Brühl/Ketsch. So mancher schüttelt etwas verwundert den Kopf. Wieso wurde zwischen Brühl und Ketsch eine Eisenbahnbrücke wiedereröffnet? Wo sind die Schienen, wo die Züge? Die Eisenbahnbrücke ist das letzte Relikt dieses Teils der Verkehrsgeschichte, denn es ist bereits 55 Jahre her, dass der letzte Zug über diese Brücke fuhr – es war ein Zug mit Trauerflor, denn er beendete 1966 das Kapitel der Eisenbahn-Nebenstrecke von Ketsch über Brühl nach Rheinau.
Im Februar 1901 beauftragte die Gemeinde den Brühler Landtagsabgeordneten Johann Baptist Eder, den alle nur J.B. nannten, sich der Sache im Karlsruher Parlament und in den badischen Behörden anzunehmen. Der Mann ließ nicht locker – und setzte sich durch. Ende 1902 begann der Bau der eingleisigen Strecke von Rheinau nach Brühl. Zwei Jahre später wurde am damaligen Ortsrand, in der heutigen Bahnhofsstraße, der Bahnhof gebaut. Mitte 1905 waren alle Bauarbeiten abgeschlossen. Am 30. September wurde die Strecke mit einem Sonderzug für Honoratioren und die interessierte Bevölkerung eingeweiht.
Auf der Erfolgswelle
Dieser Erfolg der Vorreitergemeinde weckte auch das Interesse umliegender Kommunen. Drei Jahre nach der Brühler Gleisfreigabe wollte auch Ketsch an diesen Schienenstrang angeschlossen werden – ein Wunsch, der vier Jahre später, also 1912, erfüllt wurde. Doch der Wunsch der Ketscher nach diesem Anschluss war damals schon viel älter. Bereits 1896 stimmte der Rat der Enderlegemeinde einem Bahnanschluss über Brühl nach Rheinau zu.
Als es dann endlich so weit war und der Bahnanschluss auch von den zuständigen Behörden des Großherzogtums Baden genehmigt war, wurde der Bau der eingleisigen Linie begonnen. Und dazu musste an der Ortsgrenze zu Brühl, dem Bett des Leimbachs, die Brücke gebaut werden. Von hier aus fuhr das Bähnel, wie es liebevoll genannt wurde, über den heutigen Eisenbahnweg entlang der Friedensstraße bis zur Bahnhofsstraße. Von da aus ging es dann zum Haltepunkt bei der Schütte-Lanz-Luftschiffwerft im Norden der Hufeisengemeinde.
Aus dieser Zeit stammt übrigens das geflügelte Wort von „Ketsch-Brühl-Antwerpen“, denn das ist nichts anderes als die Verballhornung einer Aufzählung der Haltepunkte „Ketsch-Brühl-An den Werften“. Der letztgenannte befand sich eben an der Luftschiffwerft. Täglich pendelten die Züge – selbst in den Kriegsjahren ging es zwischen Stadt und Land hin und her.
Die auf der Strecke verkehrenden Personenzüge waren ausschließlich mit Waggons der dritten Klasse ausgestattet, nach der Klassenreform 1954 entsprach das der zweiten. Im letzten Friedensfahrplan vor dem Weltkrieg pendelte die Bahn täglich zwölfmal zwischen den Endpunkten. Das war auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein Jahrzehnt lang der Fall. Doch Mitte der 1950er Jahre reduzierte sich das Verkehrsaufkommen auf fünf sogenannte Zugpaare. Der Personennahverkehr wurde immer stärker auf Omnibusse verlagert. Die Strecke wurde schlichtweg immer unrentabler für die Bahn.
Die ersten Gerüchte einer Stilllegung der Bahnstrecke waren bereits 1950 aufgekommen. Nur noch 800 Menschen nutzten die Bahnlinie damals – das war zu dieser Zeit im öffentlichen Personennahverkehr tatsächlich ein niedriger Wert. Auch der Güterverkehr auf der Strecke nahm deutlich ab.
Der Anfang vom Ende
So wurde 1957 von der Bahn eine Rentabilitätsstudie in Auftrag gegeben. Das Urteil war verheerend, denn erstmals sprach man nun auch offiziell von einer Stilllegung. Doch die Proteste aus den beiden Rheingemeinden zeigten Wirkung, wenngleich 1962 der Haltepunkt bei Schütte-Lanz aufgehoben wurde. Es wurde ein Rationalisierungsprogramm beschlossen, um die Linie am Leben zu halten.
Doch auch wenn im Sommer 1963 der Betrieb der Personenzüge von Dampflokomotiven auf die modernen Dieselloks umgestellt wurde, waren die Würfel letztlich schon gefallen. Die Strecke war tatsächlich unrentabel geworden. Somit verließ der letzte Zug den Brühler Bahnhof im September 1966. Bereits zwei Jahre später verschwand der Schienenstrang und auch die beiden Bahnhöfe fielen in den Folgejahren der Spitzhacke zum Opfer.
Doch die unscheinbare Eisenbahnbrücke über den Leimbach – genau an der Gemarkungsgrenze der Gemeinden – blieb erhalten und erinnerte an die Bahngeschichte der beiden Orte. Seit diesem Jahr erstrahlt sie nun in neuem Glanz, obwohl das nicht ganz richtig ist, denn das Relikt der Bahngeschichte wurde aus Gründen der Verkehrssicherheit fast komplett durch neue Bauteile ersetzt.
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