Hockenheim. Wenn die Geschichte in der Gegenwart zuschlägt, spürt man den Atem der Zeit im Nacken – anders kann man die Historie und Gegenwart des Don Kosaken Chors Serge Jaroff kaum beschreiben: Das Urensemble wurde 1921 vom in Makarjew, einer Kleinstadt in der russischen Oblast Kostroma, geborenen studierten Kirchenmusiker Serge Jaroff gegründet – in einem Internierungslager nahe Istanbul.
Nach einem Auftritt in der Wiener Hofburg trat er mit seinen rund 20 Sängern als „Kirchenchor der Don Kosaken“ einen weltweiten Siegeszug an, auf dem man vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs just in Amerika überrascht wurde. Heute besteht der Chor hauptsächlich aus Ukrainern, erneut bestimmen Krieg, Elend und Vertreibung die Geschichte des Chores.
Don Kosaken Chor zuletzt vor vier Jahren in der Stadthalle
Vier lange Jahre haben sie ihr Publikum warten lassen, am Sonntagabend gaben sie sich – endlich wieder – in der Stadthalle ein Stelldichein: In kriegsbedingt verkleinerter Mannschaft zwar und auch ohne ihren Leiter Wanja Hlibka, der seit 2001 Träger des geschützten Namens ist. Mit ihrer herausragenden Qualität und unbeschreiblichen Präsenz konnten aber auch die zehn Sänger das Publikum, das die gute Stube der Rennstadt reichlich füllte, vom ersten Ton an in ihren Bann ziehen.
Bei den „echten Don Kosaken“ handelt es sich um ein Ensemble, das nicht einfach nur mit ein wenig Folklore eine Welle reitet – hier sind ausschließlich herausragend gute Sänger beieinander, von denen jeder Einzelne wert ist, gehört zu werden, die aber gemeinsam ein Niveau in Bezug auf die qualitative Höhe erreichen, das einmalig ist.
Vom durchschlagsstarken Forte, das die Halle in ihren Grundfesten erzittern ließ, bis ins zärtlichste Pianissimo lieferte die Truppe atemberaubende Musik ab – und das in höchster Präzision, in sehr authentischer Werktreue, mit dynamischem Witz und grandiosem stimmlichem Glanz. Was seinerzeit Jaroffs Chor auszeichnete, wird von den Männern um Hlibka, der die Leitung diesmal an Volodymyr Pozdrij abgeben musste, in unsere Tage getragen.
Gekonnte Mischung der Don Kosaken in der Stadthalle in Hockenheim
Programmatisch bieten die Don Kosaken stets eine gekonnte Mischung aus Kirchenmusik, Volksliedern und „Gassenhauern“, von denen das legendäre Heinrich-Pfeil-Kinderlied „Still ruht der See“, das mit einer unnachahmlichen Inbrunst als Zugabe gegebene „Ich bete an die Macht der Liebe“ nach der Melodie Dmitri Stepanowitsch Bortnjanskis und – natürlich – die „Abendglocken“ von Alexander Alyabyev die wohl bekanntesten sind.
Letzteres hat der 1985 verstorbene Jaroff im Film „Mein bester Freund“ 1970 zusammen mit Heintje gesungen. Auch Hlibka dürfte damals dabei gewesen sein: 1967 wurde dieser als jüngster Solist bei den Don Kosaken aufgenommen.
Countertenor der Don Kosaken liefert Höhepunkte
Die atemberaubenden Highlights lieferte diesmal der Countertenor Bagdasar Khachikyan. Dessen Stimme, die – absolut außergewöhnlich – in Sopranlage förmlich zu Hause ist, hat einen so kristallklaren, lupenreinen, ebenmäßigen Glanz, eine umwerfende Strahlkraft und dabei so viel Farbe, dass jedes Lied, das der 40-Jährige solistisch beitrug, kein Hören, sondern ein berührtes Lauschen war.
Der in Krasnodar geborene Sänger gab Pavel Tschesnokovs „In Deinem Reich“ wie ein Äther, der sinnlich über dem Chor schwebt, Bachs/Gounods „Ave Maria“ mit Hingabe, die bereits angesprochenen „Abendglocken“ mit ansteckender Inbrunst und Alexander Guriljows „Eintönig klingt hell das Glöckchen“ als Schlussnummer über den liegenden Tönen des Chores wie ein Ruf aus dem Himmel mit sphärischem Liebreiz.
Das Publikum war nach dem leider viel zu kurzen Konzert förmlich von den Stühlen gerissen – donnernder Applaus, der zwei Zugaben verlangte, bevor der Chor sich mit „Guten Abend, gut Nacht“ verabschiedete. Bleibt zu hoffen, dass die Liebhaber nicht wieder vier Jahre warten müssen.
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