Beerfelden. „Kultur ist lebensrelevant. Musik ist lebensrelevant. Sound of the Forest ist lebensrelevant.“ Wenn sich der Produzent und Mitveranstalter von Sound of the Forest, Jo Megow, nach einem bewegten Wochenende im Gespräch mit dieser Redaktion zu Plädoyers derartiger Entschlossenheit motiviert sieht, muss am Marbachstausee in Beerfelden Bedeutendes geschehen sein.
Ein nüchterner, selbst kritischer Blick auf die 12. Ausgabe des Traditionsfestivals im Odenwald kann das nur bestätigen – und das in etlichen denkbaren Nuancen. Denn während ergiebige Schlammbäder auf den ebenen Ackern von Wacken für erfahrene Metalheads in Wacken längst zum Erfahrungsschatz gehören, hatten die Veranstalter rund um Megow und sein Team in den zurückliegenden Jahren eher mit Waldbrandgefahren zu kämpfen. So zeigt sich der Klimawandel auch im Kleinen.
Hackschnitzel können helfen
Doch anstatt angesichts ergiebiger Regenfälle dabei zuzusehen, wie sich das Wald- und Wiesenareal in eine Matschgrube verwandelt und die Stimmung kippt, kamen die Festivalmacher ins Handeln, zogen kurzerhand sämtliche verfügbaren Bestände an Hackschnitzeln in der ganzen Region zusammen und verteilten weit mehr als sechs Kubikmeter des stabilisierenden Materials vor Bühnen, auf Zuwegen und auf der Route zum großen Stausee, der über Drainagen einiges des Kühlen Nasses aufnahm, um Unterbrechungen oder sogar einen Abbruch zu verhindern.
Ganz wesentlich verantwortlich für diese konsequente Haltung sind die in der Spitze 5000 Forest People, die selbst im strömenden Regen nicht nur unbeirrt weiter Kleinkunstworkshops besuchen, zwischen den Konzerten ihren ganz eigenen Dancefloor eröffnen und bei ausnahmslos jedem Künstler dafür sorgen, dass musikalische Qualität auf offene Ohren wie tanzende Beine trifft, sondern im Zweifel mit eigener Tatkraft auch mithelfen.
Mit einem von 9999 Regenponchos ausgestattet, die das Pflegeheim Rosenhöhe aus Bad König aus Verbundenheit gespendet hatte, halfen sie gestürzten Besuchern wieder auf, unterstützten bei der Befestigung der Wege und zeigten dabei vor allem eines nicht: Ermüdungserscheinungen. Was man seit mehr als einem Jahrzehnt über die Organisatoren von Sound of the Forest und ihre Gemeinde angenommen hatte, bewahrheitet und verfestigt sich im Laufe dieser vier Tage in Beerfelden zu Gewissheiten, die jeder Überprüfung standhalten. Allem voran ein Gedanke, mit dem man dieses Festival quasi überschreiben könnte: Der Wille zum selbst erschaffenen Glück ist die uneingeschränkte Bereitschaft zur Überwindung, die nie zur Last wird.
Für Produzent Jo Megow ist es geradezu „eine Offenbarung“, dass er mit seinem Team einen Ort erschaffen konnte, der genau diese Sorte Mensch zu einer Gemeinschaft formt – wer genau hinsieht, hat längst verstanden, dass die Struktur von Sound of the Forest dieser Utopie – im Wortsinne – den Weg ebnet.
Denn neben dem regulären Konzertbetrieb haben sich nachhaltige Händler- und Diskussionsstände ebenso selbstverständlich ins Konzept mit integriert, wie die Angebote von Massage, Yoga oder Waldbaden.
Dass diese Strukturen organisch gewachsen sind, befreit sie von jedem Populismus-Verdacht – zumal der Andrang bei Angeboten dieser Art von Jahr zu Jahr reger wird.
Dass am See eigentlich die Musik im Fokus steht, gerät in Anbetracht solcher Tatsachen dabei stellenweise fast schon zu einer selbstverständlichen Gewissheit. Denn auch und gerade nach über einem Jahrzehnt Festivalgeschichte manifestieren sich Muster, die ebenso imponieren wie sie ihre Frische bewahren.
Nur ein Beispiel von vielen: Die Schweizer Indie-Rocker von Black Sea Dahu. Vor Jahren auf der schmucken Bühne direkt am Stausee als Debütanten gefeiert, legt die Formation ein atmosphärisch derart tiefes Set auf die Waldbühne mitten im Festivalzentrum, dass nach Faber, AnnenMayKantereit, Lea oder auch den Giant Rooks gedanklich der nächste Headliner schon heranreift – den Sprungbrett-Effekt von Sound of the Forest inklusive.
Tatsächlich kann man die Bedeutung solcher Formate im Hinblick der eigenen Legendenbildung kaum überschätzen. Denn einerseits sorgen die zuverlässig euphorisch gefeierten Sets bereits etablierter Szene-Künstler wie ClockClock, Kaffkiez oder Betterov dafür, dass das Gesamtgefüge von ausreichend stabilisierender Orientierung geprägt ist.
Neue, packende Impulse
Andererseits setzen tief eindrückliche Sets von Hoffnungsträgern wie der flirrenden Pop-Stimme von Pano, dem sozialkritischen Rap-Lyriker Conny oder der Indie-Sängerin Paula Carolina dafür, dass neue, packende Impulse bleiben, wo Neugier auf den Anfang vielversprechender Karrieren trifft. Es ist eine Mixtur aus Zuverlässigkeit und Enthusiasmus, die ein Routinier und gekonnter Headliner wie Reggae-Protagonist Gentleman selbst im Sturzregen nur noch veredeln muss, um sie zu vervollkommnen.
Mit ganz großem Besteck angereist, sorgt der Meister seines Fachs nicht nur dafür, dass selbst die müdeste Hüfte ihre Fähigkeit zur Rotation wiederentdeckt – er weckt auch ein letztes großes Mal die Geister des Waldes, die nach dem vollen Dutzend die stilechte Fortsetzung eines neuen Kapitels im Wald längst im Blick haben.
Anlass für diesen gelebten Gestaltungswillen gibt es – gerade nach diesem Wochenende – zweifellos mehr als genug.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/kultur_artikel,-kultur-sound-of-the-forest-wird-zum-nachhaltigkeitsfabrikant-_arid,2113094.html