Hockenheim. Probleme damit, sich selbst durch den Kakau zu ziehen, haben diese drei sicher nicht. Als „Alte Mädchen“ zeigten in der Hockenheimer Stadthalle wortgewandt Anna Bolk, stimmgewaltig Jutta Habicht und mimikintensiv Sabine Urig, was Frau von Mann unterscheidet – optisch, im Denken und Handeln.
Popkabarett nennt sich die Art ihres Programms, das eine Mixtur aus Wortsalven, Tänzchen und teils solistisch vorgetragenen Liedern ist. Ähnlich Showgirls, aufs Wesentliche reduziert in hautfarbenen Ganzkörperanzügen mit weißen Fellappliaktionen an sinn- und weniger sinnhaften Stellen tänzelten die Damen auf die Bühnenbretter und sorgten für erste „Ahs“ im Publikum. Diese Optik war eher unerwartet, nicht jedermanns oder jederfraus Sache, aber einige Lacher wert bei der Premiere der „Alten Mädchen“ in der Region.
Best Ager bringen Hockenheimer Publikum bei, was Macht bedeutet
Alt? Best Ager, wäre der bessere Ausdruck, der die drei selbst ernannten Alphatierinnen im besten Alter charakterisiert, die zeitgleich Freundinnen sind. Nun wagen sie sich seit einigen Jahren vereint daran, der Welt – der weiblichen und männlichen – näher zu bringen, was Macht ist, denn so titelt ihr Programm.
Macht in all ihren Spielarten: die der Freundschaft, die der Toleranz, des vollen Haars, die des Miteinanders, die vermeintliche der Männer und jene, leicht perfide, die Frauen zu eigen ist. Jede für sich sind die drei Protagonistinnen Unikate, das steht fest, könnte die anderen an die Wand spielen und doch wird dem Publikum der Spiegel vorgehalten, gezeigt wie schwierig es ist, sich gegenseitig zu akzeptieren und ein Miteinander der Individualitäten zu finden.
Klappt das nicht auf Anhieb, dann hilft ein Diskussionskreis, den die Akteurinnen live performen, um zu einer Lösung zu kommen. Dies gelingt fast immer in 90 Minuten Turbulenz auf der Bühne. Diese erbringt Erkenntnisse über die Lebenszeit, die relativ ist, abhängig davon auf welcher Seite der Klotür man steht und bestimmte Slipeinlagen zu Geheimwaffen zwischen den Beinen macht.
Einzelne Zuhörer kreischen vor Lachen. Szenenapplaus gibt es immer dann, wenn die Damen den Kontakt zum Publikum suchen, etwa fragen: „Wo wollen Männer laut einer Umfrage die Brüste bei Frauen lieber haben, als dort wo die Natur sie angebracht hat?“ – unverblümt, unverschämt? Das Auditorium zieht nicht so wirklich mit bei dieser Frage, mag sich nicht offen bekennen, hört dennoch mit einigem Lachen, dass 30 Prozent der Männer den Rücken der Frau als besten Ort für die sekundären Geschlechtsmerkmale bevorzugen würde. Kopfkino. Naja.
Mädelsabend auf der Hamburger Reeperbahn trifft Hockenheimer Stadthallen-Atmosphäre
Eindeutig punktet das Trio mit den Gesangs- und Tanzeinlagen, die auch in braveren Klamotten – Herrenanzug, Joggingkluft und einem Etwas, das wie ein Monteuranzug wirkt – rüberkommen. Spitzfindige Texte aus der Feder von Anna Bolk sorgen dafür. Gehen die drei dann auf Mädelsabend aus, laut und schrill, auf die Reeperbahn versteht sich, kommen sie doch aus Hamburg, endet das damit, dass eine sich alkoholmäßig abgeschossen hat, die andere sich selbst nicht leiden kann und die dritte ins Gebüsch pinkelt. Und doch, auch im nächsten Jahr gibt’s ihn wieder: den Mädelsabend, diese temporäre Flucht in eine Welt, die schon lange nicht mehr die alltägliche ist.
Eingestreut hörte man schonmal eine Ode an die Freundschaft und lernte, dass die größte Kritikerin an Frau selbst jede für sich ist. Und tut sie es nicht, gibt es etliche andere, die sich genötigt fühlen, es zu tun. Klargestellt wird auch: Dort wo Männer Wissen googeln müssen, gehen Frauen einmal um den Block und kehren mit dem unendlichen Schwarmwissen der Bekannten, die sie dort treffen, zurück.
Während Männer sich verprügeln für die Rangordnung, umschleichen sich die Frauen und fallen hinterrücks übereinander her. Ordnung sei da Fehlanzeige, aber eine Menge fruchtbarere Neuzusammenschlüsse Programm. Applaus für den Mut. Zwei Zugaben werden eingefordert und nach zweimal 45 Minuten Programm haben die Hockenheimer Gäste sicher Gesprächsstoff mit nach Hause genommen.
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