CDU-Politiker Jens Spahn ist ein Mann klarer Worte, der dafür gerne auch mal einen Shitstorm riskiert. Wie kürzlich im ZDF bei Markus Lanz. Dort meinte er, dass die Genfer Flüchtlingskonvention überholt sei. Aus seiner Sicht nachvollziehbar, denn diese soll ja verhindern, dass ein Staat Asylbewerber ohne Einzelfallprüfung an der Grenze abweisen kann.
Dass Spahn mit den Wölfen der AfD heult, kann die Demokratie natürlich verkraften, dass er nach dem Asylkompromiss in Luxemburg jetzt aber triumphieren darf, könnte die Gesellschaft dagegen spalten. Denn beim Asylrecht zählte sich Deutschland in der EU immer zu den Guten. Wir erinnern uns an die Willkommenskultur 2015 und an Angela Merkels „Wir schaffen das“. Und wir erinnern uns an ihren damaligen Innenminister Horst Seehofer, der 2018 sogar seinen Rausschmiss riskierte, weil er für Flüchtlinge eine Obergrenze einführen wollte.
Merkel und Seehofer werden sich jetzt wie Spahn aus unterschiedlichen Gründen die Augen reiben. Dass die Innenministerinnen und Innenminister der EU mit Nancy Faesers Stimme das Asylrecht praktisch amputieren wollen, wäre vor fünf Jahren unvorstellbar gewesen. Trotzdem fällt der Twitter-Eintrag der SPD-Politikerin unter die Kategorie Fake News.
„Das ist ein historischer Erfolg – für die Europäische Union, für eine neue, solidarische Migrationspolitik und für den Schutz von Menschenrechten.“ An diesem Satz ist alles falsch. Es bleibt nicht nur unklar, ob der Kompromiss jemals in EU-Recht umgesetzt wird. Selbst dann könnte von einer solidarischen Migrationspolitik keine Rede sein, weil Länder wie Ungarn und Polen keine Flüchtlinge gegen ihren Willen aufnehmen müssen. Und ob sie die dann fälligen Ausgleichszahlungen tätigen würden? Mal abwarten.
Gewiss ist dagegen: Deutschland unterstützt den Abschottungskurs der EU und lässt damit gleich zwei Artikel des Grundgesetzes ins Leere laufen. Dort heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Der Kompromiss hat nämlich fatale Konsequenzen. Er sieht vor, dass Flüchtlinge – also auch Frauen und Kinder – unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern an den EU-Außengrenzen eingesperrt werden dürfen. Das kann dann durchaus drei Monate oder länger dauern. Welche Bedingungen hinter den verschlossenen Türen herrschen würden? Wen kümmert’s, wenn keine Kameras das mögliche Elend einfangen und die Menschen an den Bildschirmen quälen können. Und wer meint, dass die Asylsuchenden irgendwo in der Pampa ein faires Verfahren erhalten würden, muss naiv sein. Eine seriöse Einzelfallprüfung ist da nicht zu erwarten, wenn vielleicht nicht mal ein Anwalt auftaucht.
Wer dennoch keine Flüchtlinge ins Land lassen will und das mit seinem Gewissen vereinbaren kann, sollte es offen sagen und die Leute nicht für dumm verkaufen. Also keine beschönigenden sprachlichen Verrenkungen à la Faeser. Und wer Realpolitik auf Kosten der Menschenrechte betreibt, sollte nicht immer den moralischen Zeigefinger gegen andere erheben. Wie zum Beispiel Außenministerin Annalena Baerbock, die die Asyl-Einigung unterstützt.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Auch Deutschland setzt jetzt beim Asylrecht auf Abschottung
Die Ampel-Koalition tritt mit ihrer Zustimmung zum EU-Asylkompromiss das Grundgesetz mit Füßen. Flüchtlinge sollen in Zukunft an den Außengrenzen unter haftähnlichen Bedingungen eingesperrt werden, kritisiert Walter Serif