In Stuttgart-Stammheim ist in den vergangenen Monaten ein Verbrechen juristisch aufgearbeitet worden, das Menschen auf der ganzen Welt bewegt hat. Und die innerdeutschen Folgen waren katastrophal. Das Messerattentat in Mannheim markierte den Auftakt einer Reihe von Anschlägen, die eine vergiftete Migrationsdebatte befeuerten.
An den Prozess, der im Februar begann, waren entsprechend hohe Erwartungen geknüpft. Doch schon zu Beginn sagte der Vorsitzende des Senats: In diesem Prozess wird es einzig und allein um die individuelle Schuld des Angeklagten gehen. Von Anfang an stand also fest: Dieser Prozess kann und wird keine Lösung in der festgefahrenen Migrationsdebatte liefern. Er ist einzig und allein der Wahrheitsfindung verpflichtet.
Das Verfahren hat gezeigt, wie die Justiz als zentrale Säule unseres Rechtsstaats ein Verbrechen wie dieses aufarbeitet.
Die Erforschung der Wahrheit ist das zentrale Element des Strafprozesses. Betrachtet man den Prozess um das Mannheimer Messerattentat in der Rückschau, dann kann man sagen: Der Staatsschutzsenat ist der Wahrheit so nahe wie nur möglich gekommen.
Trotz der anhaltenden Kritik an der Vielzahl der Prozesstage, die am Ende nicht alle ausgeschöpft wurden, tastete sich der Senat Schritt für Schritt an die Wahrheit heran, lud im Zweifel erneut einen Sachverständigen, um ganz bestimmte Detailfragen zu klären. Die Richterin und die Richter des Senats nahmen sich Zeit, wollten verstehen und verstanden meist auch.
Es sind zwar Fragen offengeblieben: Warum musste der Polizist Rouven Laur sterben? Wer löschte den Google-Account des Angeklagten nach der Tat? Welche Dateien befanden sich auf dem Handy, das der Angeklagte entsorgt hatte, bevor er nach Mannheim fuhr? Und besonders wichtig: Wer war der radikale Einflüsterer OR, der bei Sulaiman A. eine wahre Turbo-Radikalisierung in Gang gesetzt haben soll? Und in einem Fall hat der Senat die Wahrheit nicht erforscht. Die Rolle des Passanten, der in das Tatgeschehen eingriff und dem Attentäter so zur Befreiung verhalf, ist vor Gericht nicht ausgeleuchtet worden. Die Gründe dafür sind allenfalls gestreift worden.
Abgesehen davon hat das Verfahren jedoch gezeigt, wie die Justiz als zentrale Säule unseres Rechtsstaats ein Verbrechen wie dieses aufarbeitet. Der Staatsschutzsenat hat ein gerechtes Urteil verhängt. Es kann das enorme Leid der Tat nicht vergelten, doch er hat dem Sühne- und Genugtuungsbedürfnis der Gesellschaft Rechnung getragen. Getragen von den Werten unserer Demokratie.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Ein gerechtes Urteil - das enorme Leid kann es aber nicht vergelten
Das Verfahren nach der Messerattacke von Mannheim hat gezeigt, wie die Justiz als zentrale Säule unseres Rechtsstaats ein Verbrechen wie dieses aufarbeitet. Ein Kommentar von Agnes Polewka.