Kaum zu glauben, dass das ohne Ortsteile rund 10 000 Einwohner zählende Gelnhausen über Jahrhunderte zu den wichtigsten Städten Deutschlands zählte. Zu verdanken ist dies dem wohl heute noch bekanntesten Kaiser des Mittelalters: Friedrich I., genannt Barbarossa (regierte von 1155 bis 1190). Er ließ um 1170 auf einer Insel im Flüsschen Kinzig eine Pfalz errichten. Und mit der Urkunde vom 25. Juni 1170 verlieh der Herrscher der unweit davon gelegenen Siedlung Geilenhusen die Stadtrechte.
Pfalzen gab es viele, denn das Reich hatte keine Hauptstadt wie etwa Frankreich mit Paris oder England mit London. Die deutschen Herrscher dagegen praktizierten ein Reisekönigtum, um Präsenz zu zeigen, Streitereien der Adligen zu schlichten und Recht zu sprechen. Das Machtzentrum lag da, wo sich der Kaiser gerade aufhielt. Doch eine Pfalz diente nicht nur der Repräsentation, sondern musste dem vielköpfigen Hofstaat Unterkunft und Nahrung bieten. So gab es neben dem herrschaftlichen Bereich auch eine ausgedehnte Vorburg mit Wirtschaftsgebäuden.
Informationen für Besucher
Entfernung von Mannheim: 128 km
Fahrzeit: etwa 80 Minuten
Öffentliche Verkehrsmittel: Zielbahnhof Gelnhausen, von dort zehn Minuten zu Fuß
Parken: Parkplatz Müllerwiese
Öffnungszeiten Kaiserpfalz: März bis Oktober Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, November bis Mitte Dezember Dienstag bis Sonntag 10 bis 16 Uhr. Letzter Einlass immer 30 Minuten vor Schließung. Führungen: Samstag, Sonntag, Feiertag 11 und 15 Uhr und nach Voranmeldung.
Eintrittspreise: Aufgrund von Baumaßnahmen sind Torturm, die Kapelle und ein Teil in der Torhalle eingerüstet und nicht betretbar. Daher ist der Eintritt für Besucher derzeit auf 2 Euro pro Person reduziert.
Anschrift: Burgstraße 14, 63571 Gelnhausen Kontakt: 06051 – 3805, info@schloesser.hessen.de
Homepage: www.schloesser- hessen.de
Marienkirche Gelnhausen: Von der Kaiserpfalz in etwa 15 Minuten zu Fuß erreichbar. Öffnungszeiten: von 9.30 bis 17 Uhr.
Literatur: Thomas Biller: Kaiserpfalz Gelnhausen, herausgegeben von Staatliche Schlösser und Gärten Hessen, Regensburg 2021; Georg Wilbertz: Die Marienkirche in Gelnhausen, Königstein im Taunus, 2000; Walter Hotz: Gelnhausen, Amorbach 1951. kba
Gelnhausen ist keine Pfalz wie andere. Nach Walter Hotz gilt der Palas „als der besterhaltene unter den Palatien der Hohenstaufenzeit“. Und der Kunsthistoriker spricht von einer Bauornamentik, „die an Erlesenheit und technischer Vollendung zum Edelsten gehört, was wir aus der Hohenstaufenzeit besitzen“.
Hier fallen auch Entscheidungen von großer Tragweite für die Entwicklung des Reiches. Auf dem Fürstentag von 1180 werden die Lehen des geächteten Heinrich des Löwen neu vergeben. Der mächtigste Fürst des Reiches arbeitet mit dem Kaiser trotz der traditionellen Rivalität zwischen Staufern und Welfen über Jahre perfekt zusammen. Zum Bruch kommt es 1176, als Barbarossa während einer schwierigen Situation in Italien Heinrich den Löwen um militärische Hilfe bittet. Doch dessen maßlose Forderung, ihm im Gegenzug die Kaiserpfalz Goslar und die dortigen Silberminen zu übertragen, lehnt der Kaiser ab, obwohl seine Lage derart verzweifelt ist, dass er vor Heinrich einen Kniefall absolviert haben soll.
Die Rache des Kaisers
Ein unerhörter Vorgang. 1177, nach dem Friedensschluss in Italien, kommt die Quittung. Der Kaiser verbündet sich mit den Feinden Heinrichs, der von den Reichsfürsten geächtet wird. 1180 verliert der Welfe die Herzogtümer Bayern und Sachsen. In der berühmten Gelnhausener Urkunde vom 13. April 1180 wird das sächsische Herzogtum neu verliehen. 1181 kniet dann Heinrich in Erfurt vor dem Kaiser, um wenigstens Teile seiner Güter behalten zu dürfen. 1188 weist der Reichstag auf der Kinziginsel Angriffe des Papstes Urban III. auf den Kaiser zurück. In der Pfalz verbringt Friedrich I. sein letztes Osterfest auf deutschem Boden. Dann bricht Barbarossa zum Kreuzzug auf, von dem er nicht mehr heimkehrt.
Sein Sohn Heinrich VI. erwähnt in einer Urkunde für die Bürger von Gelnhausen seine „einzigartige Liebe zu dem Ort“. Am 20. Dezember 1193 verkündet der Kaiser in der Pfalz die baldige Freilassung seines prominenten Gefangenen, des englischen Königs Richard Löwenherz. Sein Sohn Friedrich II. urkundet in den Jahren 1214 und 1216 in Gelnhausen. Als er 1250 stirbt, kollabiert die Staufer-Herrschaft.
Im gleichen Jahr belagert der Gegenkönig Wilhelm von Holland vergeblich Stadt und Pfalz, die beide durch starke Befestigungen geschützt sind. Die Pfalzen verlieren an Bedeutung, da immer mehr Macht vom Kaiser auf die Fürsten übergeht. Bis zur Herrschaft Ludwigs des Bayern (regiert von 1328 bis 1347) besuchen deutsche Kaiser die Pfalz. Unter König Wenzel (regiert von 1376 bis 1400) beklagen die Burgmannen, dass „des Reiches Turm und Haus“ baufällig sind. Ein weiteres Indiz für die rasch schwindende Bedeutung: Ab 1339 wird die Pfalz immer wieder verpfändet. Als Kaiser Maximilian I. 1506 Gelnhausen besucht, wohnt er trotz seiner Begeisterung für das Rittertum in der Stadt.
Die Kaiser kommen nicht mehr, aber die Burgmannen sind noch da. Sie übernehmen nach und nach das Kommando über die Kinziginsel. Aus der Vorburg der Pfalz entwickelt sich eine kleine Stadt namens „Burg Gelnhausen“, die bis 1895 eigenständig bleibt. Erhalten sind dort Gebäude aus dem Spätmittelalter und Teile der Stadtmauer. Nach der Reformation dient die Kapelle der Pfalz den Protestanten bis 1810 als Kirche, die anderen prunkvollen Gebäude verfallen, weil sie niemand braucht.
Goethe besucht mehrmals die Kaiserpfalz, nennt sie „eine höchste Merkwürdigkeit“ und beschreibt die Anlage als „so gut erhalten wie von gestern“. Was er sieht, gefällt ihm aber nicht so recht: „Zierlust, ohne Begriff von Verhältnissen.“ 1816 verbietet Kurfürst Wilhelm I. von Hessen-Kassel die weitere Zerstörung. 1827 beginnen erste Sicherungsarbeiten. Zum Zeitpunkt des Besuchs im Mai 2022 präsentiert sich die dem Land Hessen gehörende Pfalz wieder als Baustelle.
Auf den ersten Blick wirkt die Kaiserpfalz enttäuschend: Deutschland bietet viele größere, spektakulärere Burgen. Es bedarf des zweiten Blicks, um das Besondere zu entdecken, vor allem die großartigen Leistungen der Steinmetze.
Der Besucher betritt die Anlage durch die Torhalle, den einzigen in ursprünglicher Form erhaltenen Raum. Daneben steht der heute noch 13 Meter hohe Rechteckturm, dessen obere Hälfte schon 1431 wegen Einsturzgefahr abgetragen wurde. Denn der nasse Boden ist instabil, weshalb die Pfalz auf einem Rost von Holzpfählen errichtet wurde. Doch diese gaben unter der Last der Gebäude nach, was immer wieder zu Bauschäden führte. Über dem Torturm liegen die Reste der Kapelle. Hier versammelten sich Kaiser und Hofstaat zu den Gottesdiensten.
Vom etwa 29 mal 16 Meter großen, ehemals dreigeschossigen Palas stehen noch die Untergeschosse der beiden Längsseiten. Der Keller diente als Lagerraum, das Erdgeschoss mit seinem kunstvoll gearbeiteten Portal als „Privatwohnung“ des Kaisers. Großartig die Fensterarkaden. Darüber lag der verschwundene große Saal, der Saal des Reiches, in dem die Versammlungen stattfanden. Weitere hochwertige Beispiele staufischer Skulptur sowie ein Modell der Pfalz zeigt das Museum in der Vorburg.
Weltgericht in Stein
Von der Pfalz aus fällt der Blick auf die Marienkirche, das fünftürmige Wahrzeichen Gelnhausens. Die ältesten Teile werden auf etwa 1195 datiert. Alles andere entstand zwischen 1215 und 1250 in spätromanisch-frühgotischen Formen. Bauherr war wohl das unweit gelegene Stift Selbold, das die Pfarrrechte in Gelnhausen besaß.
Vieles an der wie die Pfalz in der Stauferzeit entstandenen Kirche ist sehenswert, in erster Linie aber der um 1250 geschaffene Lettner. Sein Hauptzweck war es, den Chor, der den Selbolder Stiftsherren vorbehalten war, von der Pfarrkirche der Laien zu trennen. Auf der Vorderseite des Lettners hat ein unbekannter Steinmetz Weltgerichts-Reliefs von hoher Qualität geschaffen. Da stehen die Toten aus den Gräbern auf, der Höllenrachen verschlingt die Verdammten, während die Seligen betend und freudestrahlend zum Himmelstor ziehen. Eine großartige plastische Darstellung mittelalterlichen Glaubens. Was fehlt, ist die eigentliche Gerichtsszene mit Jesus als Richter. Vielleicht wurde sie in einem verschwundenen Wandgemälde dargestellt.
Vergessen hat Gelnhausen seinen Gründer übrigens nie. Das Stadtsiegel aus der Mitte des 13. Jahrhunderts zeigt Barbarossa mit seiner Gattin Beatrix von Burgund. Dazu gibt es eine nette Anekdote, die Walter Hotz überliefert hat: „Die Bürger seien zum Palaste des Kaisers gegangen, um ein Wappen für die neue Stadt zu erbitten. Der Kaiser aber, der mit seiner Gemahlin am Fenster der Burg stand, habe ihnen zugerufen ‘Nehmt, was ihr seht’. Seitdem enthält das Stadtsiegel die Bilder des Kaiserpaares unter Bogen, von stilisierter Architektur umrahmt.“
Und auf der Internetseite www.gelnhausen.de huldigt die Stadt noch heute ihrem Gründer: „Barbarossastadt Gelnhausen. Des Kaisers Liebe.“
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