Brühl. Pulshochtreibende Wow-Effekte wechseln sich mit Herzschlag-Gänsehaut-Momenten ab. Raunen unterbricht ab und an die ehrfürchtige Stille. Die bildgewaltigen Impressionen, die Hans Kammerlander (67) am Dienstag in die Festhalle nach Brühl mitgebracht hat, sind derart faszinierend, dass die Augen gebannt 80 Minuten lang auf der Leinwand haften bleiben. Die Symbiose mit trefflicher musikalischer Untermalung und der meditativen Erzählstimme des Extrembergsteigers lässt Gefühle Achterbahn fahren. Mit seiner sympathischen Südtiroler Sprachfärbung nimmt Kammerlander das Publikum im ausverkauften Saal mit auf die höchsten Berge der Welt und lässt es an seinem bewegten Leben teilhaben.
Die Multivisionsshow „Manaslu – Der Geisterberg“ ist neben dem Kinofilm „Manaslu – Berg der Seelen“ (2018) mit Abstand der persönlichste Seelenstriptease der Berglegende. Es scheint fast so, als möchte er einmal mehr Erinnerungen teilen, die kaum ein anderer erlebt hat, und vor allem gute Freunde ins Gedächtnis zurückrufen, die nicht mehr da sind, die die Berge bei sich behalten haben.
Hans Kammerlander in Brühl über nie mehr erreichte Expeditionen
Hans Kammerlander hat sein Leben den Bergen verschrieben, auf den Gipfeln feierte er große Triumphe genauso wie schmerzliche Verluste und Tragödien, die für weit mehr als ein Menschenleben reichen. Ja, er ist einer der Grenzgänger, für die es nicht höher und steiler, wilder und abgefahrener sein kann. Einer, der Grenzen verschoben hat und damit Geschichte schrieb.
Aufgewachsen im Südtiroler Tauferer Ahrntal als Sohn von armen Bergbauern werden Disziplin, Willensstärke und Ausdauer zu Eigenschaften, die ihn ein Leben lang begleiten – und die ihn am Leben gehalten haben. Denn das, so wird in der Multivisionsshow mehr als einmal deutlich, hing wirklich zuhauf am seidenen Faden. „Wenn ich damals eine Fliege schluckt hätte, wäre mehr Hirn in meinem Bauch gewesen als in meinem Kopf“, sorgt der schmächtige Superstar unter den Alpinisten für Lacher, als er von „kriminellen Kletteraktionen“ im jüngeren Alter erzählt, die auch heute unvorstellbar sind – etwa allein die Steilwand der Drei Zinnen in Südtirol hochzukraxeln.
Doch jene brachten ihm den Anruf von seinem Idol Reinhold Messner (80) ein, der Kammerlander für eine seiner extremen Expeditionen gewinnen wollte – dies war der Start einer unbeschreiblichen und einzigartigen Karriere. Messner öffnete Kammerlander 1982 mit einer gemeinsamen Expedition zur ersten Durchsteigung der Cho-Oyu-Südwestwand (8188 Meter, Nepal) den Weg zu den ganz hohen Bergen der Welt (Kammerlander: „Da habe ich mich so geplagt, da war mir klar: Das mache ich nie wieder. Von wegen . . .“).
Bei Anblick fast übergeben: Hans Kammerlander über steile Abhänge
Ein Jahr danach schafften beide Berglegenden etwas, das bis heute nicht wiederholt wurde: Sie überschritten an einem Stück – ohne die sogenannte Todeszone zu verlassen – die Achttausender den Gasherbrum II und den Gasherbrum I (Pakistan). Die Fotos, die Kammerlander dazu zeigt, sind atemberaubende Dokumentationen. „Ich habe damals gespürt, welche Erfahrung er hat“, erzählt Kammerlander bewundernd über Messner und sorgt gleich wieder für Lacher, als er in Anbetracht der steilen Abhänge des Grates auf 7000/8000 Metern zwischen den Gasherbrum-Gipfeln gesteht: „Bei dem Anblick musste ich fast kotzen.“
Dass diese Impressionen in Brühl zu sehen sind, ist wirklich erstklassig. Immerhin füllt Kammerlander mit seinen Vorträgen riesige Hallen in Großstädten, demnächst sogar an zwei Abenden in Folge in Dresden. Der Brühler Amtsleiter im Rathaus und Kammerlander-Freund Jochen Ungerer sorgte dafür, dass der Alpinist zum dritten Mal in der Kurpfalz gastierte, dieses Mal unter der Regie der Bücherei. Übrigens: Mit Messner hatte Kammerlander bei der Gasherbrum-Expedition auch ein Erlebnis, bei dem sein Leben am dünnen Bergsteigerseil hing: Beide gingen in einer Seilschaft, Messner hinter Kammerlander. „Er lief viel zu dicht auf, das Seil war nicht straff genug.“ Dann passierte es: Kammerlander fiel in eine Gletscherspalte. Ein Schreckmoment, der durch die Bilder im Publikum direkt ankam. Mit Mühe kletterte Kammerlander aus der Spalte.
Diese Erlebnisse sind jedoch eher Garnitur zum eigentlichen Thema der Multivisionsshow: dem Manaslu (8163 Meter). Kein anderer Berg hat Hans Kammerlander so sehr beschäftigt, bewegt und aufgewühlt. Es ist einer, wie er sagt, der leichteren 8000er und dennoch hat er nie seinen Gipfel erreicht. Der Manaslu sei allein schon durch die Witterungsbedingungen eine Diva. Das Jahr 1991 hat sich dabei besonders in sein Gedächtnis eingebrannt. Er organisierte mit Freunden eine Expedition zum Manaslu – und zwei blieben am Berg zurück: Karl Großrubatscher stürzte ab und Friedl Mutschlechner wurde vom Blitz erschlagen. Erstmals überhaupt zeigt Kammerlander Fotografien der Leichen beziehungsweise Nachstellungen aus dem Manaslu-Film, ohne dabei pietätlos zu werden. Es sind Eindrücke, die unter die Haut gehen.
Bergsteiger Kammerländer in Brühl: „Hätte früher zurückkehren sollen“
Ja, die Natur ist brutal, sie regiert die Welt, lenkt den Menschen. Mit jeder Sequenz des Vortrags wird deutlich, welches Glück Kammerlander in seinem Leben hatte, gerade an seinem Schicksalsberg. Und wie viele Schmerzen er auch seelisch erleiden musste, da immer wieder gute Freunde nicht vom Berg zurückkamen. Der Manaslu verschonte ihn, auch wenn Kammerlander lange brauchte, um nach der Tragödie wieder zu seiner Leidenschaft zurückzufinden („Die Berge waren danach meine Feinde“).
Als er 2017 für die Dreharbeiten an den Manaslu zurückkehrte, schien er seinen Frieden mit dem Berg zu machen. Zum Abschluss des Vortags wird Hans Kammerlander eingeblendet, wie er eine Kerze im Biwak am Manaslu entzündet, unweit der Stelle, wo sein Freund Mutschlechner verstarb. Aus dem Zelt tönt „Wia die Zeit vergeht“ von Hubert von Goisern. Bewegender geht’s nicht. „Ich hätte früher zurückkehren sollen“, sagt Kammerlander dann. Doch die Zeit und das Geschehene lassen sich eben nicht zurückdrehen. Deshalb habe auch er dann nur noch nach vorne geschaut.
Wer Hans Kammerlander erlebt, seine positive Einstellung zum Leben und die Ruhe, die er stets ausstrahlt, lassen nur erahnen, welche Steine auf dem Herzen dieser Mann seit Jahrzehnten herumschleppt. Doch seine Leidenschaft für die Berge war und ist ungebrochen. Und von dieser Leidenschaft erzählt er gern und teilt sie noch auf ganz andere Weise: Er engagiert sich für die Nepalhilfe und lädt vor und nach dem Vortrag sowie in der Pause ein, mit ihm zu plaudern, hat seine Bücher dabei (aktuell „K2“) und eigene Basteleien mit Erinnerungsstücken von seinen Touren. So erwirbt Jochen Ungerer ein Steigeisen, mit dem Kammerlander 1990 auf dem Nanga Parbat (8125 Meter) war – ein Unikat! Alle Erlöse fließen an Kammerlanders Projekte in Nepal („Meine zweite Heimat“). Und wenn er dort die lachenden Kinder erlebt, „ist mir das mehr Wert als die Besteigungen der Achttausender“.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/bruehl_artikel,-bruehl-hans-kammerlander-in-bruehl-bergsteiger-vollzieht-seelenstriptease-_arid,2261187.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.kammerlander.com/
[2] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/bruehl.html