Personalnotstand

Das sind die Probleme der Pflege in Hockenheim

Esther Kraus und Micha Böbel von der Kirchlichen Sozialstation sowie die Heimleiter Markus Hübl (St. Elisabeth), Manuela und Marina Offenloch (Pflegezentrum Offenloch) kritisieren Regelungen, die Mitarbeitende belasten und Kosten in die Höhe treiben.

Von 
Matthias Mühleisen
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Das Seniorenheim und Pflegezentrum Offenloch im Süden der Stadt. Pro Stockwerk leben 33 Pflegebedürftige innerhalb von drei Wohngruppen. © Venus

Die Lage der Pflegeeinrichtungen in Hockenheim ist angespannt. Nachdem die Frage des gesetzeskonformen Einzelzimmerangebots weitestgehend geklärt ist – ein Teil der Plätze des Altenheims St. Elisabeth entsteht noch bis 2023 im zweiten Teil des Ersatzneubaus – ist es vor allem der Personalmangel, der den Leitern der Einrichtungen Sorgen macht. Esther Kraus und Micha Böbel von der Kirchlichen Sozialstation sowie die Heimleiter Markus Hübl (St. Elisabeth), Manuela Offenloch und Marina Offenloch (Pflegezentrum Offenloch) teilen in einer Gesprächsrunde mit unserer Zeitung mit, wo sie Verbesserungsbedarf sehen, um die Pflege als Beruf attraktiver zu machen. Und was sie an einigen gesetzlichen Vorgaben stört.

Sie sind nicht mit allen Vorgaben glücklich, die der Gesetzgeber – also die Politik – den Pfegedienstleistern macht?

Marina Offenloch: Ich finde, politisch wird einiges versucht – und wenig richtig gemacht. Die Politik erlaubt pro Wohnbereich maximal 15 Bewohner. Für jeden Wohnbereich muss es jeweils einen Gemeinschaftsraum, Küche, Lager und Schmutzraum geben. Dadurch sind wir riesig geworden, unsere Mitarbeitenden legen Wege zurück, die sie vorher nie machen mussten. Früher hatten wir einen Wohnbereich mit 40 Bewohnern, die sich einen Gemeinschaftsraum teilten. Klar war da manchmal viel los, aber ich konnte sicherstellen, dass immer eine Pflegekraft im Raum war und nach den Leuten gesehen hat.

Markus Hübl: Man hat die Größen der Wohnbereiche reduziert, das mag noch nachvollziehbar sein, aber die Personalschlüssel nicht angepasst. Wir haben weit größere Flächen bei gleich vielen Menschen.

Manuela Offenloch: Es gibt noch andere Auswirkungen der Verkleinerung. Von 15 Bewohnern eines Bereiches sind vielleicht zwei im Krankenhaus, zwei möchten nicht gerne in Gesellschaft sein, einer ist in Therapie – manchmal sitzen zwei oder drei im Gemeinschaftsraum.

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Sie meinen, da fehlen die gegenseitige Anregung und das Miteinander?

Marina Offenloch: Im 40er-Wohnbereich war immer was los, da hatten alle was zu gucken, die Bewohner haben auch gegenseitig nach einander geschaut. Jetzt ist es im Gemeinschaftsraum sehr ruhig. Das hat Vorteile, aber es hat auch ganz viele Nachteile. Die Aktivitäten von einem früheren Wohnbereich sind auf drei verteilt – bei gleichem Personal.

Manuela Offenloch: Es geht auch um die Freizeitbeschäftigung mit Quiz, Musik oder anderen Tätigkeiten. Je weniger Bewohner dabei sind, die bei den Angeboten mitmachen können, desto weniger können auch die anderen, die dazu nicht in der Lage sind, von der Stimmung profitieren.

Die gute Absicht, die Wohnbereiche heimeliger und überschaubarer zu machen, hat also die Betreuung schwieriger gemacht?

Hübl: Und wesentlich teuerer. Wir brauchen pro Stockwerk 33 Bewohner, weil es nicht anders aufging. Also haben wir drei Wohngruppen und brauchen drei voll ausgestattete Küchen. Wir haben verhandelt, ob wir statt dieser drei eine richtig gute einrichten können – keine Chance. Wir müssen neun Wohnküchen einrichten, obwohl ich genau weiß: Wenn es gut läuft, sind drei von ihnen in Betrieb.

Manuela Offenloch: Für 45 Bewohner bekomme ich eine Nachtwache bezahlt. Ich darf aber Häuser mit einer Größe von maximal 100 Betten bauen. Da hat doch der Gesetzgeber nicht nachgerechnet. 100 durch 15 Bewohner pro Wohnbereich ist schon schwierig zu teilen, sodass wir zwei Gruppen mit 14 und den Rest mit 15 haben. Es geht aber auch bei den 45 pro Nachtwache nicht auf. Was wäre schlimm daran, wenn wir noch ein Stockwerk mehr hätten und eine Nachtwache für 40 Bewohner zuständig sein könnte?

Micha Böbel: Gerade diese Überregulierung macht die Quartiersgedanken mit Wohngemeinschaften, wie sie die Kirchliche Sozialstation betreibt, attraktiv. Wir haben diese Auflagen nicht und können es selbst gestalten. Aber dafür braucht man natürlich Menschen, die das umsetzen, braucht viel Ehrenamt und hat viel Koordinations- und Regiearbeit.

Es fehlt also Ihrer Meinung nach bei der Gesetzgebung an Einblicken in die Praxis?

Marina Offenloch: Mir sind auch bei den Wohngruppen die Regulierungen nicht alle klar. Hier gibt es pro zwölf Bewohner eine Nachtwache – obwohl man davon ausgehen kann, dass die Bewohner einer Wohngruppe noch selbstständiger sind. Wie passt da die Vorgabe von einer Nachtwache für 45 schwerstpflegebedürftige Bewohner?

Wenn man Sie gefragt hätte, was wäre Ihr Vorschlag gewesen für die optimale Größe eines Wohnbereiches?

Hübl: 30 wäre eine gute Lösung gewesen und in der Mitte den Aufenthaltsbereich. So hätte man gut arbeiten können. Heute laufen die Mitarbeiter wesentlich mehr für die gleiche Tätigkeit.

Marina Offenloch: Mit der neuen Vorgabe sagen die Angehörigen: Jetzt sieht man keine Pflegekräfte mehr. Was früher unsere Stärke war, dass die Leute immer einen Ansprechpartner gefunden haben, ist heute anders: Die Angehörigen suchen die Mitarbeitenden. Wir wären gerne viel kompakter geblieben. Die größere Fläche muss ja auch geputzt, beleuchtet und geheizt werden.

Hätte es auch andere Regelungsmöglichkeiten gegeben – die Vorgaben sind ja nicht bundeseinheitlich?

Manuela Offenloch: Ich finde beispielsweise die Regelung anderer Bundesländer gut, die 80 Prozent Einzelzimmer und 20 Prozent Doppelzimmer vorschreiben. Natürlich hat alles sein Für und Wider – in Corona-Zeiten wären wir froh gewesen, wenn es nur Einzelzimmer gegeben hätte. Aber die Vorgabe von 15 Menschen pro Wohnbereich hat den Personaleinsatz mit Sicherheit nicht besser gemacht. Wir haben genauso viel Personal wie früher, aber durch dessen erzwungene Aufteilung sagen die Leute: Man sieht euch nicht mehr.

Hübl: Das ist etwas, das die Angehörigen nicht verstehen: Wir müssen größer bauen und sind in der gefühlten Anwesenheit schlechter geworden.

Dazu kommen sicher noch Erschwernisse in der praktischen Arbeit der Pflege?

Manuela Offenloch: Wir haben immer wieder Bewohner, bei denen aufwendige Wundversorgung erforderlich ist, die mit der normalen Pflege in einem Pflegeheim nichts mehr zu tun hat. Das erfordert zusätzlich auch noch eine Dokumentationspflicht, die Zeit kostet.

Marina Offenloch: Und die Kosten für die Plätze steigen lässt. Wenn die Krankenkasse den Teil der medizinischen Versorgung im Pflegeheim übernehmen würde, könnte man den Pflegebedürftigen einen Teil ihres Beitrags sparen. Es geht ja nicht um altersbedingte Erkrankungen.

Personalmangel sorgt dafür, dass die Lage in den Hockenheimer Pflegeeinrichtungen angespannt ist. Um den Beruf attraktiver zu machen, gibt es Verbesserungsbedarf. © Patrick Pleul Dpa

Wo stellen Sie bisweilen weitere relevante Veränderungen in der Praxis fest?

Marina Offenloch: Wir registrieren eine Zunahme von deutlich übergewichtigen Pflegebedürftigen, die die Grenze von 150 Kilogramm überschreiten. Es wird vorausgesetzt, dass wir das mit übernehmen, obwohl es unsere Mitarbeitenden stark belastet.

Was wäre Ihre Forderung aus diesen Entwicklungen?

Manuela Offenloch: Wir brauchen mehr Personal für solche Aufgaben: Wundversorgung, übergewichtige Bewohner. Mehr Geld nützt mir in solchen Fällen nichts.

Böbel: Hier müsste sich auch in der Ausbildung etwas ändern. Die Kinästhetik, die Lehre von der Bewegungsempfindung, kommt darin bisher überhaupt nicht vor. Dadurch können Menschen mit einfachen Mitteln leichter bewegt werden. Das erleichtert die Arbeit, entlastet den Rücken. Gesundheitsarbeiter, die an der Gesundheit und Pflege anderer Leute arbeiten, können für sich selbst nichts tun. Um langfristig Mitarbeiter für die Pflege zu gewinnen, muss man die Menschen auch etwas bieten, etwa die Reduzierung der Wochenarbeitszeit.

Marina Offenloch: Ich finde, die Idee einer Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich oder mehr Urlaubstage für Pflegekräfte ist ein Thema. Zum Ausgleich bräuchte man natürlich mehr Personal. Es müsste aber auch an Technologien zur Erleichterung der Pflege intensiver geforscht und gearbeitet werden.

Haben Sie da bestimmte Ideen und Anregungen?

Marina Offenloch: Ich denke an Pflegebetten, die die Bewohner eigenständig aus dem Bett in den Rollstuhl setzen können, oder an Exoskelette, die sich Pflegekräfte anziehen können, wie es sie schon in der Industrie für schwer körperliche Arbeiten gibt. Sie nehmen den Menschen 50 Prozent des Kraftaufwands ab. Die Patientenlifter, die wir heute haben, sind noch zu unpraktisch und sperrig. Die Informationstechnologie hat ja auch Einzug in die Alten- und Pflegeeinrichtungen gehalten. Viele Bewohner nutzen Smartphones und Tablet-PCs.

Redaktion Redakteur im Bereich Hockenheim und Umland sowie Speyer

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