Zur Arbeit des Jugendbeirates in Ketsch schreibt uns dieser Leser:
Dass man es mit Demokratie in Ketsch nicht so hat, ist keine Neuheit. Ketsch gehört zu den wenigen Gemeinden im Rhein-Neckar-Kreis, die grundsätzlich alle Ausschüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen lässt. Und auch sonst hat man es nicht so mit Demokratie, wie 2016 die mühevoll erkämpften Bürgerentscheide gegen die Marktplatzbebauung gezeigt haben.
Am fehlenden Verständnis dafür hat sich seit dieser Zeit nichts geändert, weder beim Gemeinderat, noch im Bürgermeisterbüro. Bei Ketsch und Demokratie fällt mir spontan ein Zitat vom ehemaligen SED- und DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht ein: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Dieses Zitat passt auch gut zum neuerlichen Anschlag auf die Demokratie in Sachen Jugendbeirat.
Mein Gott, was für ein Erfolg, der in der Schwetzinger Zeitung verkündet wurde. Zu einer Informationsveranstaltung sind 100 Jugendliche gekommen und fünf haben sich für die Aufgabe Jugendbeirat gemeldet. Mit Verlaub, diese Meldung ist aber kein Erfolg, sondern die Bankrotterklärung in Sachen Demokratie und Jugendarbeit. Ein Popcorn gratis, ein Getränk gratis, Verlosung von Amazon-Gutscheinen mit den Werten 100, 75 und 50 Euro sowie freier Eintritt für Mario Kart Battle und den Film „Super Marion Bros.“. Mit diesem umfassenden Angebot hat die Gemeindeverwaltung jeden Jugendlichen in Ketsch gezielt angeschrieben.
Dass da dann 100 Jugendliche kommen und sich auch wenige zum Jugendbeirat melden, mag kaum verwundern. Es fehlt ja nur noch ein rosa Pony und der freie Schwimmbadeintritt. Sicherlich kann man das jetzt positiv und als gelebte Jugendarbeit sehen. Ich würde mich dieser Sichtweise nicht anschließen. Vielmehr halte ich es, gerade in der heutigen Zeit, wo ohnehin die Demokratie unter einem hohen Druck ist, für ein fatales Zeichen. Engagiert euch, dann bekommt ihr dieses und jenes. Wie soll da ehrenamtliches Engagement entstehen, wenn ein Preisschild dran ist? Wie soll ein demokratisches Verständnis entstehen bei Jugendlichen? Hier wurde mit der Abrissbirne an der Demokratie gearbeitet. Dazu gratuliere ich herzlich.
Der jetzt beschrittene Weg, sich Mitglieder für den Jugendbeirat zu kaufen, wird keinen Erfolg haben. Es wird kein Jahr dauern, dann wird der Jugendbeirat unter dem Problem, keine Mitglieder zu haben, leiden. Statt sich Jugendliche mit Gutscheinen und Co. zu kaufen, könnte man mal grundsätzlich den Jugendbeirat hinterfragen. Warum ist er so unattraktiv, damit die bestehenden Mitglieder keinen Nachwuchs generieren können? Auch was alles an Erfolg verkauft wird, hat doch innerhalb der Ketscher Jugend keine Strahlwirkung.
Wo ist die Strahlwirkung der Ketscher Parteien, Gemeinderatsfraktionen und insbesondere der jungen Gemeinderäte? Alles nicht vorhanden, die Politik hat keinen Draht zur Ketscher Jugend. Wäre es anders, würde sich die stetige Nachwuchsproblematik beim Jugendbeirat gar nicht erst stellen. Und generell muss man die teuer erkaufte Jugendarbeit hinterfragen und damit auch die Rolle des Postillion-Vereins.
Von diesem Verein ist die Gemeinde Ketsch ohnehin mittlerweile viel zu abhängig, auch wenn es um den Betrieb der Kindergärten geht. Wenn man heute Jugendbeiräte mit Gutscheinen und Gratisangeboten kaufen muss, hat man ein erhebliches Problem in der Jugendarbeit. Stattdessen wäre die Einrichtung eines Jugendausschusses mit öffentlichen Sitzungen als regulärer Ausschuss im Gemeinderat wesentlich zielführender. Jugendliche, die mitwirken wollen, könnten im Sinne der Gemeindeordnung als sachkundige Einwohner berufen werden. Das wäre nicht nur ein starkes Zeichen für die Jugendarbeit, sondern auch eine enge Verzahnung.
Simon Schmeisser, Mannheim