Brühl. Es ging im Brühler Gemeinderat zu, wie bei den alten Radio-Eriwan-Witzen: „Im Prinzip ja, aber ...“ Beim Lärmschutz zwischen der Mannheimer Landstraße und der Normannenstraße wird zwar von der überwiegenden Mehrheit anerkannt, dass er in Sachen Standsicherheit – wie seit Januar 2022 festgestellt – nicht mehr optimale Werte aufweist (wir berichteten), doch die Konsequenzen daraus werden durchaus facettenreich gesehen. Auch wenn eine überdeutliche Mehrheit letztlich dafür stimmte, die Planungsleistungen für eine Überarbeitung der bisherigen Wall-Wand-Kombination zu beauftragen, so sorgten die dafür angesetzten 183.000 Euro für mehr als nur ein Stirnrunzeln. „Ich stimme zu, aber mit der geballten Faust in der Tasche“, meinte beispielsweise Hans Zelt (SPD). Zuvor hatte eine Diskussion über das Warum, Schuldfragen, Zuständigkeiten und Alternativen die Wogen hoch schlagen lassen.
Ein Blick zurück in die Zeit vor etwas mehr als 20 Jahren: Damals trennte zunächst ein Wall aus Erde in einer Betonwanne – schon damals wurde in diesem kommunalen Bauwerk Mängel festgestellt – die Wohnbebauung von der Mannheimer Landstraße und dem auf der anderen Seite damals geplanten Industriegebiet auf dem Schütte-Lanz-Areal. Dann wurde die Kreisstraße K4143 aus dem Ort herausgenommen und auf einer neuen Trasse – der Mannheimer Landstraße – gebaut. Der Planfeststellungsbeschluss machte allerdings einen erhöhten Lärmschutz für die Anwohner in der Normannenstraße notwendig: Auf den Wall wurde daher zusätzliche eine Wand installiert, um eine Gesamthöhe von drei Metern zu erhalten. Damals übrigens gegen den Willen einer Brühler Bürgerinitiative, die den Ausbau der Mannheimer Landstraße zur Kreisstraße 4143 nicht wollte.
Umkippen der Wand wird nicht ausgeschlossen
Bürgermeister Dr. Ralf Göck führte in seiner Vorstellung des Tagesordnungspunktes in der Ratssitzung aus, dass das Bauwerk auf Dauer nicht mehr standsicher sei und ein sogenanntes Spontanversagen, also ein Abrutschen oder Umkippen, „nicht ganz auszuschließen ist, auch wenn es sehr, sehr unwahrscheinlich ist“. Die Gemeindeverwaltung habe sich deshalb mit den zuständigen Stellen im Rhein-Neckar-Kreis dahingehend geeinigt, dass die Kosten für den Abriss der bestehenden Anlage aus der Lärmschutzwand des Kreises und des darunter befindlichen Walls der Gemeinde sowie eine neue Anlage hälftig von beiden Partnern übernommen werden solle.
Gerhard Zirnstein (CDU) stellte mit Blick auf die Chronik des Projektes fest, dass Lärmschutz schon seit Jahrzehnten eingroßes Thema sei, nicht zuletzt, weil ständiger Lärm die Gesundheit der Bürger gefährde – im vorliegenden Fall habe das dem angedachten Gewerbegebiet gegenüber gegolten. Ob schon bei der Erhöhung durch die Lärmschutzwand klar gewesen sei, dass der Betontrog als Unterbau nicht den Anforderungen genüge, lasse sich inzwischen nicht mehr beurteilen.
Ist die Brühler Schutzmaßnahme noch notwendig?
Doch die Gefahr eines Umstürzens der Wand werfe nun die Frage auf, ob eine solche Lärmschutzmaßnahme überhaupt noch nötig sei, nachdem im Schütte-Lanz-Areal in diesem Bereich statt lärmintensiver Industrie nunmehr Seniorenheime und Wohnbebauung das Bild prägen. Doch ein Gutachten habe inzwischen gezeigt, dass gemäß des Lärmaktionsplans der Kommune dringend geraten werde, die Lärmschutzvorrichtung auch künftig vorzuhalten und den Durchgangsverkehr auf der Kreisstraße auf Tempo 30 zu drosseln, um die Grenzwerte des Bundes-Immissionsschutzgesetzes einzuhalten, so Zirnstein.
„Wir sehen es als unsere Pflicht an, unsere Bürger vor möglichen gesundheitlichen Schäden zu schützen, wo es möglich ist“, unterstrich Zirnstein, auch wenn es die Kommune eine halbe Millionen Euro koste. Allerdings herrsche darüber keine einheitliche Meinung in der Fraktion, wie sich später noch zeigen sollte.
Neuer kombinierter Rad- und Fußweg möglich
Für die SPD begrüßte Hendrik Sessler die Möglichkeit, dass durch den Abriss der „auf jeden Fall baufälligen“ Anlage und die Neuerrichtung einer schmaleren Lärmschutzwand ein breiterer Rad- und Fußweg in der Normannenstraße installiert werden könne. Sein Fraktionskollege Hans Zelt sah die Gemeinde aber nicht in der Pflicht, die Kosten für die Sanierung zu tragen, weil diese Maßnahme Bauherrensache sei, also vom Kreis, getragen werden müsste, zumal der ursprüngliche Fehler nicht von der Gemeinde gemacht worden sei. Allerdings, und das unterstrich später auch Hans Hufnagel, bringe ein Streit mit dem Landratsamt nur dann etwas, wenn man bereits sei, im Notfall den Klageweg zu gehen. „Und das kostet am Ende noch mehr Geld“, so Hufnagel.
Ganz anders fiel die Aussage von Klaus Pietsch (FW) aus, der einst Vorsitzender der Bürgerinitiative war. „Aus Gründen der Sicherheit und der Gesundheit der Menschen bleibt uns notgedrungen nur die Zustimmung zur Beschlussvorlage, die uns viel Geld kosten wird. Um das noch halbwegs im Rahmen zu halten, müssen bei den weiteren Planungen alle Möglichkeiten zur Kostenreduzierung geprüft werden“, stellte Pietsch fest. Doch er hatte zuvor einige kritische Anmerkungen vorzubringen. Die Erneuerung werde aus seiner Sicht eigentlich nur deshalb notwendig, weil das bestehende Bauwerk bei bestimmten Witterungslagen nicht mehr standsicher sei – diese Aussage mache sehr besorgt. Der Schutz der Bevölkerung müsse die höchste Priorität haben. „Insofern halten wir eine Ablaufplanung zur Warnung der Bevölkerung und Sperrung der Straße für den Fall entsprechender Wetter- beziehungsweise Windverhältnisse für zwingend geboten“, forderte Pietsch eine Übergangslösung.
Fast 1,3 Millionen Euro an Sanierungskosten
Angesichts der fast 1,3 Millionen Euro Baukosten für die Erneuerung der Lärmschutzmaßnahme, die ohne zwingenden Grund hälftig auf die Kommune übertragen werde, stelle sich für die Freien Wähler aber die Frage, warum die Gemeinde überhaupt Kosten für diese Maßnahme an einer Kreisstraße übernehmen müsse. Laut Vorlage befinden sich der Betontrog und Erdwall im Eigentum der Gemeinde und die müsse dementsprechend auch für die Unterhaltung aufkommen. „Das ist doch als zumindest ungewöhnlich zu bezeichnen.“
Nach Aktenlage sei der nun für die Erneuerung ursächliche Schaden an dem Betontrog bereits vor dem Bau der Lärmschutzwand bekannt gewesen. Trotzdem habe die Kreisbehörde die Lärmschutzwand oben drauf aufgebaut. „Das Landratsamt hat nach unserem Kenntnisstand auf diesen Umstand hingewiesen und wohl festgestellt, dass dann auftretende Schäden in der Zukunft auf Kosten der Gemeinde beseitigt werden müssen“, erinnerte Pietsch. Aber kein Bauherr würde sein Haus auf ein marodes Fundament setzen und sich 20 Jahre später wundern, dass plötzlich Probleme auftreten. „Nun entstehen uns in einer wirtschaftlich schwierigen Gesamtsituation erhebliche Folgekosten, die aus heutiger Sicht durchaus vermeidbar gewesen wären“, urteilte Pietsch.
Dringenden Handlungsbedarf angemahnt
„Die Wand könnte auf Dauer bei ungünstiger Witterung jederzeit umkippen, deshalb besteht trotz knapper Haushaltslage dringender Handlungsbedarf, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer und Anwohner schnellstmöglich zu gewährleisten“, stellte Tino Dobrotka (AfD) fest. Er schloss sich der Einschätzung der Freien Wähler an, den Bau eines separaten Fuß- und Gehwegs genau zu überdenken. „Aus unserer Sicht ist die vorhandene Situation ausreichend“, so der AfD-Mann. Sein Fraktionskollege Ralf Jochen Meyer ergänzte, er würde gern wissen, warum das Landratsamt die Lärmschutzwand vor 20 Jahren installiert habe, obwohl die Standsicherheit des Dammes darunter schon da angezweifelt worden war.
Seitens der GLB stellte Peter Frank fest, dass der Kreis eigentlich mehr als die angebotenen 50 Prozent der Gesamtkosten für die Erneuerung des notwendige Bauwerks übernehmen müsse. Wegen der irritierenden Aussage, dass die Wand einstürzen könne, solle die Gemeinde auf jeden juristisch Fall prüfen lassen, wo welche Verantwortung liege, „ansonsten gehen wir da in ein Risiko ein“. Die Notwendigkeit der Lärmschutzwand stehe für ihn aber außer Frage.
Eine Hecke als Alternative?
Wolfram Gothe (CDU) sah die Sachlage ganz anders. „Ich sehe hier nur eine minimale Verschiebung der Betonwanne – im Millimeterbereich“, urteilte er, „da wird meiner Meinung nach wieder mit Kanonen auf Spatzen geschossen“. Er sei der Meinung, da man kein Geld in der Gemeindekasse habe, sollte man vorerst mal gar nichts machen, sondern sukzessive „das ganze Teil zurückbauen“ und „wenn man Lust und Laune hat, dann eine Hecke als Lärmschutzmaßnahme pflanzen“. Die beiden Altersheime gegenüber seien schließlich auch nicht durch eine Lärmschutzwand geschützt. Eine Meinung, der sich auch Meyer anschloss.
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Bürgermeister Dr. Ralf Göck ging noch einmal auf die Entstehungsgeschichte der bestehenden Lärmschutzwand zurück. Damals sei im Planfeststellungsverfahren festgeschrieben worden, dass der Lärmschutzwall aus den 1980er Jahren aufgerüstet werden müsse. Hätte man damals schon den Betontrog entfernt und komplett durch eine Lärmschutzwand ersetzt, wäre der damalige Planungsstand wieder angreifbar gewesen. „So ist es wahrscheinlich zu dieser Lösung gekommen“, meinte der Rathauschef, „die Kreisstraße, über die man heute sehr froh ist, dass man sie hat, wäre ansonsten über weitere Jahre verzögert worden“.
Entsprechender Lärmschutz ist festgeschrieben
Ein Abreißen der bestehenden Lärmschutzmaßnahme ohne einen Ersatz komme nicht in Frage, erklärte Göck, denn im Unterschied zu den Seniorenheimen hätten die Häuser in der Normannenstraße dort schon vorher gestanden. Zudem gelten für die reinen Wohngebiete, anders als für die Mischgebiete in denen die Seniorenanlagen stehen, andere Grenzwerte. Ferner seien bei diesen Anlagen passive Lärmschutzmaßnahmen wie Schallschutzfenster verbaut worden, mit denen man aber im reinen Wohngebiet die Vorgaben nicht einhalten könne.
„Das ist alles nicht so einfach“, leitete Göck zur Abstimmung über, bei der bis auf die beiden CDU-Räte Gothe und Anne Fonje alle Ratsmitglieder für die Vergabe der Planungsleistungen stimmten – alle anderen Entscheidungen stünden erst später an.
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