Hockenheim. Für jüngere Generationen ist es kaum vorstellbar: die Stadt ohne Kulturangebot. Keine Stadthalle, kein Pumpwerk, keine großen Konzerte auf dem Hockenheimring – Chorgesang und Blasmusik dominieren das Angebot. Das war die Situation, an der ein Initiativkreis vor 45 Jahren etwas verändern wollte. Am 27. und 28. August 1977 organisierten politisch und kulturell interessierte junge Menschen das erste Hockenheimer Waldfestival im alten Fahrerlager. Dabei ging es ihnen um mehr als ein reines Musikerlebnis, erinnern sich mit Hugo Fuchs und Adolf Härdle zwei der Initiatoren.
„Es war im Prinzip eine Präsentation alternativer Kultur“, sagt Hugo Fuchs. Eine offene Jugendarbeit gab es zu dieser Zeit nicht in Hockenheim, wohl aber einen Arbeitskreis Jugendzentrum, der eine solche etablieren wollte inklusive eines festen Treffpunkts. Der AKJZ veranstaltete in der alten Mühle und in der Gaststätte „Zur Rose“ in der Ottostraße – beides längst aus dem Stadtbild verschwunden – ab und zu kleinere Konzerte.
Der Arbeitskreis Jugendzentrum war eine Teilorganisation der Waldfestival-Initiative. Wie auf dem orangefarbenen, schlicht gehaltenen Plakat zur Premiere vermerkt ist, zählten die Jungsozialisten, Jungdemokraten sowie die Schülermitverantwortung des „KFG-Gymnasiums“ zum Veranstalterkreis. Neben Härdle und Fuchs waren unter anderem auch Roland Schmitt, Hans Johnsen, Michael Vollendorff und Werner Burkhardt beteiligt.
Erste Besetzungen ungeklärt
„Es spielen verschiedene Rock-, Jazz- und Folk-Bands“, lautete die schlichte Ankündigung, ohne Namen zu nennen. Was sich im Nachhinein als Erschwernis für den Chronisten erweist, denn selbst die Gründer können sich nicht mehr daran erinnern, wer bei der Premiere auf der Bühne stand. Hugo Fuchs vermutet, dass er mit seiner Band dabei war. Ein Gang ins Stadtarchiv hat Adolf Härdle in dieser Frage nicht weitergebracht, denn dort werden zum Hockenheimer Waldfestival erst ab 1980 Archivalien geführt.
Fest steht indes, dass der Eintritt frei war – und es in allen weiteren Festivalausgaben blieb, die bis 2009 stattfanden. Kultur „fer umme“ war von Anfang an das Credo. Mit der alten Waldfesthalle hatte der Initiativkreis, der sich als Verein gründete und 1981 ins Vereinsregister eingetragen wurde, einen idealen, weil wetterunabhängigen Standort. Die Stadtverwaltung habe bei der Vergabe mitgespielt, auch wenn sie sich mit Unterstützung finanzieller Art, etwa zur Risikoabsicherung durch eine Ausfallbürgschaft, schwertat.
„Wir haben aber immer darauf geachtet, dass wir von niemand abhängig sind und uns niemand reinredet“, unterstreicht Hugo Fuchs. Mit dem Publikumszuspruch, den das Waldfestival von Anfang an hatte, waren die Veranstalter auch nie auf Förderung angewiesen. Vom konservativen Gemeinderat kritisch beäugt, waren die Initiatoren besonders in den Anfangsjahren erleichtert, dass es stets friedlich zuging beim links angehauchten Festival. „Wir haben nie die Polizei auf dem Gelände gehabt“, blickt Hugo Fuchs zurück.
Anfangs keine Gagen bezahlt
Die Kosten wurden dadurch niedrig gehalten, dass die Bands – zumindest in den ersten Jahren – alle aus der Region kamen und nur gegen freie Kost und eventuell Auslagenerstattung auftraten. „Es war immer voll, und das, obwohl es kaum Medien gab, um das Event weit über die Stadtgrenzen hinaus publik zu machen“, blickt Hugo Fuchs zurück. Mit seiner damaligen Band hatte er im großzügigen Anwesen der alten Mühle zwischen 150 und 300 Zuhörer gehabt, beim Waldfestival waren es bis zu 4000.
Nachdem sich die Veranstaltung etabliert hatte, wurde das Konzept erweitert – natürlich nicht ohne ausführliche leidenschaftliche Diskussionen um eine drohende „Kommerzialisierung“, wie es sich für diese Zeit gehörte, erinnern sich die zwei Mitgründer lächelnd. Um die Attraktivität und den Einzugskreis zu erhöhen, wurden Topacts engagiert, denen Gagen gezahlt wurden. Den Anfang machte 1980 bei der vierten Ausgabe die Band „Anyone’s Daughter“ aus der deutschen Progressive-Rock-Szene. Der Erfolg gab der Neuerung recht.
„Wir hatten zwar größere finanzielle Verpflichtungen, aber die Einnahmen über den Verkauf von Getränken und Speisen stiegen ebenfalls“, schildert Hugo Fuchs. In der Folge wurden „mittelgroße deutsche Acts, die bezahlbar waren“, engagiert, formuliert er und nennt Edo Zanki, der im Grunde aus der Region kam, als Beispiel.
Die politisch-gesellschaftliche Komponente des Waldfestivals wurde ab 1980 dadurch untermauert, dass die Veranstaltung unter ein Motto gestellt wurde. Beim ersten Mal lautete es „Wald statt Asphalt“, nicht klar ist, ob der Rekordbesuch von 4000 Gästen deswegen erzielt wurde. Weiter ging es 1981 mit „Frieden schaffen ohne Waffen“, 1982 „Gemeinsam gegen Ausländerfeindlichkeit“ und 1983 mit „Rock gegen den Rüstungswahn“. Teilweise wurde das Musikprogramm durch eine Kundgebung vor der evangelischen Kirche und durch Podiumsdiskussionen ergänzt. Überschüsse, die der Verein erwirtschaftete, wurden an Organisationen wie Frauenhäuser, den Kinderschutzbund oder Startbahn-West-Gegner gespendet.
Ab 1985 wurden die Titel allgemeiner und unverfänglicher: „Umsonst und draußen“ 1985 und „Programm mit hohem Niveau“ 1986 – der Zeitgeist hatte sich gewandelt und auch der Organisationskreis. Im Jahr 1984 fiel das Hockenheimer Waldfestival komplett aus – wegen „massiver personeller Engpässe“, lautete die Begründung. Der Initiativkreis stellte außerdem eine „Sättigung und ein verstärkt passives Konsumentenverhalten“ bei der Vielzahl der Besucher fest.
Über viele Jahre feste Institution
Doch es ging weiter, Gäste waren unter anderem die „Frankfurt City Blues Band“ (1986), „Straßenjungs“ (1990), „Dazz Force“, „4 Reeves“ (1995), „Frogs“ (2001). Bei der letzten Ausgabe 2009 waren „Amokoma“ die Headliner, Oliver Rosenbergers Band hatte bereits über 20 Jahre vorher für Stimmung gesorgt. Parallel dazu wurden Pumpwerk (1983) und Stadthalle (1991) eröffnet, später das Jugendzentrum am Aquadrom. Das Waldfestival als kultureller Ahn und Wegbereiter bleibt unvergessen.
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