Altlußheim. Kommen sie genauso raus, wie sie reinkamen, oder werden sie so entlassen, dass sie nach der Haft in der Lage sind, ein straffreies Leben zu führen? „Das ist die entscheidende Frage“, sagt Verena Gutwein. Die Rede ist von Gefangenen im Straf- und Maßregelvollzug – von Mördern und Vergewaltigern also, wie sie in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal ihre Haftstrafe verbüßen. Damit sie anschließend nicht sofort die nächste Straftat begehen und erneut hinter Gitter landen, soll ihnen die Anstalt eine passende Therapie anbieten. Doch die herkömmlichen Angebote erreichen nicht alle Insassen.
An dieser Stelle kommt Gutwein ins Spiel, die just mit diesen Häftlingen aus der Hochrisikogruppe arbeitet. Einmal in der Woche, seit elf Jahren. Solange ist es inzwischen her, dass Gefängnispsychologin Christine Dörr von der therapeutischen Arbeit der Altlußheimerin mit Hunden hörte und Kontakt zu ihr aufnahm. Auf den Erfahrungen Gutweins mit hundegestützter Therapie in der Kinder- und Jugendhilfe sowie im Jugendarrest aufbauend haben die beiden Frauen in der Folge für ihre spezielle Zielgruppe das Interventionsprogramm „HundsKerle TGT“ entwickelt. „Den Hunden gegenüber gehen die Teilnehmer offener in den Kontakt, haben keine Vorbehalte wie gegenüber dem Gefängnispersonal“, erklärt Diplom-Sozialpädagogin Gutwein ihre Herangehensweise.
Hundegestützte Therapie im Strafvollzug: Ein innovativer Ansatz
Anders als bei Therapiehunden im Seniorenheim stehe bei ihren Interventionshunden nicht das Streicheln im Vordergrund, obwohl das ebenfalls ein wichtiger Aspekt sei. Immerhin brauche der Mensch eigentlich körperliche Nähe zu anderen, was ihren Klienten in der Haft zwangsläufig verwehrt bleibe. Doch der Umgang mit den Vierbeinern biete ihnen eine alle Sinne umfassende Erfahrung. Sie müssten lernen, auf die Tiere einzugehen, deren Stimmung einzuschätzen und von ihnen gesetzte Grenzen zu respektieren. Zum Beispiel wenn ein Hund eine Pause benötigt und gerade mal nicht gestreichelt werden oder an einer Aufgabe mitwirken möchte.
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„Beim Training und den Aufgaben geht es stets um Kommunikation und Interaktion“, sagt Gutwein. So gilt es etwa, die Hunde mit Stimmkommandos und Gesten über Hindernisse zu lotsen. „Es ist auch spannend, wie jemand auf die vom Typ her unterschiedlichen Tiere reagiert. Mag er lieber den eher lebendigen Hund, der auf ihn zukommt, oder den ruhigen, der erst mal abwartet und Abstand hält? Was ist demjenigen angenehm, was nicht? Das erlaubt mir Hypothesen über passende Ansätze“, sagt sie. Nicht zuletzt lernten die Klienten, über sich und ihr Handeln nachzudenken. Das falle vielen normalerweise schwer, doch in der kleinen HundsKerle-Gruppe seien sie hoch motiviert, dass die Zusammenarbeit mit den Vierbeinern gelingt. „Und so finden sie über die Hunde einen Zugang zu sich selbst“, erläutert sie. Ein Teilnehmer sei anfangs sehr wortkarg gewesen. „Wenn er ab und zu drei Worte gemurmelt hat, war das schon viel“, nennt die 43-Jährige ein Beispiel. Mittlerweile rede der Mann in ganzen Sätzen und könne sich gut mitteilen.
Belgische Schäferhunde: Die idealen Therapiepartner
Bei Gutweins tierischen Helfern handelt es sich ausschließlich um Belgische Schäferhunde. Sind nur bestimmte Rassen wie diese für die besondere Arbeit geeignet? „Das ist nicht abhängig von der Rasse, sondern vom Typ“, antwortet sie. Der jeweilige Hund müsse zum Menschen passen sowie kontrolliert und gerne in den Kontakt gehen. Insgesamt hat sie fünf Interventionshunde, von denen sie drei ständig einsetzt und die beiden anderen punktuell. Grundsätzlich setze sie die Tiere erst ab einem Alter von zweieinhalb Jahren ein, da sie eine gewisse Reife brauchen. „Es ist von großem Vorteil, wenn man die Hunde vom Welpenalter an kennt“, hebt sie hervor.
Mit ihren tierischen Therapiehelfern trainiert sie täglich, gezielt für das Hunds-Kerle-Programm jedoch nur dreimal in der Woche. Denn das Training hierfür und der Einsatz in der JVA seien für die Hunde immer auch anstrengend, weshalb sie auf ausreichende Ruhepausen achte.
Daneben bildet sich die Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin ständig fort. So hat sie bereits 2005 in Freiburg eine Weiterbildung in Tiergestützter Therapie und Pädagogik gemacht und war dort anschließend als Gastdozentin unterwegs. Ebenfalls als Gastdozentin ist sie an der Universität Basel im Weiterbildungsstudiengang Certificate of Advanced Studies in Tiergestützter Therapie tätig.
Wissenschaftliche Evaluation bestätigt den Erfolg
Zudem haben Christine Dörr und sie „HundsKerle TGT“ über mehrere Jahre von der Uni Basel wissenschaftlich evaluieren lassen. Deren Studie, die in einem internationalen Journal veröffentlicht worden sei, komme zu dem Fazit: „Das Programm wirkt“, sagt die Altlußheimerin. Zeit und Geld, die sie dafür investiert habe, seien es ihr wert gewesen. „Für mich ist das einfach ein Herzensprojekt“, erklärt sie.
Im deutschsprachigen Raum leiste sie mit Dörr Pionierarbeit bei tiergestütztem Training im Straf- und Maßregelvollzug. „Wir sind Vorreiter. Zu uns kommen Kollegen aus dem ganzen Land, aus Berlin, Bautzen, aber auch aus dem benachbarten Ausland wie Österreich. Sie wollen wissen, wie das geht“, erzählt sie.
Institut für Hundeintervention: Drei Säulen für den Erfolg
Vor diesem Hintergrund hat Gutwein Anfang des Jahres das Institut für Hundeintervention gegründet. Das fußt auf drei Säulen: Methoden-, Ausbildungs- und Wissenschaftszentrum. „Damit möchte ich die gewonnenen Erfahrungen und das gesammelte Wissen in die Welt tragen und es mehr Kollegen ermöglichen, mehr Menschen zu helfen“, erläutert die 43-Jährige. So könnten andere auf der von Dörr und ihr geschaffenen Grundlage aufbauen und eigene Ansätze entwickeln. „Außerdem will ich das Verständnis dafür fördern, was genau wir tun“, sagt sie.
Denn es gehe auch stets um Ressourcen. Gutwein möchte die Forschung in diesem Bereich fortsetzen, was Geld koste. Die Hunde zu versorgen, werde ebenfalls stetig teurer. Da ihre Zielgruppe keine Lobby besitze, stünden allerdings keine Fördermittel bereit. Dabei würden sich Investitionen, die zu einem noch wirksameren Training mit ihren Klienten führen, für die Gesellschaft lohnen. „Straftäter als bessere Menschen aus dem Gefängnis zu entlassen, würde die allgemeine Sicherheit erhöhen“, hebt sie hervor. Nicht zuletzt könnten die Forschungsergebnisse in weiteren Bereichen nützlich sein, zum Beispiel für den gezielten Einsatz von Tieren in der Therapie auch außerhalb von Gefängnismauern.
„Wir sind derzeit dabei, ein traumatherapeutisches Programm aufzulegen“, verrät sie. Deshalb habe sie sich dazu entschlossen, auf der Internet-Plattform Gofundme eine Spendenkampagne für das Institut zu starten, „obwohl es mir sehr schwerfällt, um Hilfe zu bitten“.
Bleibt noch eine Frage: Hat die Altlußheimerin keine Angst, wenn sie mit ihren Hunden zu den „schweren Jungs“ in die JVA geht? „Nein. Mir begegnen meine Klienten immer wertschätzend.“ Bislang habe sie noch keine einzige brenzlige Situation erlebt. Natürlich dürften Besucher nicht vergessen, wo sie sind und mit wem sie es zu tun haben. „Aber dort drinnen weiß ich halt genau, mit wem ich es zu tun habe, draußen nicht“, gibt die Sozialpädagogin einen kleinen Denkanstoß.
Positive Effekte auf die Gefangenen in der JVA Bruchsal
Seit dem Start von „HundsKerle TGT“ haben nach Angaben von Anstaltsleiter Thomas Weber circa 70 bis 80 Gefangene in der JVA Bruchsal mitgemacht. „Insbesondere Inhaftierte, die bisher nicht zur Teilnahme an anderen Maßnahmen motiviert werden konnten, nehmen regelmäßig teil und entwickeln mehr Durchhaltevermögen“, nennt er einen der positiven Effekte. Und Weber hat weitere festgestellt: So würden das Interesse, die Neugierde und die Bereitschaft geweckt, sich mit sich und anderen auseinanderzusetzen und sich zu verändern. Auch ließen sich die Teilnehmer auf therapeutische Prozesse ein sowie Kontakt und Beziehung zu. „Sie kommen zudem in Kontakt mit eigenen Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen, was für viele Teilnehmer eine neue Erfahrung darstellt“, sagt er. Es sei ein Zugewinn an Zutrauen in sich und andere beobachtbar. Nicht zuletzt verbessere sich die kritische Selbstreflexion.
Gilt das für alle Gefangenen, die sich für das Programm entscheiden, und sind die Effekte von Dauer? Diese Auswirkungen ließen sich grundsätzlich beobachten, je nach Teilnehmer jedoch in unterschiedlicher Ausprägung. „Die Effekte zeigen sich deutlicher, je länger Inhaftierte am Programm teilnehmen“, sagt Weber. „Bei einzelnen Teilnehmern lässt sich auch nach mehreren Jahren noch feststellen, dass sie emotional gefärbte Erfahrungen und Situationen verinnerlicht haben.“ Das Abrufen des Erlebten unterstütze sie in ihren weiteren therapeutischen Prozessen und in ihrer persönlichen Entwicklung.
Ein wichtiges Instrument für ein straffreies Leben
In elf Jahren kommen viele Erkenntnisse und Erfahrungen zusammen. Ist die hundegestützte Intervention ein sinnvolles, wichtiges Instrument? Das bejaht Anstaltsleiter Weber. Die quantitative Studie, die Einschätzung der behandelnden Einzeltherapeuten und die Selbstwahrnehmung der Teilnehmer bestätigten, dass es sich um ein wichtiges Instrument auf dem Weg zu einem straffreien Leben handelt – vor allem für schwer zugängliche Gefangene.
„HundsKerle TGT“ stoße Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung an, die ein wichtiges Fundament für ein straffreies Leben darstellen. „Durch die Hundeintervention erreichen wir Menschen im Strafvollzug, die davor nicht erreichbar sind.“ Deswegen sei das Programm inzwischen fester Bestandteil des therapeutischen Angebots. Würde er diese Therapie oder ähnliche auch anderen Anstaltsleitern empfehlen? „Aus den genannten Gründen ja“, erklärt Thomas Weber.
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