Kommt es jetzt zu einer Lösung der Migrationskrise? Ampel und Union haben bei ihrem Gipfeltreffen den großen Krach vermieden, nächste Woche wollen sie weiterreden. Gut so. Deutschland bräuchte dringend einen neuen Anlauf zur Begrenzung der irregulären Migration. Der Druck ist groß, die Kommunen ächzen unter der Belastung. Koalition und Opposition tragen also eine große Verantwortung. Aber ob sie ihr gerecht werden?
CDU-Chef Merz pokert hoch, wenn er jetzt ultimativ auf eine radikale Wende pocht: Er fordert die Zurückweisung der irregulären Migranten an den deutschen Landesgrenzen, was die Zahl der Asylbewerber drastisch reduzieren, aber umfassende Grenzkontrollen voraussetzen würde – und zu einem politischen Erdbeben in der EU führen dürfte. Taktisch ist das clever von Merz: Der Oppositionsführer hat nach dem Attentat von Solingen die Initiative übernommen und inszeniert sich als entschiedener Macher. Aber was wird daraus?
Rechtlich bewegt sich der Vorstoß in einer Grauzone. Entscheidender ist der enorme politische Schaden, den die einseitige Schließung der deutschen Grenzen in Europa anrichten würde. Deutschland würde sich mit einem Paukenschlag aus der gemeinsamen Asylpolitik verabschieden und das Ende des Schengen-Raums einläuten. Gut möglich, dass die Nachbarstaaten unter Druck dem Beispiel folgen – Europas Flüchtlingspolitik stünde vor dem Kollaps, es ginge auch mehr zu Bruch in der EU.
Die Koalition andererseits muss sich eingestehen, dass ihre bisherigen Initiativen die Probleme nicht lösen. Die Ampel könnte stattdessen zusammen mit der Union mit Nachdruck eine europäische Lösung vorantreiben: Statt Migranten in der EU hin- und herzuschieben, muss die illegale Migration in die gesamte EU reduziert werden – über Asylverfahren in sicheren Drittstaaten mit Kontingenten, die jedes EU-Land aufnimmt. Über konsequenten Schutz der Außengrenzen.
Aber der Ausstieg aus Europas humanitärer Asylpolitik, wie er Merz offenbar vorschwebt, dürfte in der Koalition kaum durchsetzbar sein – mit Teilen der SPD nicht und schon gar nicht mit den Grünen, für die eine rote Linie erreicht wäre. Die FDP aber liebäugelt jetzt mit dem Merz-Manöver. Da droht bei der Asylpolitik mehr als nur neuer Streit: Es tut sich ein gefährlicher Riss in der Koalition auf. Ist es das, worauf Merz abzielt? Wer die Ampel sprengen will, wie es manche Liberale jetzt offen diskutieren, fände in der Migrationspolitik einen populären Ausstiegsgrund.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar CDU-Chef Merz fordert radikale Wende bei der Migrationspolitik
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