Mit einem Gottesdienst im katholischen Gemeindezentrum St. Christophorus haben am Mittwochabend knapp drei Dutzend Menschen der Hockenheimer Jüdinnen und Juden gedacht, deren Gotteshaus in der Nacht zum 10. November 1938 durch Brand zerstört wurde, und jenen, die am 22. Oktober 1940 nach Frankreich in das Internierungslager Gurs verschleppt wurden. Erinnert wurde auch an den Beginn der Deportation im Sommer 1942 der in Gurs verbliebenen 2250 Menschen in das Vernichtungslager Auschwitz. Eingeladen hatten die christlichen Gemeinden und der Arbeitskreis jüdische Geschichte in Zusammenarbeit mit der Stadt.
Der Blockflötenkreis des CVJM Reilingen unter der Leitung von Anke Palmer umrahmte den Gedenkgottesdienst musikalisch. „Erinnere Dich!“, hebräisch „Zachor!“, stand auf der Leinwand hinter dem siebenarmigen Leuchter. Alexander Levental spielte am Klavier Musik zum Ankommen. Die Feier begann mit der Hatikva, der Nationalhymne Israels, dargeboten vom Flötenensemble.
„Hier sind wir, um an das Leid zu denken, das dem Volk Gottes zugefügt wurde“, begrüßte Gemeindereferentin Daniela Gut (Bild) die Besucher im Namen des einen Gottes. Priester Steffen Haubner von der Neuapostolischen Kirche erinnerte im Gebet an die schrecklichen Ereignisse des 9. November 1938, „um der Versuchung zu widerstehen, die Opfer des Wahns der Nationalsozialisten zu vergessen“. „Man hat meinem Gott das Haus angezündet – und die Meinen haben es getan“, sagte er: „Man hat ihnen das Leben weggenommen – und die Meinen haben es getan.“ Und: „Die den Namen desselben Gottes anrufen, haben dazu geschwiegen – ja, die Meinen haben es getan.“
Bilder der Gräber in Gurs
Klaus Brandenburger vom Arbeitskreis jüdische Geschichte (Bild) meinte: „Genau 82 Jahre ist es her, dass badische Menschen ihrer Heimat entrissen und in das Internierungslager Gurs am Fuß der Pyrenäen verschleppt wurden.“ Er zeigte Bilder von den Gräbern auf dem dortigen Friedhof. Über 40 Mitglieder der Großfamilie Hockenheimer wurden damals von den Nazi-Schergen ermordet. Gertrude Becker, die Tochter von Wilhelm Hockenheimer, hatte dazu eine Liste erstellt. Sophie Hockenheimer, geborene Kaufmann, starb im Alter von 83 Jahren. Jenny und Eugen Fromm wurden ebenfalls in Auschwitz ermordet. Zigarrenfabrikant Albert Hockenheimer und seiner Frau gelang die Flucht in die USA.
Für die Deportierten begann die Fahrt im französischen Durchgangslager Darcy nach Auschwitz. Viele andere mit Hockenheimer Wurzeln führte dieser Weg direkt in die Gaskammern. Brandenburger erinnerte auch an Dr. Lucie Adelsberger (1895-1971). Deren Eltern waren der Weinhändler Isidor Adelsberger (1858-1906) und Rosa Lehmann (1860-1943). Lucies Urgroßvater Abraham Adelsberger (1788-1862) war Synagogenvorsteher in Hockenheim.
Lucie Adelsberger wurde nach ihrem Medizinstudium an der Universität Erlangen in Berlin Assistenzärztin am Krankenhaus in Friedrichshain. Neben ihrer Praxistätigkeit arbeitete und forschte sie am renommierten Robert-Koch-Institut. Ein Stellenangebot aus Harvard schlug sie aus, um ihre alte und kranke Mutter, die kein Visum für die USA bekommen hatte, betreuen zu können. Nach deren Tod im Januar 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert. Sie musste im „Zigeuner- und Frauenlager“ von Birkenau als Häftlingsärztin arbeiten. Im Januar 1945 gehörte sie zu jenen, die bei der Auflösung des Vernichtungslagers auf einen der sogenannten Todesmärsche geschickt wurden. Lucie Adelsberger wurde am 2. Mai 1945 im Außenlager Neustadt-Glewe durch Alliierte befreit.
Ein Zitat aus ihrem Buch „Auschwitz – Ein Tatsachenbericht“ stand auf der Einladung zu der Gedenkveranstaltung: „Dieser Bericht erzählt die Geschichte der Opfer. Nicht in der Absicht, alte Wunden aufzureißen, sondern die Wahrheit für die gesamte Menschheit festzuhalten.“
Die Gemeinde hörte vom Flötenensemble das israelische Lied „Yerushalajim shel sahav“ (Jerusalem aus Gold). Die Litanei wandte sich an die Entwürdigten, Verstorbenen und Ermordeten, an die jüdischen Kinder, die ihrer Zukunft beraubt wurden, an die Menschen, die gefoltert wurden und bis zur Erschöpfung arbeiten mussten: „Wir werden euch nicht vergessen.“
Innehalten am Gedenkstein
Für einen Moment der Stille und des persönlichen Gedenkens wurden Kerzen angezündet. „Wir bitten dich, sende dein Licht und deine Wahrheit“, sprachen Pastor Gerald Kappaun von der evangelisch-methodistischen Kirche und die Schüler Finja (12), Paul (14) und Mirjam (11) das Fürbittgebet. Daniela Gut dankte für die würdevolle Feier und spendete den Besuchern den Segen Gottes. Mit dem gemeinsam gesungenen „Hevenu Shalom Alechem“ (Wir wollen Frieden für alle) endete die Andacht.
Die Besucher gingen zum Gurs-Gedenkstein am Parkplatz zwischen Rathaus und katholischer Kirche. Hier stand einst die Synagoge. In der Nacht zum 10. November 1938 schlugen SA-Männer die Fenster ein und brannten das Gebetshaus, Herz jüdischen Lebens in Hockenheim, bis auf die Grundmauern nieder. Zur Erinnerung an die Hockenheimer Jüdinnen und Juden wurden kleine Steine auf dem Gedenkstein abgelegt.
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