Hockenheim. Aberglaube ist Markus Hübl fremd – schließlich ist er bei einem katholischen Träger beschäftigt. Doch wenn der Leiter des Altenheims St. Elisabeth die plötzlich abgesprungenen Fliesen in der überwiegend leer geräumten Küche oder im Lagerraum der Hauswirtschaft im Keller betrachtet, entfährt ihm ein „Das Haus wehrt sich.“ Natürlich ist auch Hübl klar, dass die abplatzende Wandverkleidung auf die Spannung durch Auskühlung des Ende 1986 eingeweihten Gebäudes und nicht auf dessen Protest gegen seinen Abriss hinweist. Der beginnt – Widerstand hin oder her – an diesem Donnerstag.
Rein hypothetisch könnte man die Empörung des fünfstöckigen Bauwerks verstehen, von dem Ende Mai nichts mehr zu sehen sein soll: Von seiner Substanz ist es alles andere als abbruchreif. Markus Hübl, der es seit 22 Jahren kennt, ist überzeugt: „Ohne die Änderung der Landesheimbauverordnung hätten wir das Haus noch 25 bis 30 Jahre nutzen können.“ Doch die Einzelzimmervorgabe bedeutete das Aus für das erste große Werk des Hockenheimer Architekten Volker Grein.
Ende Januar vom Netz gegangen
Und so dreht Markus Hübl mit uns eine seiner letzten Runden durch seine bisherige Arbeitsstätte, die er seit Januar für eine Übergangszeit mit der ehemaligen Geriatrischen Rehaklinik des Rhein-Neckar-Kreises in der Rathausstraße getauscht hat. Dorthin sind die letzten Bewohner am 15. Januar ausgezogen. Zwei Tage später holte die Umzugsfirma noch Gegenstände, die mit ins Übergangsdomizil sollten, ab – darunter Teile der Küche, die in der Rathausstraße weiter Verwendung finden.
Die Übergabe an die Abbruchfirma war für 31. Januar vereinbart, „das haben wir auch geschafft, am 27. waren wir durch“, blickt der Heimleiter zurück. Am letzten Januartag wurde das Gebäude sozusagen vom Netz genommen: Die Stadtwerke klemmten Gas, Wasser und Strom ab, die Feuerwehr die Brandmeldeanlage. Eigentlich sollte die Entkernung schon vergangene Woche beginnen, doch das klappte personell nicht.
Die Buntglasfenster aus der Kapelle im Erdgeschoss werden ausgebaut und zwischengelagert. Sie werden im Neubau als hintergrundbeleuchtete Menschen wieder Verwendung finden, ebenso wie die Orgel. „So langsam wird’s hier auch kalt“, stellt Hübl fest, der nur noch gelegentlich in den Altbau kommt, nachdem die Heizung seit zehn Tagen nicht mehr arbeitet. Und teilweise dunkel: Weil die Jalousien alle elektrisch betrieben wurden, lassen sie sich nicht mehr hochfahren – auch sein langjähriges Büro muss er mit der Smartphone-Taschenlampe besuchen.
Weiter verwendet werden auch viele Einrichtungsgegenstände – aber nicht in Hockenheim: Markus Hübl berichtet, dass die Bestuhlung der Kapelle, aber auch Tische, Stühle und mechanische Pflegebetten sowie Teile der Kücheneinrichtung an den Verein „Konvoi der Hoffnung“ gingen, der zweieinhalb vollgepackte Sattelschlepper damit nach Ungarn geschickt hat – passenderweise in ein Altenheim St. Elisabeth. „Dort leben die Bewohner noch in Feldbetten“, sagt Hübl.
Auf das Abbruchunternehmen wartet viel Arbeit: Bis der Bagger die Mauern „abknabbern“ kann, müssen Einbauschränke, letzte Sitzmöbel, Tische und Regale – mit „Sperrmüll“ beschriftet, damit sie nicht versehentlich mit in die Rathausstraße wandern – ausgebaut werden. Anspruchsvoller dürfte die Demontage der technischen Einrichtungen werden: Die Heizung im Dachgeschoss, wo auch Küchenabzug und die Lüftungsrohre ankommen, die Batterien der Notstromversorgung für die Beleuchtung oder Teile der Küchenausstattung, die noch im Original seit der Inbetriebnahme stehen, sind schwer und sperrig.
Wenn Markus Hübl durch die Flure geht, kommt schon Wehmut auf beim Gedanken daran, dass er diese Räume bald nicht mehr sehen wird: „Es kommen schon viele, viele Erinnerungen zusammen.“ Unter anderem, dass er seine Frau hier kennengelernt hat, die als Pflegedienstleiterin schon vor ihm tätig war. In einem Zimmer im vierten Obergeschoss steht der große Einbauschrank seiner Oma, den er für sie im Schweiße seines Angesichts aufgebaut hat.
Kein Abschiedsfest wegen Corona
Wie sehr ihm St. Elisabeth ans Herz gewachsen ist, zeigt sich in seinem Ärger über Kratzer im Treppenhausverputz, die beim Abtransport von Mobiliar entstanden sind – auch wenn die ganze Wand demnächst verschwindet. Ein Abschiedsfest war wegen Corona nicht möglich, die Abrissparty fiel wie so vieles dem Virus zum Opfer. Für Sentimentalität bleibt keine Zeit: Der Altbau muss pünktlich Ende Mai weg sein, der Termin für die Bohrungen für den zweiten Neubauteil stehen schon.
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