Es ist jedes Jahr das Gleiche: Der Strom der Wanderer will nicht abreißen. Auf Christmas Island geht es an Weihnachten zu wie bei uns in den Einkaufspassagen kurz vor dem 24. Dezember. Dicht an dicht drängt man sich durchs Gewusel. Man hat kaum Platz zum Gehen und manchmal möchte man den einen oder anderen wegschubsen, so eng ist es.
Die Einwohner von Christmas Island machen das auch: Wenn es ihnen zu viel wird, kicken sie die Wanderer ohne jegliche Skrupel einfach aus dem Weg. Unchristliches Verhalten wird man ihnen dennoch nicht vorwerfen. Denn die Weihnachtsinsel-Bewohner haben es mit besonderen Wanderern zu tun, für die andere Maßstäbe gelten als für gewöhnliche Touristen in Wanderstiefeln oder Fußgängerzonenbummler.
Millionen von kämpferischen Krabben
Die Wanderer von Christmas Island: Das sind mehrere Millionen zum Teil durchaus kämpferische, handflächengroße Krabben, die immer zur Weihnachtszeit über das 135 Quadratkilometer große, abgelegene Eiland marschieren und wie eine biblische Heuschreckenplage darüber herfallen. Die Krabbenwanderung auf Christmas Island – nur gut 300 Kilometer südlich der indonesischen Insel Java, aber rund 2500 Kilometer von der nächsten australischen Großstadt Perth entfernt und im Indischen Ozean gelegen – ist einzigartig in der Welt. Die paarungswilligen Tiere wandern dort jährlich an Weihnachten quer über die Insel zu ihren Eiablageplätzen. Den Rest des Jahres leben die vergleichsweise großen Allesfresser zurückgezogen in selbst gegrabenen Wohnhöhlen im Regenwald der Insel – sehr viel mehr weiß man nicht über diese Wander-Krabben.
Roter Teppich auf der Fahrbahn
„Die Massen gleiten wie ein roter Teppich über das Land“, beschreibt einer der Forscher das Spektakel ganz poetisch. Ganz profan muss aber auch die geteerte Fahrbahn bei der Wanderung überquert werden – für viele der Krabben ein tödliches Unterfangen. Da die wehrhaften Tiere in der Regel nicht flüchten, sondern beide Zangen als Drohgebärde auseinanderbewegen, wenn Gefahr droht, ist es oft zu spät, wenn ein Laster naht. Seine Reifen hinterlassen regelrecht eine Spur, die aber in wenigen Minuten vor lauter neuen, nachrückenden Krabben kaum noch sichtbar ist.
Pkw-Fahrer versuchen zuweilen auszuweichen: Sie fahren dann, als wären sie betrunken. Aber dennoch gelingt in dieser Zeit kaum eine Fahrt ohne Krabbenfleisch im Profil. Manchmal muss der Fahrer nach etlichen laut knackenden Krebspanzern aber auch die Werkstatt aufsuchen. Die kantigen Scheren der Tiere können sich nämlich sogar in Autoreifen bohren. Bis zu 20 Plattfüße werden pro Tag gezählt – bei rund 1000 gemeldeten Fahrzeugen ein recht hoher Wert. Der wird allerdings bei Weitem von der Anzahl der überfahrenen Krabben übertroffen – was jedoch kein Grund zur Sorge ist. „Beim Anblick dieser gigantischen Wanderung ist es unvorstellbar, dass die Population in Gefahr ist“, meint der Forscher trocken. „Es dürfte weit mehr als 15 Millionen Krabben auf Christmas Island geben.“ Da fallen ein paar Tausend Verkehrstote kaum auf.
Australien
Anreise Die schnellste und trotz des hohen Preises günstigste Verbindung auf die zu Australien gehörende Christmas Island geht via Perth mit KLM (www.klm.de) und dann weiter mit Virgin Australia (www.virginaustralia.com).
Unterkunft Am besten bucht man vorab, etwa im einfachen Sunset Resort, DZ ab 130 Euro pro Nacht, www.thesunset.cx. Romantischer ist das Hibiscus House mit schöner Veranda im Grünen; mit Küche für Selbstversorger ab 170 Euro, www.hibiscushousechristmasisland.com Luxuriös ist hingegen die Swell Lodge mit verglasten Chalets und Terrasse über dem Meer, mit Vollpension ab 1150 Euro, https://swelllodge.com.
Allgemeine Informationen www.christmas.net.au; Tourism Australia: www.australia.com/de-de MÜG
Gegen Abend, wenn die erste Invasion unterbrochen wird, beginnt das große Fressen. Es ist angerichtet für alle, die Aas zu schätzen wissen: Geier, Reiher, Möwen und natürlich auch Ratten, aber auch ein entfernter Verwandter, die – übrigens sehr lecker schmeckende – Kokosnusskrabbe, müssen die Weihnachtstage genauso lieben wie die Kinder, die unterm Tannenbaum auf die Bescherung warten. Für Menschen sind die Christmas-Island-Krabben ungenießbar, selbst wenn man sie – wie etwa Hummer – lebend in kochendes Wasser wirft.
Am nächsten Morgen beginnt das große Krabbeln dann von Neuem: auf Straßen und Wegen, über Wiesen und Golfplätze, ja sogar durch Wohnungen und Hotelzimmer, wenn man die Türen nicht verschlossen hat. Und mittags liegt auch schon ein gewisser Geruch über der Hauptstraße, vor allem wenn es heiß ist, was es in diesen tropischen Gefilden meistens ist.
Luftfeuchtigkeit ist ausschlaggebend
Bleibt die Frage, warum sich die Wanderer ausgerechnet an Weihnachten auf den Weg machen. „Es liegt an der Luftfeuchtigkeit“, erklärt der Forscher. „Sie liegt an Weihnachten nahezu bei 100 Prozent und sichert den Krabben ausreichend Flüssigkeit, die sie über die Luft aufnehmen.“ Zu einer anderen Zeit würden viele Tiere auf ihrem Weg zu den Eiablageplätzen schlicht vertrocknen.
Der britische Kapitän William Mynors entdeckte die Insel im Jahr 1643. „Wir haben nach schweren Stürmen und mit 20 Mann kranker Besatzung ein unbekanntes Eiland erreicht, dessen Küste rot von Krabben ist. Da wir heute den ersten Weihnachtstag schreiben, nannte ich die Insel ‚Weihnachtsinsel‘.“ Mit diesen Sätzen beginnt Mynors den Eintrag in sein Logbuch. Damit begann auch die Geschichtsschreibung über Christmas Island, die seit 1958 politisch zu Australien gehört.
Die Inselhauptstadt heißt Flying Fish Cove, hat keine 2000 Einwohner und wird oftmals schlicht als The Settlement bezeichnet. Vom Einzug des Massentourismus ist die kleine Insel bislang verschont geblieben. Das gilt übrigens auch für die zweite Christmas-Insel, die es weltweit gibt: Sie liegt im Pazifik und gehört zur Republik Kiribati. Krabbenwanderungen sind dort jedoch unbekannt.
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