Pro & Kontra Kann Hockenheim so viele Konzertbesucher verkraften?

Ist der Hockenheimring trotz der Probleme, die es mit der An- und Abreise der Fans zum Auftritt von Bruce Springsteen zum wiederholten Mal gegeben hat, als Schauplatz von Großveranstaltungen geeignet? Oder hat der vergangene Freitag gezeigt, dass die Infrastruktur der Stadt für solche Dimensionen nicht geeignet ist und künftig auf Gastspiele mit 80 000 Besuchern und mehr verzichtet werden sollte?  

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Stau statt Springsteen: Zehn Minuten vor dem offiziellen Konzertbeginn stehen Besucher im Stau am Hockenheimer Friedhof - auf dem Weg zu den Parkplätzen. © Matthias Mühleisen

Pro-Stimme »Hockenheimring ist nicht grundsätzlich für Großveranstaltungen ungeeignet«

Es steht außer Frage: Tadellos war beim Konzert von Bruce Springsteen und der E Street Band allein die Leistung von Künstlern und Technikern. An den Umständen der An- und Abreise gibt es großen Optimierungsbedarf – aber auch Optimierungspotenzial. Den Hockenheimring als grundsätzlich ungeeignet für Großveranstaltungen abzustempeln, schießt weit übers Ziel hinaus.

Woran vor allem gearbeitet werden muss, ist die Kommunikation mit den Besuchern – in jedem Stadium. Veranstalter Live Nation verweist zwar darauf, an die Besucher appelliert zu haben, früh anzureisen, aber das reicht nicht. Wer „dynamisch beschilderte Verkehrsrouten“ als einen Grund für die hohen Parkgebühren angibt, muss auch für Dynamik sorgen – vor allem mit Onlineinformationen über die Belegungs- und Verkehrssituation, an denen Anreisende sich orientieren können.

Beim ÖPNV ist noch jede Menge Luft nach oben. Klar hängen Verbesserungen hier von den Dienstleistern Deutsche Bahn und VRN ab. Deren Versorgung war am vergangenen Freitag und in der Nacht zum Samstag nicht bedarfsgerecht. Es ist absehbar, dass die Zahl der Konzertbesucher, die mit der Bahn anreisen, weiter steigen wird, nicht nur wegen der Gebühren fürs Parken. Abfragen vorab helfen beim Einschätzen erforderlicher Kapazitäten.

Das Thema Shuttlebusse nonchalant als unpraktikabel vom Tisch zu wischen, weil diese mal vor Jahren bei AC/DC von Falschparkern ausgebremst wurden, können sich Veranstalter nach den Springsteen-Erfahrungen auch nicht mehr leisten. Denn es hat sich gezeigt, dass ganze Viertel durch kontrollierte Absperrungen wirkungsvoll von Parksuchverkehr frei gehalten werden können – warum dann nicht auch bestimmte Routen für die reibungslose Durchfahrt von Bussen? Noch gar nicht ausgeschöpft ist das Potenzial der Kombination der Anfahrt aus Auto und Fahrrad auf bestimmten ausgewiesenen Routen.

Die könnten auch zu großen Parkplätzen in den Nachbargemeinden führen. Weitere Möglichkeit zur Entzerrung: Parkplätze anders als bisher vorab konkret zuweisen, je nach Himmelsrichtung, aus der das Publikum anreist.

Nach dem Konzert müsste die Besucherbetreuung intensiviert werden, Ansprechpartner gut erkennbar zur Verfügung stehen, die Orientierungshilfe geben und an Engstellen sowie am Bahnhof mit Lautsprechern Durchsagen machen können, damit sich die Menschen nicht allein gelassen fühlen.

Das alles wird nicht helfen, den Besuch eines Großkonzerts so reibungslos wie den einer SAP Arena oder einer Stadthalle abzuwickeln. Wer das erwartet, bleibt dem Ring tatsächlich besser fern. Aber einen Mittelweg zwischen Komfort und dem einzigartigen Erlebnis, Künstler unter so vielen Gleichgesinnten zu erleben, sind sicher viele zu gehen bereit. Selbst wenn sie wissen, dass sie mehr Geduld mitbringen müssen.

Redaktion Redakteur im Bereich Hockenheim und Umland sowie Speyer

Kontra-Stimme »Konzert von Bruce Springsteen muss das letzte dieser Art sein«

Nein, so bitter das für Hockenheim sein mag: Das Konzert von Bruce Springsteen muss das letzte dieser Art gewesen sein. Eine Stadt mit 21 000 Einwohnern ist für Veranstaltungen mit 80 000 Besuchern oder mehr nicht geeignet, weil die entsprechende Infrastruktur einfach fehlt.

Ein so kleiner Bahnhof wie der von Hockenheim kann nicht Tausende Menschen verkraften. Solche Veranstaltungen gehören in große Städte mit großen Stadien oder einem Messegelände. Beim Springsteen-Konzert zwei Tage später in München gab es nur wenige Probleme. Die bayerische Landeshauptstadt hat allerdings U- und S-Bahn, die im Minutentakt fahren.

Wie schon häufig – man erinnere sich beispielsweise an das Konzert von Ed Sheeran – kam es in Hockenheim zu einem völlig indiskutablen Verkehrschaos. Weder die An- und Abreise mit dem Auto noch mit dem Öffentlichen Nahverkehr funktionierte. Viele Springsteen-Fans erreichten das Konzert erst lange nach Beginn, weil (völlig überteuerte) Parkplätze schlecht oder falsch beschildert waren, die Straßen verstopft und die Bahnen überfüllt waren.

Übrigens nicht nur zu Lasten der Hockenheimer Bürgerinnen und Bürger, sondern auch von Nachbargemeinden wie beispielsweise Oftersheim, wo Berichten zufolge 150 Strafzettel wegen Falschparkens ausgestellt wurden. Es müsste schon sichergestellt werden, dass alle, die mit einem Konzert oder auch einer Motorsportveranstaltung nichts am Hut haben, sich frei bewegen können und ihren Wohnort ohne Umwege (Stichwort Einbahnstraßenregelung zwischen Hockenheim und Walldorf zu vorher nicht bekannt gegebenen Zeiten) verlassen oder erreichen können.

Geradezu abwegig, ja fahrlässig, sind die Äußerungen von Konzertveranstalter Live Nation, es hätte keine Gefahr für Menschen bestanden. Wenn sich Tausende in einem engen Tunnel oder auf einem Bahnsteig drängen, ist sehr wohl eine Gefahr gegeben. Was, wenn eine Panik ausgebrochen wäre?

Dass sich die Abreise auch wieder über Stunden hinzog, Menschen, auch wegen Getränkemangel kollabierten, wird offenbar leichtfertig hingenommen. Muss immer erst etwas passieren, bis man Lehren für künftige Veranstaltungen zieht, wie Live Nation in einer Stellungnahme schreibt? Berichten einiger Besucher zufolge wurde auch keine Taschenkontrollen vorgenommen.

Die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Stadt, Polizei, Hockenheimring und Konzertveranstalter hat im Ergebnis nicht funktioniert. Mit den Erfahrungswerten früherer Veranstaltungen hätte dieses Chaos nicht passieren dürfen, wenn man denn professionell vorgegangen wäre. Wer nichts dazulernt, muss die Konsequenz tragen. Diese heißt: Keine Großveranstaltungen mehr auf dem Hockenheimring. Echte Fans fahren auch nach Frankfurt, Stuttgart, Köln oder München.

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