Brühl. Von alternativen Fakten sprach die Beraterin des damaligen amerikanischen Präsidenten Donald Trump, Kellyanne Conway, im Januar 2017. Doch die sehr individualistische Sichtweise auf die Welt ist älter als diese Formulierung. Sogar noch viel älter als der Pippi-Langstrumpf-Song, in der sie sich die Welt so macht, wie es ihr gefällt.
Ein betagteres Dokument dieses Spiels mit der Wahrheit ist unserem Mitarbeiter Gerhard Rieger bei der Durchsicht seines Archivs in die Hände gefallen: Ein Schreiben der Badischen Ziegelwerke von 1911 mit einem Briefkopf, der ein Werksgebäude zeigt, das monumental das Brühler Ortsbild beherrscht.
Tatsächlich prägten die Ziegeleien zum Wechsel vom 19. ins 20. Jahrhundert das Wirtschaftsleben der Hufeisengemeinde. 1840 wurde das erste Unternehmen gegründet, das sich der industriellen Herstellung von Backsteinen aus dem Ton der Rheinauen verschrieben hatten. Durch ständige Verbesserungen in der Herstellungstechnik von Backsteinen war aus dem traditionellen Handwerk im Laufe des 19. Jahrhunderts eine industrielle Produktion entstanden.
Bauboom sorgt für Nachfrage
Befördert durch die Nachfrage des stetig wachsenden Mannheims gab es 1890 bereits sieben Ziegeleien in der Hufeisengemeinde. Da war die Ziegelei J. Vorlaufer, die auf dem Areal der heutigen Anglerseen bei Rohrhof stand. Bereits 1882 wurde die einst moderne Ringofenanlage von Josef Eder gebaut, die später von seinem Sohn Johann Baptist „JBE-Seppl“ Eder übernommen wurde – ihr Standort wird heute noch von den Straßennamen In der Ziegelei und Ederwinkel bezeugt.
Das Gleiche gilt für die Ziegelei von Heinrich Merkel, später Eduard Merkel rund um die heutige Straße Im Merkelgrund. Und die dortige Lettenstraße ist nicht nach den Menschen aus dem Baltikum benannt, sondern nach dem wichtigen Ausgangsmaterial für die Ziegelsteine: Lehm mit geringem Kalkgehalt wird in Fachkreisen Letten genannt.
Die Merkels hatten 1882 ihren ersten Ringofen gebaut, der immerhin schon 80 000 Backsteine fassen konnte. Aber die Modernisierung ging weiter: Eine Dampfmaschine trieb wenige Jahre später eine Backsteinpresse an. So wurde die Produktivität weiter gesteigert. Richtung Ketsch lagen die Fabrikationsstätten von Josef Triebskorn und der Gebrüder Meixner. Die Brennöfen von Michael Schäfer fanden sich am heutigen Weidweg. Und dann gab es eben die Ziegelei von Jakob Eder die später die Namen Gebrüder Eder und schließlich Badische Ziegelwerke AG trug. Sie befand sich auf dem heutigen Messplatz bis hinüber zur Bahnhofsstraße. Und es war schon eine imposante Anlage, die da ab 1884 rund um den Ringofen entstand.
Als die Schlote noch qualmten
Der Ausschnitt einer Postkarte von 1906 zeigt die wichtige Brühler Fabrikationsstätte mit den markanten beiden Schloten, die damals am östlichen Rand des Dorfes stand. Ein lang gezogener Bau mit schmucken Fassaden und großen Fenstern. Die prächtigste Seite war die in Richtung der Schwetzinger Straße. Doch so imposant, wie im Briefkopf von 1911 dargestellt, war selbst sie nicht.
Setzt man das Werksgebäude auf dieser Zeichnung mit den Häusern in der Nachbarschaft oder gar den Menschen und Fuhrwerken auf dem Betriebsgelände ins Verhältnis, dann hätte das mit zwei Reichsfahnen geschmückte Bauwerk die Größe, um die gesamte Brühler Ziegelproduktion locker allein stemmen zu können.
Die sieben im Ort vorhandenen Ziegeleien produzierten am Vorabend des Ersten Weltkriegs nämlich zusammen 25 Millionen Steine jährlich. Die Gemeinde hatte damit den höchsten Ausstoß aller Ziegeleistandorte im gesamten Großherzogtum Baden zu verzeichnen.
Aber zurück zum 110 Jahre alten Fundstück. Wenn man sich den Briefkopf genau anschaut, dann entdeckt man im unteren linken Eck eine weitere kleine Zeichnung. Sie zeigt die Villa Meixner mit ihrem typischen Zwiebeltürmchen. Das Jugendstilgebäude stammt von 1899 und wurde vom damaligen Bürgermeister Albert Eder errichtet, aber bereits 1906 an die Familie Meixner verkauft. Damit ziert den Briefkopf der Badischen Ziegelwerke von 1911 das Wohnhaus eines direkten Konkurrenten – kurios.
1956 kaufte die Gemeinde die Villa und nutzte sie fortan als Wohnhaus für finanzschwache Bürger. Nach sorgfältigen Renovierungsarbeiten ist die Villa Meixner seit 1988 ein Repräsentationsort der Kommune für Trauungen und Empfänge sowie ein Kulturzentrum.
Messplatz statt Fabrik
Zurück zur Fabrik. 1920 wurde der Betrieb in den florierenden Badischen Ziegelwerken in der Schwetzinger Straße eingestellt – es wurden von den Behörden schlicht keine Konzessionen mehr für die weitere Produktion ausgestellt. Bei der Auflösung der Fabrik wurde von den Gesellschaftern der Gemeinde das gesamte Areal kostenlos übergeben – allerdings musste die Kommune für Abriss und Einebnung sorgen.
Doch die Ziegelherstellung in Brühl lief noch weiter – wenn auch nur an zwei Standorten. Aber durch die modernen Werkstoffe wurden die Backsteine als Baumaterial immer mehr verdrängt.
Ab den 1920er Jahren arbeiteten nur noch die beiden Ziegeleien Merkel und Eder. Beide ereilte schließlich dasselbe Schicksal. 1968 brannte die Ziegelei Merkel in der Kirchenstraße ab und wurde stillgelegt. Die Gebäude wurden nach und nach abgerissen und durch eine Wohnbebauung ersetzt.
Im Betrieb Eder kam 1973 das Aus, als dort ebenfalls ein Großbrand die letzte Brühler Produktionsstätte für Backsteine zerstörte. Und so blieb wenig übrig von der einst florierenden Ziegelindustrie in Brühl. Einzig im Merkelgrund stand noch viele Jahre ein Gebäude mit einem seltenen Z-Brennofen von 1927. Doch auch das Relikt wurde 2013 abgebrochen.
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