Man muss sich wundern

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Zum Leserbrief „Demokratie erkauft“ in der SZ-Ausgabe vom 3. Juni wird uns folgende Meinung geschrieben:

In seinem Leserbrief von letzter Woche ließ Simon Schmeisser kein gutes Haar an einer Veranstaltung des Jugendbeirats. Meiner Meinung nach tut er dem Beirat damit unrecht. Um nicht zu sehr vom Thema abzukommen, übergehe ich seine anfänglichen Tiraden gegen das autoritäre Ketscher System und seine DDR-artigen Machenschaften.

Nur so viel: Den Bürgerentscheid über den Marktplatz als Beweis für das Scheitern der Demokratie in Ketsch anzuführen, halte ich für paradox. Jedenfalls solange man unter Demokratie die Umsetzung des Volkswillens in einem regelbasierten Verfahren ansieht.

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Der „Anschlag auf die Demokratie“, den Schmeisser ausgemacht haben will, liegt jedoch nicht so weit zurück. Man hatte seitens des Ketscher Jugendbeirates ins Central Kino geladen. Welche Filme und Aktionen den Jugendlichen hier geboten wurde, wird ja bereits in Schmeissers Leserbrief erwähnt. Den gezeigten Film, das Erlebnis, auf großer Leinwand Mario-Kart zu spielen und kleine Gewinnspiele gab es dort tatsächlich. Leider sind ihm dabei jedoch einige Programmpunkte abhandengekommen. So etwa die Ansprache von Bürgermeister Timo Wangler oder der Vortrag zur Arbeit des Jugendbeirats. Ich möchte Simon Schmeisser hierbei keine Absicht unterstellen, ich schreibe es nur der Vollständigkeit halber. „Dass da dann 100 Jugendliche kommen und sich auch wenige zum Jugendbeirat melden“, so Schmeisser, „mag kaum wundern.“

Sie wundern sich nicht? Das ist schade, denn es gibt etwas zu wundern. Es gibt zu bewundern. Jede Woche verbringt der Jugendbeirat zwei Stunden im Ketscher Jugendtreff. Fünf Menschen in der Blüte ihrer Jugend haben sich nun ebenfalls bereiterklärt, sich den Anliegen von Kindern und Jugendlichen in Ketsch zu widmen. Ich weiß nicht, wie viel Ihnen an zwei Stunden Ihrer wöchentlichen Lebenszeit liegt. Wenn aber ein Abend unter Gleichaltrigen im Kino reichen würde, um Sie zu diesem Aufwand zu bestechen, so täten Sie mir aufrichtig leid. Diejenigen, die sich an besagtem Abend bereiterklärten, hatten etwas, dass Sie ihnen nicht zutrauen: Motivation und ein Interesse an der Gesellschaft in der sie leben.

„Engagiert Euch und Ihr bekommt dies und jenes.“ Es mag Ihnen entfallen sein, Simon Schmeisser, aber diejenigen, die sich nicht engagieren, bekamen dies und jenes auch. Wie soll demokratisches Verständnis und ehrenamtliches Engagement entstehen, fragen Sie? Ich sage, es ist schon da, zumindest in jenen fünf Jugendlichen, die Sie so achtlos als „gekauft“ abtun.

Ich möchte noch eine weitere Lanze für jene Altersgruppe der Jugendlichen brechen, derer ich ebenfalls erst wenige Jahre entwachsen bin. Man kann Jugendliche nicht mit ein paar Gutscheinen kaufen. Zu behaupten, dass Heranwachsende für etwas Taschengeld Stunden ihres Lebens in öffentliches Engagement investieren würden, ist für Sie entlarvend, für Jugendliche allgemein lächerlich und für diejenigen im Jugendbeirat beleidigend. Ich hoffe, Sie nehmen diese Behauptung zumindest im Geiste zurück.

Es gibt tatsächlich Menschen, die sich ohne Gedanken an Geld engagieren, die nicht schon im Wahlkampf mehr Geld für das angestrebte Amt fordern. Meistens haben diese Menschen übrigens bei Wahlen in Ketsch auch mehr Erfolg.

Ihre Einlassungen zu Ketscher Parteien und dem Postillon übergehe ich, sie gehören schließlich nicht zum eigentlichen Thema Ihres Briefes. Was Ihre Vorschläge zur Auflösung des Jugendbeirats und Ersatzmaßnahmen angeht, so halte ich sie für bestenfalls fragwürdig. Aber bitte, erhellen Sie mich. Erhellen Sie mich, wie ein Ausschuss des Gemeinderates die Jugend besser vertreten soll als ein Beirat aus Jugendlichen selbst – wie dies zu mehr engagierten Jugendlichen und zu mehr Ideen in der Kommunalpolitik führen würde?

Und schließlich verraten Sie mir, wo Sie die Jugendlichen finden, welche Sie als Sachkundige in jenen neuen Ausschuss stellen wollen. Wo finden Sie junge Menschen, die sich freiwillig in der Kommunalpolitik einbringen würden, die soziales Engagement im Herzen und demokratisches Verständnis im Hirn haben. Insbesondere jetzt, wenn gerade wieder fünf solcher jungen Leute anderweitig beschäftigt sind.

Kai Schäfer, Ketsch