Fundstück - Der Mechaniker der Brühler Werft, Eugen Friedrich Seiter, übersendet seine künftigen Frau Sophie Limbeck eine Grußkarte aus dem Luftschiff SL II

Brühler Liebesgrüße kommen 1914 aus luftigen Höhen

Von 
Ralf Strauch
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Brühl. In der Kommunikationstechnik war und ist Brühl immer ganz vorne mit dabei. Und das, was heute das schnelle Internet ist, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Luftpost. Getoppt wurde das nur noch von der per Schütte-Lanz-Luftschiff verteilten Grußkarte. Und genau solch eine Karte ist das Fundstück, das der Heimatverein für diese Folge unserer Serie aus den Tiefen der umfangreichen Archive ans Tageslicht befördert hat.

Über das im April 1914 als besonders modern und schick angesagte Medium schickte ein Eugen aus Berlin seiner Liebsten, dem „Fräulein Sophie Limbeck vom Gasthaus ,Zum Luftschiff“ Gruß und Kuss. Die Vorgehensweise war eher unkonventionell. Die Karte wurde geschrieben und dann – wie bei einem Luftballonwettbewerb heute – irgendwann über dem Zielgebiet abgeworfen. Und so wurde Oberleutnant Graf von Einsiedel vom Ersten Gardedragoner-Regiment aus Schwetzingen zum Postillon d’amour. Er fand die Karten und überbrachte sie dem von Eugen angeschmachteten Fräulein Sophie.

Die Freude im Gasthaus dürfte damals riesig gewesen sein. Das gibt es übrigens heute noch – nach wie vor wird dort Essen serviert, wenngleich inzwischen vom Fast-Food-Anbieter mit dem goldenen M.

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Und wer ist nun Eugen? Hatten seine Liebesbekundungen per Luftpost Erfolg? Offensichtlich ja, denn die Kirchenbücher verraten, dass Sophie kurz nach nach dem Postkartenabwurf einen Eugen Friedrich Seiter ehelichte, der damals bereits in Oftersheim wohnhaft und Mechaniker in der Luftschiffwerft in Brühl war.

Und auch über das Fräulein Sophie Limbeck weiß der Heimatverein zu berichten. „Nach Mitteilung der Brühlerin Rita Montag ist Sophie Limbeck ihre Großtante. Sie ist die Schwester von Montags Großvater Adam Limbeck. Sie führt 1914 das Gasthaus ,Zum Luftschiff’“, hat der Vorsitzende des Heimatvereins, der promovierte Historiker Volker Kronemeyer, in Erfahrung gebacht. Das Paar hat sich also in der Mittagspause des Mechanikers beim Schmausen in der Gaststätte kennengelernt.

Und die Gäste des Wirtshauses spielten auch bei der Trauung eine wichtige Rolle. So ist in den Annalen zu lesen, das Sophie, die Tochter des Damian Limbeck und der Susanna geborene Schreiner aus Ketsch an Heiligabend 1914 in einer Kriegstrauung mit ihrem Eugen vermählt wurde. Eine Kriegstrauung war damals eine Form der Eheschließung zwischen einer Frau und einem Soldaten in einem stark vereinfachten Verfahren, das ohne Aufwand innerhalb kürzester Zeit durchgeführt werden konnte. So konnte zum Beispiel auf das Aufgebot verzichtet oder eine Ferntrauung vollzogen werden. Doch das junge Paar hatte zwei Trauzeugen. Das waren Franz Limbeck, Fabrikarbeiter, und Georg Seither, Schlosser, beide stammten, so bezeugt es der damalige Pfarrer Roth, aus der Hufeisengemeinde, aus dem Ort. Die damalig Brautkrone von Sophie Limbeck befindet sich übrigens inzwischen in der Sammlung des Heimatvereins und zieht im „Rheingold“-Museum in der Kirchenstraße immer wieder begeisterte Blicke auf sich.

Eugen Seiter war bereits 1914 eingezogen und wurde etwa eineinhalb Jahre später „demobilisiert“, wie es so schön hieß. Er war wohl wegen der wichtigen Verwendung im Luftschiffbau aus dem Heer entlassen worden.

Und über Eugen gibt es eine weitere Anekdote zu berichten. So existiert noch dessen erster handgeschriebener Führerschein, auf dem ausdrücklich vermerkt ist, dass Eugen als Fahrer eine Motorkraftwagens innerorts kein Pferdefuhrwerk überholen darf.

Abgeworfen wurde die alles auslösende Karte vom Luftschiff SL II. Das war zum Zeitpunkt der Postkartensendung gerade einmal zwei Monate im Dienst und sollte eine Zukunft haben, die nicht mehr im Zeichen der Liebe stand. Es unternahm im August 1914 zwei Aufklärungsfahrten für Österreich im Rahmen der Operationen in Galizien im Raum Chelm, Lublin und Krasnik. Später war es an vier Angriffsfahrten mit der Bombardierung von Nancy, Compiègne und London beteiligt. 1916 ist es bei Luckenwalde gestrandet.

Redaktion

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