Bevor die Touristen kommen, malt sich Francis Vaz (38) Muster ins Gesicht, setzt den Kopfschmuck aus Papageienfedern auf und zieht einen Lendenschurz an. Vom Bauchnabel abwärts hängt ein Streifen Stoff, den verlängerten Rücken bedecken frisch gepflückte Zweige. „Ich bin der Häuptling der Dorfgemeinschaft Cipia. In der Sprache der Tucana heißt das ,fröhliches Volk‘“, sagt der Brasilianer.
Vaz und die 40 Mitglieder seines Stammes haben im palmwedelgedeckten Versammlungshaus Schalen mit Baumharz entzündet. Der Geruch erinnert an Weihrauch. Im Feuerschein musizieren und tanzen sie. Die Instrumente sind selbst gebaut: Panflöten aus Schilfrohr sorgen für die Melodie, an den Fußgelenken rasseln Samenschalen. „Die Menschen bekommen für den Auftritt Geld, es ist ihre Haupteinnahmequelle. Früher waren sie Jäger, Fischer und Sammler“, sagt Peter Hagnauer (59). Der aus der Schweiz stammende Gästeführer begleitet die Reise und übersetzt aus dem Portugiesischen. Mit Englisch kommt man im Amazonas-Gebiet nicht weit.
Brasilien
Anreise
Flug mit Lufthansa ab Frankfurt nach São Paulo, www.lufthansa.de. Weiter mit Latam nach Manaus im brasilianischen Regenwald, www.latamairlines.com.
Flusskreuzfahrt
Reisen auf der „La Jangada“ werden im deutschsprachigen Raum exklusiv vom Berliner Veranstalter Lernidee Erlebnisreisen angeboten. Eine 6-tägige Amazonas-Flusskreuzfahrt kann man mit Besuchen in Rio de Janeiro, dem Pantanal und den Wasserfällen von Iguazu kombinieren. Die 18-tägige Reise „Flusskreuzfahrt Amazonica“ kostet ab 7420 Euro pro Person inklusive Flügen. Die große Expedition „1000 Meilen auf dem Amazonas“ ab/bis Manaus nach/von Tabatinga kostet als 16-tägige Reise mit 13-tägiger Flusskreuzfahrt ab 6620 Euro pro Person inklusive Flügen.
Weitere Informationen unter Tel. 030 / 786 00 00 oder im Netz unter www.lernidee.de.
Auch größere Kreuzfahrtschiffe befahren den Amazonas: z. B die „Hanseatic Spirit“, 18 Tage Schiffsreise, im März 2023 ab 12 940 Euro p. P., www.hl-cruises.com.
Allgemeine Informationen
Brasilianisches Fremdenverkehrsamt, www.visitbrasil.com/en/. SUR
Das Dorf der Cipia liegt eine gute Schnellbootstunde von Manaus flussaufwärts am Rio Negro. Die Menschen hier pflegen ihre alten Traditionen und sind dennoch im 21. Jahrhundert angekommen. „Im Alltag trage ich Bermudas, T-Shirt und Badelatschen“, sagt Francis Vaz, „nur die Halskette, die habe ich immer um.“ Er erzählt stolz, dass er die elf aufgefädelten Alligator-Zähne den erlegten Tieren persönlich ausgerissen habe.
"War schön, aber das Essen hat nicht geschmeckt“
Auch Ex-Häuptling Domingo Vaz (60) hat sich für den Besuch traditionell gekleidet. Vaz senior freut sich über Besuch aus Europa und erzählt, wie er 2016 selbst über den Atlantischen Ozean flog. „Wir wurden von einer französischen Anthropologin nach Paris eingeladen. War schön, aber das Essen hat nicht geschmeckt“, sagt Vaz junior. „Es gab keine scharfen Soßen und kein Maniok-Mehl“, ergänzt sein Vater.
Vor vier Jahren hat der Stammesführer den Job an seinen ältesten Sohn weitergegeben. Seit 1992 herrscht Gleichberechtigung im Dschungel, daher kann Francis Vaz’ erstgeborene Tochter Minon irgendwann Häuptling sein – wenn sie mag. Im Moment geht die 15-Jährige noch zur Schule und wird wie die anderen Kinder morgens um 5 Uhr mit dem Schulboot abgeholt.
Apropos: Peter Hagnauer mahnt zum Aufbruch. Mit dem Beiboot, das als Tender und als Ausflugsbus dient, geht es zurück zum Schiff. Dank des Tiefgangs von nur 1,40 Metern ist die „La Jangada“ ganz in der Nähe an ein paar aus dem Wasser lugenden Bäumen festgezurrt. Wer Flusskreuzfahrtschiffe aus Europa kennt, wundert sich über die Form des Boutiqueschiffes: Es ist keine lange, weiße Flunder mit spitz zulaufendem Bug, sondern ein schwimmendes Haus, dreistöckig mit Flachdach und umlaufenden Balkonen. „Es gibt am Amazonas nur eine einzige Brücke, und die ist hoch genug, dass wir drunter durch passen“, sagt Bernard Ramus.
Der 73-jährige Franzose aus Perpignan hat sich mit dem Hausboot einen Traum erfüllt. „,La Jangada‘ ist inspiriert vom gleichnamigen Roman von Jules Verne, den ich als Junge gelesen habe. Darin geht es um eine 800 Kilometer lange Reise mit einem Floß auf dem Amazonas“, sagt Ramus. Das 2019 gebaute 1,44 Millionen Euro teure Gefährt hat keine Baumstämme als Basis, sondern ist auf einen Katamaran aufgesetzt. 15 Besatzungsmitglieder umsorgen 25 Gäste.
Etwa einmal im Monat fährt die „La Jangada“ bei der Dorfgemeinschaft Cipia vor. Bernard Ramus hat Jahre gebraucht, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Er möchte seinen Gästen nicht nur den Regenwald zeigen, sondern auch Begegnungen mit den dort lebenden Menschen und Tieren ermöglichen.
Das Amazonas-Gebiet ist eine faszinierende Schatzkammer der Natur. Doch das Wunderwerk ist bedroht: durch die Kettensägen der Holzfäller, die Feuer der Rinderzüchter, durch Straßenbauprojekte, Staudämme, Wasserkraftwerke. Brasiliens umstrittener Präsident Jair Bolsonaro sieht in Amazonien ungenutztes wirtschaftliches Potenzial und will noch mehr Flächen für Landwirtschaft, Bergbau und Energiegewinnung erschließen. Eine Gefahr für die ganze Erde: Der Amazonas-Regenwald speichert erhebliche Mengen an Kohlenstoff. Er gilt als eines der Kippelemente, die das Welt-Klima aus dem Gleichgewicht bringen können. „Wir versuchen unsere Gäste für das Thema zu sensibilisieren“, sagt Raphael Rocha Sá, einer der Guides auf „La Jangada“. Der Schutz Amazoniens sei eine der wichtigsten Aufgaben der Menschheit.
Das Schiff ist auf dem Rio Negro praktisch allein unterwegs. Nur hin und wieder tuckert ein kleines Motorboot vorbei. Manchmal steht eine Hütte auf Stelzen am Ufer. Sonst sieht man stundenlang das schwarze Wasser, den blauen Himmel und das Grün des Urwalds.
Amazonien ist halb Land, halb Wasser. Zur Regenzeit macht sich der Fluss besonders breit. An manchen Stellen misst er bis zu 14 Kilometer, vergleichbar mit der maximalen Ausdehnung des Bodensees. Nachts geben die Tiere ein Konzert: Insekten zirpen im Chor. Dazu kommen ein paar Solisten: Brüllaffen und kreischende Papageien. Beim Landgang im Anavilhanas-Nationalpark kommt Victor mit, ein wortkarger Junge eines anderen Indigenen-Stammes. Mit dem Blasrohr bewaffnet leitet er die Gruppe durch die drückende Schwüle der grünen Hölle. Ohne ihn hätte man sich rettungslos verlaufen. Die Waffe kommt nicht zum Einsatz, eine Begegnung mit Pfeilgiftfröschen, Vogelspinnen oder einem Jaguar bleibt den Besuchern erspart. Dafür sieht man jede Menge Ameisen. „Die kleinen sind nützlich. Wenn man die Tiere auf der Haut zerreibt, vertreibt das die Moskitos“, sagt Raphael Rocha Sá und schlägt mit der Machete den Weg frei. Ein Faultier hängt im Kapokbaum und linst träge nach unten. Totenkopfäffchen klettern zutraulich von einer Tucuma-Palme herunter und holen sich mitgebrachte Bananen ab. Hoch oben im gewaltigen Kronendach der Regenwaldriesen versteckt sich ein grau gefiederter Verräter. Sein Ruf erinnert an eine Partytröte und soll andere Tiere warnen: Achtung, Zweibeiner! „Buschkapitän“ ist der Spitzname des Schreienden Piha. Das hört sich nett an, hat aber einen ernsten Hintergrund: „Capitão do mato“ hießen Leute, die entlaufene Sklaven jagten.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/leben/machen_artikel,-machen-himmlisch-gruene-hoelle-_arid,1973516.html