Literatur

Verführung, Tod und neues Leben im Roman "Der Zauberberg"

Vor 100 Jahren, im November 1924, erschien Thomas Manns großer und einflussreicher Roman „Der Zauberberg“. Er ist das Porträt einer ganzen Epoche und aktuell und lesenswert geblieben

Von 
Thomas Groß
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So präsentiert sich der Handlungsort des Romans heute: Das stattliche „Berghotel Schatzalp“ in Davos war früher ein Sanatorium. © Verena Wolff/dpa

Mannheim. Eine „etwas ausgedehnte short story“ hätte das Buch zunächst werden sollen, teilte sein Autor mit. Am Ende umfasste es, je nach Ausgabe, 1000 Seiten. Und dann wurde Thomas Manns zweiter großer Roman (nach dem umfänglichen Debüt „Buddenbrooks“) zu einem der wichtigsten europäischen Romane des 20. Jahrhunderts. Im November vor 100 Jahren - am 28. oder schon am 20., es kursieren beide Daten - ist „Der Zauberberg“ in Erstauflage im Verlag S. Fischer erschienen.

Thomas Mann © dpa

Dem späteren Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann schwebte nach eigenen Angaben zuerst ein „humoristisches Gegenstück“ zu seiner Novelle „Der Tod in Venedig“ (1911) vor. Denn als amüsant empfand er, wodurch er zu dem Buch inspiriert wurde. Seine Frau Katja war im Jahr 1912 in einem Lungensanatorium in Davos in der Schweiz auf Kur. Als er sie dort, auf der Schatzalp, besuchte, erschien ihm die Kurgesellschaft mit ihren Gesprächen und Unternehmungen ebenso befremdlich wie erheiternd. Eine seltsame Mischung aus Amüsement und Untergang empfand er, und die hielt ihn literarisch in Bann. Die Niederschrift begann der Schriftsteller ein Jahr später - und vollendete sie elf Jahre darauf.

Persönliche und zeitgeschichtliche Ereignisse der Zwischenzeit gingen in den Roman mit ein: der Untergang der alten großbürgerlichen Welt in der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, das Ende des Kaiserreichs und der Beginn der deutschen Demokratie, zudem des Autors Wandlung vom unpolitischen Menschen, wie er sich selbst beschrieb, zu einem überzeugten Demokraten. Als solcher bewährte er sich Jahre später im amerikanischen Exil, während der Nazi-Diktatur: Als Stimme des anderen Deutschlands und der deutschen Kultur fand er bekanntlich ein internationales Echo.

Komische Figuren bevölkern den Roman

Der Hauptfigur des „Zauberberg“-Romans, Hans Castorp, „ein einfacher junger Mensch“, erging es ähnlich wie dem Autor mit seinem Stoff. Der junge Ingenieur aus Hamburg und Erbe eines reichen Onkels besucht seinen Vetter Joachim Ziemßen in einem Schweizer Lungensanatorium. Dort weist er dann eine etwas erhöhte Körpertemperatur auf, die den Anlass bietet, selbst einige Zeit zu kuren. Und wegen einer vermuteten „feuchten Stelle“ auf der Lunge ergibt sich daraus schließlich ein Aufenthalt von sieben Jahren.

Den im Stoff angelegten Humor weist der Roman durchaus auf. Komische Figuren gibt es da, eine Frau Stöhr, die fortwährend Bildungsschnitzer offenbart, oder den „Kaffeekönig“ Mynheer Peeperkorn, in dessen Figur der Autor den Kollegen Gerhart Hauptmann parodierte; immer wieder setzt der zu großen Reden an, die unvermittelt abbrechen. Thomas Mann hingegen ist nie um Worte verlegen, häuft kunstvoll ein Satzgefüge aufs nächste und erweist sich erneut als glänzender Stilist.

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Das ganze Buch ist durchzogen von jener typisch Mann’schen Ironie, die ebenfalls zum Amüsement beiträgt. Das erleichtert die Lektüre und lässt einen auch zwischen längeren Gesprächspassagen Atem holen, in denen es um Gott und die Welt geht und besonders zwei Personen um philosophisch und politisch Prinzipielles kreisen: Settembrini und Naphta. Humanist und Demokrat der eine, religiöser Fundamentalist der andere, konkurrieren sie auch um den Einfluss auf Hans Castorp. Letztlich streiten sie um das Menschenbild und die Kultur, auf deren Grundlage eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen könnte.

Insgesamt betrachtet ist der Roman eher handlungsarm: Es wird viel auf Balkons gelegen, um heilsame Bergluft zu atmen, bei Tisch gesessen, geredet; Patienten sterben, andere kommen hinzu. Und Hans Castorp hat eine kurze Affäre mit der geheimnisvollen Clawdia Chauchat. Ironie auch hier: Der Name klingt wie französisch „chaud chat“, demgemäß sie, eher unkorrekt formuliert, eine „heiße Katze“ wäre.

Als zentral für das Buch wurde stets das Kapitel „Schnee“ begriffen: Castorp verirrt sich in der Schneelandschaft und hat eine grausame Vision. Es kommt ihm ein Gedanke, der als grundlegend für den Roman und seinen politisch gereiften Autor gilt (und der deshalb kursiv gedruckt ist): „Der Mensch soll um der Güte und der Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken.“ So sollte es wohl sein, lebensfreundlich eben, aber die Historie kümmert sich oft nicht darum: Am Ende kehrt Hans Castorp aus der Schweiz zurück, um im Ersten Weltkrieg als Soldat zu kämpfen.

Gereiztheiten sind noch heute an der Tagesordnung

Was macht den Roman noch heute lesenswert? Nicht zuletzt eine elementare Erfahrung von Kunst: Parallel zum entrückten, gleichsam zeitenthobenen Leben in der Bergeshöhe verändert sich die zeitliche Wahrnehmung bei der Lektüre. Man folgt dem Rhythmus des Romans, der Zeit dehnen und raffen kann. Und man lässt sich von der morbiden Atmosphäre infizieren, weil einem die befremdliche Lebensform auch faszinierend erscheint.

Das vorletzte Unterkapitel des Romans trägt den Titel „Die große Gereiztheit“. Gereizt sind darin nicht zuletzt die Kontrahenten Settembrini und Naphta, die sich schließlich sogar duellieren. Mit Pistolen trug man zur Handlungszeit des Buches gelegentlich noch Streitigkeiten um Ruhm und Ehre aus; heute werden dafür eher andere Mittel gewählt. Aber unerbittlich und gereizt geht es oft noch immer zu, und das ist zuletzt wohl auch noch mehr geworden. So manches also, das im literarischen Daseinsraum des „Zauberberg“-Romans sich ereignet, ist überräumlich und auch überzeitlich. Man erfährt es, wenn man sich auf dieses große Buch erstmals oder erneut einlässt.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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