Schwetzingen. Selten ist ein Klang so unverwechselbar wie dieser bärenhafte, raumgreifende „Brumm“ in tiefster Cello-Lage. Dabei trägt das Stradivari-Instrument vom Jahrgang 1711 den schönen Frauennamen Mara. Viele Höhenflüge hat es schon erlebt - und einen Tiefpunkt: als es 1963 auf dem Grund des Rio de la Plata lag, nach einem Fährunglück vor Buenos Aires. Mara konnte nur in Bruchstücken geborgen werden, aber ihre Unzerstörbarkeit erwies sich rasch. Sie klang nach aufwendiger Restaurierung sogar besser als zuvor. Es grenzt an ein Mysterium.
Facetten der Romantik ausgereizt
Maras aktueller Spieler heißt Christian Poltéra. Der Cellist aus Zürich ist Garant dafür, dass eine neuerliche Havarie der Stradivari-Kostbarkeit nicht zu erwarten ist. Poltéra nähert sich dem Instrument mit Demut und erklärt, dass es geboten sei, „als Spieler einen Schritt zurückzutreten“. Und das gute Stück auch mal zu schonen - denn in Schwetzingen, wo er Artist-in-Residence der SWR-Festspiele ist, verwendet der Cellist am ersten von drei Abenden sein zweites Instrument, sagt uns der SWR. Antonio Casini hat es bereits 1675 hergestellt.
Poltéra reizt damit im voll besetzten Mozartsaal Facetten der Romantik aus, die Komponisten heißen Schumann, Brahms, Chopin und Liszt. Sein Partner Ronald Brautigam - der Niederländer ist bekannt dafür - tritt gleichfalls mit einem charakterstarken alten Instrument auf, einem originalen Hammerflügel aus der Firma Julius Blüthner, Baujahr 1859. Dessen leicht gedeckter Sound ist weit davon entfernt, spektakulär zu sein, aber verschiebt die Klangbalance ganz leicht in Richtung Cello. Lässt sie also noch ein bisschen ausgewogener erscheinen.
Ein viriler „Brumm“
Und das hilft etwa im Kopfsatz der Chopin-Sonate, Stimmverläufe transparent zu halten, die sonst im vom Komponisten ziemlich unbeschnittenen Sonatensatz-Gestrüpp verloren gehen könnten. Bei Chopin bewegt sich der Cellist auch sicher im Tenor-Register seines Instruments. Im Ganzen überwiegen an Poltéras erstem Abend allerdings die dunklen Farben, wie bereits der Einstieg in die erste Brahms-Sonate unterstreicht. Dieser virile „Brumm“ kommt also nicht allein vom Instrument. Es muss auch an Poltéra liegen.
Tags darauf beweist er sich im Mozartsaal erneut als eminenter Kammermusiker, diesmal in etwas größeren Besetzungen. Schuberts B-Dur-Klaviertrio wird angemessen weiträumig erfasst, gewinnt besonders im Eröffnungssatz quasi sinfonische Dynamik, um dann wieder wohlig zu versanden, zu versinken, auf der Stelle zu verharren. Das Klavier, bedient vom Finnen Juho Pohjonen, schneidet bisweilen etwas hart ins Klangbild, im Vergleich zum weichen, „abgehangen“ mürben Blüthner-Sound vom Vorabend. Dafür führt Esther Hoppe, Schweizerin (und Gattin des Cellisten), eine feine Geigenbogen-Klinge. Sie touchiert mit dieser eine Stradivari, Baujahr 1722.
In Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ wird das schon große Farbenspektrum dieses Trios noch von Pascal Moraguès und seiner Klarinette potenziert. Christian Poltéra wünscht sich, dass sich in der Aufführung „der große Bogen“ spannen und das Publikum eine spezielle Atmosphäre wie nicht ganz von dieser Welt erleben soll. Meditationsraum Mozartsaal? Es glückt nicht vollständig, obwohl etwa Poltéra selbst im fünften Satz mit kunstvoll schlingerndem, mäanderndem Vibrato visionäre Räume sucht. Und manchmal findet.
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