Jemanden als Dreckspatz zu bezeichnen, ihm gar ein Spatzenhirn zu unterstellen, gilt hierzulande zu Recht als Beleidigung. Viel schwerer wiegt jedoch, dass mit beiden Ausdrücken dem Haussperling, so der richtige Name des Vogels, Unrecht getan wird. Denn weder ist das Tier schmutzig, noch hat es zu wenig Hirnmasse. Im Gegenteil, der Spatz gilt als sehr gelehrig und pfiffig.
Kaum ein Vogel ist dem Menschen seit Jahrtausenden so nahe wie der Spatz. Generationen von Kindern sind hierzulande mit dem Spatz vom Wallrafplatz groß geworden, die Kulturbeflissenen schätzen die Spatzenmesse von Mozart und schon Kinder können den Vogel anhand seines typischen Getschilpe erkennen.
Wo immer der Mensch sesshaft wurde, Viehzucht und Ackerbau betrieb, war flugs der Spatz zur Stelle. Im Zuge der Völkerwanderungen hat der Spatz fast jeden Winkel der Erde besetzt. Doch nun hat er einen Bereich erobert, der ihm so gar nicht gefallen dürfte – der allgegenwärtige Vogel, um den sich kaum jemand größere Gedanken macht, hat die Liste bedrohter Tierarten besiedelt, ist hierzulande auf dem Rückzug.
Autos verdrängen Zugpferde
Der Spatz ist im Alltag so allgegenwärtig, dass man sich kaum vorstellen kann, dass er als Population auf dem Rückzug ist. Einen ersten Rückschlag hierzulande erfuhr der Vogel Anfang des vorherigen Jahrhunderts, als die Autos begannen, die Zugpferde zu verdrängen. Damit verloren die Spatzen eine ihrer Hauptnahrungsquellen, die unverdauten Haferkörner in den Pferdeäpfeln.
Überhaupt – der Spatz und das Getreide. Samen und Körner sind die Hauptnahrungsquelle der Sperlinge, nur zur Aufzucht des Nachwuchses verfüttern sie Insekten und Larven. Seine Vorliebe für Körner brachte den Spatz in früheren Jahrhunderten schon in Bedrängnis. Man unterstellt ihm, den Bauern arm zu fressen, weshalb sogar ein Preis für sie ausgesetzt wurde. Jeder Bürger musste pro Jahr 20 Spatzenköpfe abliefern, sonst war eine Strafe fällig. Zeitgenossen wetteiferten darin, hochzurechnen, welchen Schaden der Spatz jährlich an Korn und Obst anrichte, wobei ihm auch seine hohe Fruchtbarkeit negativ angerechnet wurde, das Tier galt als im „höchsten Maße unkeusch“.
Hohe Fruchtbarkeit
Weshalb im 14. Jahrhundert sein wissenschaftlicher Name „Passer domesticus“, der Haussperling, mit dem lateinischen Verb pati, leiden, in Verbindung gebracht wurde. Gemäß dem Spruch „Allzu viel ist ungesund“, wurde dem Spatz unterstellt, er heiße Passer, weil er für seine Unkeuschheit leiden müsse. Was nicht nur aus heutiger Sicht haltlos ist – die Herkunft des Namens verliert sich im Dunkel der Geschichte.
Was stimmt, ist die hohe Fruchtbarkeit der Vögel, die mit dazu führt, dass sie hervorragende Schädlingsvernichter sind. Beispielsweise will ein Ornithologe gezählt haben, wie sieben Spatzen-Brutpaare in 30 Minuten rund 700 Mücken verfüttert haben. Mengen, die man sich kaum hochrechnen kann.
Zurück zu seiner Vorliebe für Körner, die in urbanen Siedlungsgebieten immer seltener anzutreffen sind. Doch wie gesagt, der Vogel mag zwar in des Wortes Bedeutung über ein Spatzenhirn verfügen, doch nutze er dieses für beachtliche Lernerfolge, mit denen er sich neue Futterquellen erschließt. Sei es im Biergarten, wo immer etwas vom Tisch krümelt oder angesichts von Papiertüten, die durch Schütteln den einen oder anderen Brösel offenbaren. Gelernt hat er auch, dass Rolltreppenschächte in U-Bahn-Stationen führen oder er mit Flattern automatische Türen öffnen kann – überall dort hofft er auf Nahrungsquellen.
Schwieriger wird es für den Vogel auf die Veränderung seines Lebensraums zu reagieren. Mit jedem Strauch, mit jedem Gebüsch, das verschwindet, schwindet auch ein Stück Lebensraum für den Spatz. Nicht die zu Steinwüsten degenerierten Vorgärten seien das Problem des Spatzen, merkt der Biologe Uwe Heidenreich an, sondern die vielen Parkflächen, die in den Vorgärten angelegt werden.
Hinzu kommt, dass der Haussperling oder Spatz in den modernen Wohnhäusern immer weniger Ritzen und Spalten findet, die ihm Raum zum Leben bieten und dass Spatzen sehr gesellige Tiere sind, die in Kolonien leben. Und er fliegt keine weiten Strecken. Zwischen 50 und 200 Meter bewegt er sich von seinem Nest fort, weshalb er als standorttreuer Vogel bezeichnet wird. Mit anderen Worten – wenn sich eine Kolonie an einem Standort angesiedelt hat, dann bleibt sie auch dort. Was das Überleben nicht gerade einfacher macht.
Doch es gibt ein paar einfache Tricks, wie sich dem Spatz helfen lässt. Und damit dem Menschen, fügt der Biologe hinzu, denn in einer Umgebung, in der sich der Spatz wohlfühle, würden auch die Folgen des Klimawandels zurückgedrängt. Heidenreich nennt zwei grundlegende Maßnahmen, dem Spatz zu helfen: begrünte Fassaden und Gärten, bepflanzt mit einheimischen Sträuchern und Hecken.
Heimische Sträucher und Hecken
Ganz klar, begrünte Fassaden halten die Häuser kühl und lindern die Folgen der Sommerhitze. Wer die Begrünung scheut, beispielsweise weil er Angst hat vor Insekten überrannt zu werden, der kann ein Spatzenhaus installieren. Wobei die Furcht vor den Insekten nicht allzu groß sein muss, der Spatz wird sie schon wegen seiner Brut kurzhalten.
Noch besser sind Gärten mit heimischen Sträuchern und Hecken, die dem Spatz nicht nur Unterschlupf, sondern auch Nahrung verschaffen. Oder Wiesen – wohlgemerkt keine kurz geschorenen Rasenflächen, die keines Lebewesens Freund sind.
Mit anderen Worten, wenn sich der Mensch etwas zurücknimmt und im Garten der Natur mehr Rechte einräumt, dann hilft das dem cleveren Spatz. Und letztlich auch ihm, wie es beispielsweise die Stadt im HÖP-Gelände vormacht, das dem Spatz einen hervorragenden Lebensraum bietet.
Ein Lebensraum, den sich der Vogel mit Sicherheit in noch stärkerem Maße erschließen wird, je mehr sich das HÖP-Gelände entwickelt. Dann kann man mit Sicherheit wieder den Dreckspatz bewundern, wenn er sich im Sand aalt. Auch dies übrigens ein Fehlurteil. Der Spatz macht sich dabei nicht dreckig, sondern sauber: Die feinen Körnchen gelangen durch sein Gefieder und befreien ihn von Parasiten. Weshalb er eigentlich ein Sauberspatz ist. Bild: Heidenreich
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