Ketsch. Naturschutz ist ein komplexes Thema. Die meisten Menschen denken dabei spontan an idyllische Wälder und Wiesen, an zwitschernde Vögel und vor allem an die Abwesenheit des wohl größten Naturzerstörers – des Menschen. Doch aus Sicht von Biologen und anderen Experten ist das Thema vielschichtiger. Oft geht es ihnen darum, ganz bestimmte Pflanzen- und Tierarten zu erhalten, die vom Aussterben bedroht sind. Deshalb werden mitunter natürliche Lebensräume auf künstliche Weise geschaffen: Bäume bewusst gefällt, um sonnenreiche Magerwiesen anzulegen, oder Büsche und Hecken regelmäßig entfernt, um Biotope zu erhalten. Tatsächlich würden viele dieser besonderen Lebensräume von alleine gar nicht existieren können, so paradox das klingt. Ähnlich argumentieren beispielsweise die Befürworter des geplanten Kiesabbaus im Entenpfuhl nahe Ketsch: Statt des „normalen“ Waldes würden dort durch den Abbau Habitate für seltene Arten entstehen.
Doch insbesondere im Bereich der Ketscher Rheininsel wirft der Naturschutz weitere Fragen auf. Denn hier dient die Waldbewirtschaftung auch ganz offen dem Profit – zwar im Namen des Landes, so dass Gewinne indirekt uns allen zugutekommen. Doch selbst diese Einschränkung ändert nichts an der Tatsache, dass der Schutz der Natur im Naturschutzgebiet offenbar nicht an erster Stelle steht. Ähnliche Konflikte gibt es übrigens überall in Deutschland: Viel öfter, als die meisten Menschen wohl glauben, arbeiten sich schwere Erntemaschinen und scharfe Kettensägen durch ausgewiesene Schutzgebiete. Das ist zwar dem Gesetz nach legal, doch ist gleichzeitig schwer vermittelbar, warum dann der normale Bürger bei seinem Spaziergang strikte Verhaltensregeln an die Hand bekommt.
Wenn außerdem auf der Ketscher Rheininsel die Auswirkungen des Klimawandels geringer sind als im besonders betroffenen Umland mit seinen Sandböden, könnte sich hier die seltene Chance ergeben, die Bewirtschaftung und den letztlich künstlichen Umbau des Waldes tatsächlich einzuschränken. Ob derartige Eingriffe des Menschen – auch wenn sie noch so gut gemeint sind – tatsächlich sinnvoll sind, wird in der Fachwelt durchaus kontrovers diskutiert. Im räumlich deutlich begrenzten Bereich der Rheininsel wäre es zumindest denkbar, einen anderen Weg auszuprobieren. Viele Bürger würden dieses Ansinnen sicherlich unterstützen – denn es käme dem „idyllischen“ Bild des Naturschutzes deutlich näher als die jetzige Praxis.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Idylle statt Bewirtschaftung?
Der Naturschutz auf der Ketscher Rheininsel wirft komplexe Fragen auf und zeigt die Widersprüche zwischen Naturschutz und Profit, kommentiert Benjamin Jungbluth.