Schwetzingen. Kaum ein Politiker, der ihn nicht im Mund führt – den „Bürokratieabbau“. Das Wort klingt verheißungsvoll, fast wie eine Zauberformel: weniger Papier, mehr Tempo, mehr Effizienz. Doch so beliebt der Begriff ist, so trügerisch ist er auch. Denn wo immer Bürokratie verschlankt werden soll, droht, dass man zugleich ihre schützende Funktion verliert.
Dass die Ausbildung von Assistenzhunden derzeit stillsteht, ist unentschuldbar. Und doch steht sie exemplarisch für viele Regelungen in Deutschland: gut gemeint, zur Qualitätssicherung oder Vereinheitlichung gedacht, in der Praxis aber nicht umsetzbar. Gerade in einem sensiblen Bereich wie der Unterstützung von Menschen mit Behinderung ist Kontrolle unverzichtbar. Wenn jeder beliebig Assistenzhunde ausbilden dürfte, wäre am Ende ausgerechnet derjenige im Nachteil, der auf Hilfe angewiesen ist. Qualitätssicherung ist also kein Selbstzweck – sie schützt die Schwächeren.
Das ist der springende Punkt: Bürokratie ist mehr als Formularflut. Sie ist das Gerüst, das Verwaltung berechenbar macht, Entscheidungen nachvollziehbar hält und Bürger vor Willkür schützt. Wer „Bürokratieabbau“ fordert, sollte daher präzisieren, welche Bürokratie gemeint ist – und welche Strukturen besser unangetastet bleiben.
Das Schlagwort lebt von seiner Unschärfe. Es verspricht Effizienz, spart aber oft an den falschen Stellen: an Kontrolle, an Dokumentation, an Qualität. Hinter jedem Formular steckt meist ein Gedanke, der einmal sinnvoll war – etwa, um Ausbildung und Standards bundesweit zu sichern, wie bei den Assistenzhunden. Geht dieser Gedanke im Eifer des Vereinfachens verloren, verliert der Staat an Verlässlichkeit.
Natürlich braucht es Reformen, auch das wird an diesem Beispiel deutlich. Prozesse müssen dem Menschen dienen, dafür sind sie da, nicht um zu verkomplizieren. Doch Bürokratieabbau darf kein Deckmantel für Deregulierung sein. Wer sie pauschal bekämpft, sägt an dem System, das Transparenz und Gleichbehandlung überhaupt erst ermöglicht.
Vielleicht wäre Ehrlichkeit der bessere Weg: Nicht weniger, sondern kluge Bürokratie – verständlich, digital, nachvollziehbar und vor allem umsetzbar. Denn ohne sie bleibt vom modernen Rechtsstaat nur das Versprechen, nicht die Praxis.
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