben sehr kluger Schriftsteller im Exil - Stefan Zweig etwa, Kurt Tucholsky, Ernst Toller, Walter Hasenclever oder Walter Benjamin -, die Selbstmord in der Fremde begingen, hat in mir dazu eine Art Trotz gegen die Misere des Exils und der herzlosen Beamten in der Ausländerbehörde entwickelt.

Ich bin ins Exil gegangen, weil ich frei leben und nicht aus dem Leben flüchten wollte

Hatten Sie auch Suizidgedanken?

Schami: Nein, und dies seit meiner Jugend nicht. Ich habe erlebt, was ein Selbstmord bei den Angehörigen zurückgelassen hat. Selbstmord ist eine Handlung mit äußerst komplizierten Ursachen und Motivationen. Doch in einem Aspekt ist sie eine Flucht. Und ich bin ins Exil gegangen, weil ich frei leben und nicht aus dem Leben flüchten wollte.

Fühlen Sie sich heute frei?

Schami: Ja, sicher, nach 43 unzensierten Büchern und etlichen politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten, bei denen ich nie zensiert oder verhört wurde.

Erwarten Sie nun, dass sich jemand von den christlichen Kirchen bei Ihnen meldet, wenn er von Ihnen liest, dass Jesus noch mal geboren worden sein soll - und dass er als Kind schon spricht und so weiter? Kommt so etwas vor, dass das am Ende humorlos-blasphemisch gelesen wird?

Schami: Entschuldigung, ich muss beim Gedanken lachen, dass ein Kirchenmann vor meiner Tür steht und mich beschimpft. Wenn das passieren sollte, dann sage ich ihm, er soll sich um die Skandale der Kirche kümmern, bevor Jesus extra zum dritten Mal kommt.

Andererseits, man kann bei der Beschreibung einer Blume, einer Liebe oder Freundschaft immer noch Menschen treffen, die es unanständig finden und schlecht machen. Damit muss man leben. Es gibt rassistische Literaturkritiker, die nie meine Bücher lesen und mir bei jedem Buch vorwerfen, das Buch sei kitschig-orientalisch, auch wenn es sich um das Tagebuch eines Jugendlichen im Widerstand gegen die Diktatur, einen Kirchen-Thriller oder die Verfolgung eines Rückkehrers durch den syrischen Geheimdienst handelt.

Fühlt sich von manchem Literaturkritiker mitunter rassistisch behandelt: Schriftsteller Rafik Schami. © Arne Wesenberg

Sprechen Sie damit nicht auch ein Abnehmen von Freiheit an? Dass man schnell irgendwo in einer Ecke steht, wo man nicht selbst hinging, sondern wie ein Möbel hingestellt wurde?

Schami. Ja, und das ist eine neue besorgniserregende Entwicklung. Man soll hierüber nicht gleichgültig schweigen, sondern auch im kleinen, privaten Bereich mahnen und dagegenhalten.

Wie machen Sie das - also das Dagegenhalten im privaten Bereich, und ist das nicht eigentlich das Ende einer freien Gesellschaft, wenn man sich nur noch traut, im Privaten, wie Sie sagen, seine Meinung zu sagen?

Schami: Ich sagte: auch im privaten Bereich, mit Nachbar:innen, Kolleg:innen und Freund:innen gegen Diskriminierung und Rassismus stehen. Das verbietet nicht, seine Meinung öffentlich zu verkünden, doch es kommt darauf an, ob die Äußerung etwas bewirkt.

Comedians sind ein negatives Beispiel von folgenlosen Äußerungen, die nur Lachwirkung erzielen. Aber es stimmt, es herrscht Unsicherheit über die Freiheit der Meinung. Es ist noch nicht das Ende einer freien Gesellschaft, aber besorgniserregend, vor allem, dass das unter der SPD-FDP-Grünen-Regierung und nicht der AFD geschieht.

Man soll nicht den coolen Helden spielen, sondern angesichts der Dimension der Katastrophen zu seinen Schwächen stehen

Die Weltlage mit den vielen Kriegen etwa in der Ukraine und in Gaza, mit der Klimakrise und einer exorbitanten Ressourcenverknappung kann einen ganz schön deprimieren. Ein menschlicher Schutzreflex ist eine gewisse seelische Verhärtung, eine Abstumpfung, wenn man so will: Gleichgültiger-Werdung. Es ist ein bisschen dieselbe Frage wie nach der Hoffnung: Aber wie kann man empathisch für all das bleiben und gleichzeitig lebensfroh?

Schami: Einfach ist es nicht. Ich kann manchmal nicht einmal die Nachrichten ertragen. Man soll nicht den coolen Helden spielen, sondern angesichts der Dimension der Katastrophen zu seinen Schwächen stehen. Das schlimmste für mich sind Bilder der getöteten oder verletzten Kinder auf beiden Seiten des Gaza-Krieges.

Doch trotz der bedrohlichen Entwicklung auf der Welt haben wir hier noch Frieden, Freiheit und Demokratie und das sind für mich drei Gründe, um Augenblicke des Glücks zu genießen, und sie sind für mich Tankstelle für Kraft und Hoffnung. Zugleich sind Frieden, Freiheit und Demokratie eine Verpflichtung, den Benachteiligten auf der Welt beizustehen. Jeder und jedem ist es überlassen, was für Aktivitäten man im Stande ist zu entfalten: Spenden, Meinung äußern, Geflüchteten helfen, gegen Krieg, Fanatiker, Rassisten und Antisemiten Kritik ausüben und viel mehr. Durch all diese Aktivitäten formiert sich eine Gemeinschaft, die nicht gleichgültig lebt. Sie wird zwar erst langfristig, aber mit Sicherheit Beachtung finden. Es ist nicht leicht, aber dafür lohnt es sich, Geduld zu haben. Ein arabisches Sprichwort sagt: Geduld ist der Schlüssel zur Erleichterung.

Und welchen Beitrag haben Sie auf diesem langen Weg geleistet?

Schami: Neben all meinen Büchern, mit denen ich versuche, Brücken zwischen der deutschen und der arabischen Kultur zu bauen, habe ich zuletzt ein Essay mit dem Titel „Gegen die Gleichgültigkeit“ geschrieben. Es ist in jeder Buchhandlung erhältlich, und ich verdiene mit dem Buch keinen Cent.

Wer bekommt das Geld?

Schami: Der engagierte kleine Verlag Schiler & Mücke in Berlin. Er hatte den Mut, das notwendige Buch zu veröffentlichen.

„Gegen die Gleichgültigkeit“ ist ein Appell wie auch „Liebet eure Feinde“. Wie schaffen Sie es, nicht gleichgültig zu werden und doch nicht kaputt zu gehen - und vor allem: Ihre Feinde zu lieben?

Schami: Sie haben recht: Das Buch ist ein Appell, aber es ist auch eine Abrechnung mit sehr prominenten Medienprofis, die einst linksradikal waren, als es Mode war, und heute Stichwortgeber für die Rechtsradikalen sind. Aber ich bitte Sie um Verständnis, ich liebe diese Feinde der Menschlichkeit nicht, sondern verachte sie. Jesus, der das empfohlen hat, endete am Kreuz.

Das passiert Ihrem zweiten Jesus nicht noch mal. Am Ende der Geschichte verschwindet er plötzlich. Hat er Zauberkräfte oder einen Tarnumhang wie Siegfried?

Schami: Nein, er hat, wie ich, ein sehr gutes Gedächtnis.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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